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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1087 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Moo, Douglas J.

Titel/Untertitel:

The Epistle to the Romans.

Verlag:

Grand Rapids: Eerdmans 1996. XXV, 1012 S. gr.8 = the New International Commentary on the New Testament. Lw. $ 50.-. ISBN 0-8028-2317-3.

Rezensent:

Klaus Haacker

Der vorliegende Band eröffnet eine neue "Generation" des von Ned B. Stonehouse 1946 begründeten, später von F. F. Bruce fortgeführten und jetzt von Gordon D. Fee herausgegebenen New International Commentary on the New Testament und tritt hier an die Stelle des Kommentars von John Murray (1959/ 1965). Der Vf. lehrt seit vielen Jahren an der angesehenen Trinity Evangelical Divinity School in Deerfield, Illinois. Er hatte den Auftrag zur Kommentierung des Römerbriefs ursprünglich für den Wycliffe Exegetical Commentary erhalten, und in diesem Rahmen erschien auch 1991 sein erster Band über Römer 1-8. Dann wurde diese neue Kommentarreihe jedoch eingestellt; aber der Vf. hatte das Glück, seine Arbeit im jetzt vorliegenden Rahmen vollenden zu können, wobei die weitergegangene Diskussion über Röm 1-8 eingearbeitet wurde.

Der Charakter der Reihe läßt eine Priorität theologischer Auslegung erwarten, die auch Impulse für die Predigtvorbereitung gibt, ist aber zugleich einem hohen wissenschaftlichen Anspruch verpflichtet. Beides ist im vorliegenden Band in eindrucksvoller Weise verwirklicht. Die Auseinandersetzung mit der Auslegungsgeschichte und neueren Forschung zum Römerbrief ist durch ein umfassendes Register erwähnter Autoren (945-963) nachgewiesen (und damit auch in ihren unvermeidlichen Grenzen offengelegt). Was die Heranziehung von Kommentaren betrifft, nennt der Vf. einleitend zwölf bevorzugte Gesprächspartner, die er gewissermaßen als "ständige Zeugen" im Blick hat: C. K. Barrett (1957), J. Calvin (1540), C. E. B. Cranfield (1975/1979), J. D. G. Dunn (1988), J. Fitzmyer (1993), F. L. Godet (1879!), E. Käsemann (Englisch 1980), O. Kuss (1963-1978), O. Michel (1978), J. Murray (1959/1965), W. Sanday/A. C. Headlam (1902) und U. Wilckens (1978-1981). Unter den sonstigen zur Abfassungszeit naheliegenden Kommentaren "zweiter Ordnung" vermisse ich nur J. Ziesler (1989).

Dem primär theologischen Anliegen dieser Auslegung entspricht die Gründlichkeit, mit der divergierende Auffassungen der Textaussage (mit Konsequenzen für die Übersetzung) diskutiert werden. Daß griechische Vokabeln dabei fast durchweg in die Anmerkungen verbannt werden, tut der philologischen Akribie keinen Abbruch. In einer Zeit, in der profunde altphilologische Kenntnisse selten geworden sind, verdient die Ausführlichkeit derartiger Erörterungen Anerkennung (und Nachahmung in künftigen Kommentaren). Auch textkritische Fragen, die den Sinn betreffen, werden vergleichsweise breit diskutiert, wenn auch meistens sehr schematisch nach traditionellen "äußeren Kriterien" (z. B. "alexandrinischer Text", "westlicher Text") entschieden. Gemessen am Gesamtumfang werden die Einleitungsfragen etwas knapp diskutiert. Die Kritik an einer "tendency to overhistoricize" (22) mag begründet sein, rechtfertigt aber kein Desinteresse an Anschaulichkeit und Konkretion.

Im Spannungsfeld gegenwärtiger Römerbrief-Exegese ist Moo zweifellos stärker der reformatorischen Paulus-Rezeption als den neueren religionssoziologischen Ansätzen verpflichtet (und darin in der Nähe von Cranfield anzusiedeln). Das zeigt sich auch in der Einschätzung des Briefkorpus als eines "Traktates" mit einem klaren Thema (dem Evangelium), was an Nygren erinnert. Aber die Vorstöße von E. P. Sanders, J. D. G. Dunn und anderen für ein "neues Paulusbild", das zugleich die Korrektur eines aus seiner Polemik erschlossenen Zerrbildes vom Judentum bedeutet, werden ernsthaft diskutiert und mit ernstzunehmenden Einwänden konfrontiert; vgl. den Exkurs über die "Werke des Gesetzes" auf S. 211-217. Vielleicht kommt die Paulusauslegung an dieser Stelle einen Schritt weiter, wenn sie als Anlaß und Zielscheibe der paulinischen Kritik ein wirklich vorgegebenes (und nicht von Paulus konstruiertes) jüdisches Selbstverständnis bestimmter Kreise (und nicht des Judentums im ganzen) annimmt, zugleich aber gelten läßt, daß Paulus in seinen Gegenthesen anthropologisch grundsätzlich argumentiert und so über den aktuellen Anlaß hinausweist (was die reformatorische Rezeption erleichterte).

Aufs Ganze gesehen, verdient dieser Band neben den zweibändigen Werken von Cranfield und Dunn einen bevorzugten Platz unter den neueren englischsprachigen Kommentaren zum Römerbrief. In seinen Lösungsvorschlägen eher vorsichtig und theologisch traditionell, informiert er dennoch ausführlich über heutige Streitfragen, so daß auch diejenigen, die ihn als einzigen konsultieren, reich belehrt und zu eigener Urteilsbildung befähigt werden.

Angesichts nachlassender handwerklicher Qualität vieler Buchproduktionen verdienen Verlag und Hersteller hohes Lob für die gediegene Ausstattung und lesefreundliche Gestaltung.