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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

858–860

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Gifford, Paul [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Christian Churches and the Democratisation of Africa.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. XI, 301 S. gr.8o = Studies of Religion in Africa, 12. Lw. hfl. 135.-. ISBN 90-04-10324-4.

Rezensent:

Frieder Ludwig

Der vorliegende Sammelband ist Ergebnis einer Konferenz, die vom 20. bis zum 23. September 1993 in Leeds stattgefunden und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Rolle der Kirchen in der politischen Umbruchphase im subsaharischen Afrika der späten 80er und frühen 90er Jahre zu untersuchen. In vielen Staaten des Kontinents war es in dieser Zeit zu Protesten gegen die vielfach bestehenden Einparteienstaaten gekommen, die teilweise zu Reformen und Demokratisierung führten. Ali Mazrui prägte in diesem Zusammenhang das Schlagwort von der "zweiten Befreiung Afrikas."

In seiner Einleitung (1-13) verweist Paul Gifford darauf, daß die Konferenz in Verbindung mit einem Forschungsprojekt stand, das durch den Leverhulme Trust gefördert wurde. Dieser hatte bereits Mitte der 70er Jahre eine entsprechende Untersuchung unterstützt, aus der schließlich drei Publikationen hervorgegangen waren, die zu Standardwerken wurden: A. Hastings, African Christianity (1979), A. Hastings, A History of African Christianity (1979) sowie E. Fashole-Luke et al. (Hg.), Christianity in Independent Africa (1978). An diese will das vorliegende Buch anknüpfen.

Der Band umfaßt neben der Einführung und vier weiteren Überblicksartikeln 14 Fallstudien, die sich mit der Situation in einzelnen Ländern auseinandersetzen. Berücksichtigt werden dabei Südafrika (zweimal), Malawi, Simbabwe, Mozambique, Kongo, Kamerun, Ruanda, Uganda, Nigeria (zweimal), Ghana, Liberia und Madagaskar. Ein Schlagwort-Register fehlt ebenso wie eine allgemeine Bibliographie.

Auf inhaltliche, durch die gegebene Schwerpunktsetzung bedingte Defizite weist T. O. Ranger in seiner für ein Verständnis der Tagung wichtigen Zusammenfassung des Konferenzverlaufs (14-35) hin: Durch die Konzentration auf die Rolle der etablierten Kirchen ("mainline churches") seien andere Gruppierungen wie die Pfingstler oder die afrikanischen unabhängigen Kirchen eher zu kurz gekommen; zudem habe die Gefahr bestanden, die Muslime und Traditionalisten ganz zu übersehen. In der Tat werden die christlich-muslimischen Beziehungen nur in einer Fallstudie eingehender diskutiert (Kukahs Beitrag über Nigeria, 225-238), während sich immerhin zwei Untersuchungen mit der Rolle der rasch wachsenden Pfingstbewegung befassen (Maxwell über Simbabwe, 108-129; Marshall über Nigeria, 239-260).

Auf die für ein Verständnis der Tagung wichtige Zusammenfassung Rangers folgen drei weitere Überblicksdarstellungen, die teilweise allerdings etwas pauschal geraten sind. Adrian Hastings untersucht das Verhltnis der Kirchen zur Demokratie (36-46), J. W. de Gruchy bemüht sich um eine theologische Reflextion der Aufgabe der Kirche im Demokratisierungsprozeß (47-69) und D. Beetham gibt eine Gesamtdarstellung der Probleme demokratischer Konsolidierung (61-73).

Die 14 Fallstudien unterscheiden sich in Methodik und Vorgehen. Zwölf von ihnen gemeinsam ist jedoch die Zielsetzung einer Analyse des Verhältnisses von Kirche und Politik in jeweils einem Staat; Ausnahmen bilden lediglich der kurze Beitrag Desmond Tutus (95-97), der überwiegend appellativen Charakter hat, sowie die bereits erwähnte Untersuchung R. Marshalls, die sich ausschließlich den Pfingstkirchen widmet.

In weitgehend deskriptiver Form geben A. Okoko-Esseau und P. T. Nwel Bestandsaufnahmen der Entwicklung in ihren Ländern. A. Okoko-Esseau beschreibt die Rolle der Kirchen als Vermittler in der Übergangsphase im Kongo (148-167); P. T. Nwel schildert die Situation in Kamerun, wo die Kirchen der politischen Entwicklung eher hinterherhinkten. (168-184). In dieselbe Kategorie fällt P. Walshes Beitrag, der einen nützlichen Überblick über die Entwicklung der Befreiungstheologie in Südafrika bietet. Walshe stellt eine Spannung fest zwischen der "prophetischen Stimme" zentraler Organe wie etwa des Christenrats und dem als "phlegmatisch" charakterisiertem Verhalten der Gemeinden, ohne dem jedoch weiter nachzugehen. Stattdessen mündet seine Schlußfolgerung in einer überflüssigen Gebrauchsanweisung für die Zukunft.

