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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

860–862

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Klein, Christoph

Titel/Untertitel:

Die Versöhnung in der Siebenbürgisch-sächsischen Kirche.

Verlag:

Köln-Weimar-Wien: Böhlau 1993. XIV, 252 S. gr.8o = Studia Transsylvanica, 21. Lw. DM 86,-. ISBN 3-412-05992-7.

Rezensent:

Peter F. Barton

Jede Teilkirche bildet einen unverzichtbaren Bestandteil der Weltchristenheit. Aber wenige Teilkirchen haben trotz zahlenmäßiger Kleinheit eine solche kirchliche, kulturelle, theologische und religiöse Bedeutung erlangt wie die Siebenbürgisch-sächsische Kirche. Oft wird die immense Bedeutung einer solchen Teilkirche der Weltchristenheit erst richtig - und schmerzlich - bewußt, wenn die Existenz eines solchen unverzichtbaren Teiles des Ganzen extrem bedroht ist. Das ist wohl auch heute der Fall, da nach dem furchtbaren Aderlaß der letzten Jahre die Siebenbürgisch-sächsische Kirche aus einer "Volkskirche mit Diasporaelementen" zu einer kleinen "Diasporakirche mit volkskirchlichen Restbeständen zu werden droht": Da wird sich die Weltchristenheit bewußt werden müssen, daß gerade diese Kirche das Erbe der lutherischen Reformation (nicht zuletzt in melanchthonischer Ausprägung) weit klarer und überzeugender bewahrt hat als so manche etablierte deutsche Landeskirche.

K., der Wiener Evangelisch-theologischen Fakultät eng verbunden und als Experte für siebenbürgisch-sächsische Kirchengeschichte und Spiritualität hinlänglich ausgewiesen, hat - von einer seiner Lehrveranstaltungen an unserer Fakultät im Sommersemester 1988 ausgehend (X) - die "Versöhnung" in der siebenbürgisch-sächsischen Kirche souverän dargestellt. Denn anders als in anderen Kirchen ist Versöhnung bekanntlich in der Siebenbürgisch-sächsischen Kirche kein nur die Dogmatik und die Individualethik bestimmendes Theologoumenon, sondern ein die gesellschaftliche Wirklichkeit mitprägendes Phänomen gewesen und ist es zumindest in Restbeständen (da in großen Städten schon im 19. Jh. schwer realisierbar und auch in manchen Landgemeinden aus der Übung gekommen - in Reps fand die letzte "Versöhnung" in der Nachbarschaft 1832 statt [148] -, und durch Verbote des faschistischen wie des kommunistischen Regimes [1942 bzw. 1958] in den Untergrund gedrängt,) noch. Diese "Versöhnung" ist in manchen Gemeinden nicht nur im innerfamiliären Bereich, sondern auch Gemeinde- und Nachbarschaftsbereich bestimmend geblieben. Durch ihre enge Verbindung mit "Bußkirche", Abendmahlsempfang, Konfirmation war "Versöhnung" in vielen Gemeinden dieser Kirche im-mer auch gemeindezentriert, mochte sie auch als Bereich frommen, wenn auch begrüßenswerten Volksbrauchtums mit "paraliturgischen" Formen abgestempelt werden.

Anders als andere Kirchen war die weithin durch Gemeindeautonomie gekennzeichnete Siebenbürgisch-sächsische Kirche, soziologisch durch die "Nachbarschaft" mitgeprägt (41 ff.), auf die große Erneuerung der Reformation mit vorbereitet. Bruder- und Schwesterschaften dienten hier etwa nicht primär dem von Luther so entschieden abgelehnten Heilsegoismus - der Vf. muß daher mit umfangreichen Analysen der Dimensionen der Versöhnung und Versöhnungslehre (7 ff.) beginnen -, sondern konnten (zumal durch Honterus) zum Aufbau theologisch wie soziologisch ("nachbarschaftlich") relevanter kirchlicher Strukturen verwendet werden. Durch das Medium der oft bis ins einzelne mit den Gottesdiensten und pfarramtlichen Aktivitäten verbundenen Versöhnung entstand eine "Versöhnungskirche", die sich freilich nur in einzelnen Gemeinden durchsetzen und halten konnte (136 ff.). Gottesdienstlich gut vorbereitet, auf die Zurüstung zum Abendmahlsempfang zentriert, mit den sog. Passageriten (auch der Trauung) eng verbunden, diente das Versöhnungsverhalten dazu, Spannungen und Verletzungen innerhalb der Bruderschaft, Schwesterschaft, Nachbarschaft, Familie - und nicht zuletzt mit Pfarrern und Presbytern (Kirchältesten) durch Vergebung aus der Welt zu schaffen. Sollte doch etwa (1816 in Großalisch) durch die "Nachbarschaftsväter" mit Unterstützung der Gemeinde festgestellt werden: "Ob alle Nachbarn und Nachbarinnen sich in erforderlichem Gemütszustand befinden, in dem man sich befinden muß - wenn man das Heilige Abendmahl würdig genießen soll -, ob sie alle friedlich, einträchtig und ehrbar mit- und nebeneinander gelebt hätten" (138). Natürlich ging das nicht ohne Strafe bei Nichtteilnahme etc. ab. Aber welchen heilsamen Effekt konnte die "Versöhnung", wenn sie mehr als äußerlich mitgemachtes Brauchtum war, etwa bei Konfirmationen etc. (182 ff.) erzielen. Hier wurde nicht nur erkannt, sondern auch praktiziert, daß der Aufruf "Lasset euch versöhnen mit Gott..." die Versöhnung mit den Mitmenschen inkludiert. Denn wenn auch die Versöhnungskirche nur in einigen Gemeinden bestehen sollte, war das Versöhnungsbrauchtum in der Nachbarschaft in fast allen Gemeinden bis ins 19. Jh. und in vielen bis in unsere Zeit, etwa mit dem "Versöhnungshandschlag" und dem Be-kenntnis "Es ist verziehen" (151) lebendig. Neben sorgsamer Auswertung der Literatur und angestellten Umfragen über "Vergebung als Lebenshilfe" etc. zieht K. auch Erwin Wittstocks 1971 in Bukarest erschienenen Nachlaßroman "Das Jüngste Gericht in Altbirk" (213 ff.) effektvoll heran. Der Leser wird dieses Buch nicht nur mit reichem Informationsgewinn, sondern auch mit einer Fülle von Anregungen und - angesichts der dramatischen Ereignisse der letzten Jahre - mit Wehmut aus der Hand legen.