Demgegenüber versucht D. J. Maxwell, die Grenzen der gängigen Denkschemata aufzuzeigen. In seiner richtungsweisenden Studie über Simbabwe (108-128) wendet er sich entschieden gegen die Annahme, daß nur die etablierten Kirchen (die ehemaligen Missionskirchen) in der Lage seien, gegen den Staat Widerstand zu leisten:

"Although the Catholic, Anglican and Methodist churches have, in different ways, assumed more adversarial relationship with the state, they persist, for the most part, in accepting it's hegemonic ideology of modernisation. The concentration of academic enquiry on the established churches ignores the significance of a vast array of pentecostal, independent and evangelical churches which have potential both to restrain and legitimise the state." (108)

Auch andere Beiträge stellen eine oder mehrere Thesen in das Zentrum ihrer Überlegungen. So überprüft K. R. Ross die Aussage Hans Küngs, da Religion auch ein Katalysator sozialer Befreiung sein kann, am Beispiel Malawis (98-107). Er kommt zu dem nicht gerade sehr aufregenden Ergebnis, daß man die Rolle der Kirchen nicht als Katalysator, sondern als Gärstoff ("Ferment") bezeichnen solle, da sich Gärstoff im Prozeß der Gärung auch selbst verändere. A. Vines und T. Wilson betrachten die Rolle der Kirchen im Friedensprozeß in Mozambique als erfolgreich, da diese einerseits über gute internationale Beziehungen, andererseits über gute Verbindungen zur Basis verfügten (130-147). K. Dickson stellt in bezug auf Ghana fest, daß die Kirchen aufgrund einer veränderten Theologie heute deutlicher zu politischen und sozialen Fragen Stellung nehmen können als zu Beginn der Unabhängigkeit (261-274).

Eher kritisch sieht dagegen M. H. Kukah die Rolle der Kirchen in Nigeria: Seit Berichten über Nigerias Beitritt in die Organisation of Islamic Conference habe es eine lähmende Tendenz gegeben, den Islam zu dämonisieren (225-238). Gleichfalls distanziert beschreibt J. M. Waliggo die Entwicklung in Uganda, denn dort hätten die Kirchen in Situationen des Terrors und der Tyrannei keine klaren Leitlinien entwickelt (205-224).

Es fällt auf, daß in den letztgenannten drei Beiträgen eine Auseinandersetzung mit thematisch vergleichbaren wichtigen neuen Untersuchungen fehlt, obwohl die Literatur durchaus überschaubar ist. So vermißt man im Hinblick auf Ghana einen Verweis auf J. S. Pobees Religion and Politics in Ghana (Accra 1991); im Hinblick auf Nigeria bleibt das von J. K. Olupona und T. Falola herausgegebene Buch Religion and Society in Nigeria (1991) unberücksichtigt, und im Hinblick auf Uganda fehlen Hinweise auf die Arbeiten K. Wards und H. Behrends.

Die zuletzt erwähnte Studie J. M. Waliggos weicht von den zuvor genannten Beiträgen insofern ab, als er die aktuelle Situation vor dem Hintergrund einer langfristigen historischen Entwicklung analysiert. Gleiches gilt für die Untersuchung P. Giffords, der das Christentum in Liberia seit der Rückkehr ehemaliger amerikanischer Sklaven als Bestandteil der Herrschaftsstrukturen charakterisiert. Durch die neueren Entwicklungen sei die systemstabilisierenden Rolle gestärkt worden (276-291). Ähnlich beschreibt T. P. Longman die Krise in Rwanda zumindest teilweise als Ergebnis von tiefen historischen Rissen (188-204).

Sehr überzeugend ist dieser Ansatz entwickelt in Francoise Raison-Jourdes Schilderung der Kirchen in Madagaskar, die bei den Ursprüngen der Missionsarbeit im Königreich Merina 1820 einsetzt. Sie beschreibt, wie sich der seit der 1869 vollzogenen Taufe der Königin Ranavalona II. etablierte Protestantismus während der Periode der franz. Kolonialherrschaft und der damit verbundenen Katholizisierung zu einem Organ des Ausdrucks nationaler Identität entwickelte. Raison-Jourde kontrastiert die heutige Situation, in der den Kirchen die Frage gestellt werden könne, ob ihnen das politische Engagement nicht zur Etablierung als privilegierte Partner diene, mit der Geschichte Madagaskars, in der die Kirchen häufig eine Gegengewalt gegen das Establishement darstellten (292-301).

Es läßt sich somit festhalten, daß die in The Christian Churches & the Democratisation of Africa vorgestellten Fallstudien qualitativ sehr unterschiedlich sind. In formeller Hinsicht weist der Band, wie bereits erwhnt, kleinere Mängel auf. Insgesamt jedoch bietet das Werk einen bislang einzigartigen Überblick über eine neue Epoche im Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Afrika.