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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

474–476

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Spener, Philipp Jakob

Titel/Untertitel:

Schriften. Hrsg. von E. Beyreuther. Bd. VII.: Der hochwichtige Articul von der Wiedergeburt (1696) 1715. Teilbd. 1: Predigten 1–34. XVI, 121 S., 572 Faks.S. Teilbd. 2: Predigten 35–66. Anhang. V, Faks.S. 573–1072 u. 213 Faks.S. Eingel. von J. O. Rüttgardt u. D. Blaufuß.

Verlag:

Hildesheim-Zürich-New York: Olms 1994. 8o. geb. DM 316,-. ISBN 3-487-09935-7 u. 3-487-09936-5.

Rezensent:

Christian Bunners

Mit diesem Band wird der Spener-Ausgabe im Olms-Verlag ein weiterer wichtiger Baustein hinzugefügt (vgl. zuletzt ThLZ 119, 1994, 338-341). Verlag und Mitarbeiter an der Spener-Ausgabe haben dem Band eine Grußadresse an den Hg., Erich Beyreuther (geb. 1904), zu dessen 90. Geburtstag vorangestellt. Darin würdigen sie Beyreuthers Verdienste um die Kirchengeschichtswissenschaft insgesamt sowie um die erste umfangreiche Herausgabe Spenerscher Schriften im besonderen. Sie be-zeugen "tiefen Respekt vor der Lebensleistung eines Theologen in schwierigen Zeiten" (VI).

Erich Beyreuther selbst eröffnet den Band VII/1 mit einem Vorwort (IX-XIII), in welchem er die geistesgeschichtliche und kirchliche Stellung der Wiedergeburts-Predigten umreißt und Spener als einen der "markantesten Theologen zwischen Luther und Schleiermacher" (X) benennt. Mit Speners Predigten über die Wiedergeburt sei damals der Pietismus als eine "Ereignisgeschichte" hervorgetreten, "wie sie der Gesamtprotestantismus kontinentaler Ausprägung noch nicht vorzuweisen hatte" (XI) und wie sie zu tiefgreifenden Veränderungen im individuellen, ökumenischen und sozialen Bereich geführt habe.

Die Präsentation der Predigten erfolgt, wie in den anderen Bänden der Ausgabe, als Faksimile-Nachdruck. Das für historische Texteditionen nicht unumstrittene Reprintverfahren bietet im Fall von Speners Wiedergeburts-Predigten keine unüberwindbaren Probleme, da es nur zwei Auflagen der von Spener in den Jahren 1691 bis 1694 in der Berliner Nikolaikirche gehaltenen 66 Wochenpredigten gibt. Spener hat selbst seine Predigten 1696 bei Zunner in Frankfurt/M. drucken lassen. Eine Zweitausgabe erschien postum im Jahre 1715 beim selben Drucker, vermehrt freilich um eine "Wohlgemeinte Nachlese" früherer Predigten Speners zur Thematik der Wiedergeburt. Was bei einer Reprintausgabe nicht möglich ist - die fortlaufende Begleitung des Textes mit Textkritik und Sachkritik -, das haben die beiden Bearbeiter des Bandes, Jan Olaf Rüttgardt und Dietrich Blaufuß, in ihren Einleitungen nach Möglichkeit auszugleichen gesucht.

Die Texterweiterung in der zweiten Auflage sowie die Tatsache, daß ihr auch vier in der ersten Edition fehlende Register beigegeben sind, haben Hgg. und Bearbeiter veranlaßt, dem Nachdruck den Text von 1715 zugrundezulegen. Dietrich Blaufuß nennt als weiteren Grund, daß die erste Auflage - vielleicht zur Herbstmesse 1695 unter Zeitdruck vorbereitet - viele Fehler, schon in den Bogen- und Seitenzählungen, enthalte, die zweite Auflage aber das Bemühen des Verlages und der Erben Speners zeige, über die erste Präsentation "qualitativ hinauszukommen" (117). Über Unterschiede (auch über Bibliotheksnachweise) beider Ausgaben hat Dietrich Blaufuß im Einleitungskapitel "Zu den Drucken und ihrer Überlieferung" berichtet (113-121). Da die Predigten nach Speners eigener Angabe in seiner Vorrede "ohne fernere Ausarbeitung" veröffentlicht wurden, Spener auch eine akribische Gewissenhaftigkeit bei seinen Predigtvorbereitungen walten ließ, ist Blaufuß der Meinung, daß in dem Druck tatsächlich "uns die gehaltenen Predigten vorliegen" (115). Die von Rüttgardt beobachtete relative Kürze der einzelnen Wiedergeburts-Predigten im Vergleich zu Sonntagspredigten Speners (47) erklärt sich möglicherweise aus dem Charakter der ersteren als Wochenpredigten.

Aufgrund von Katalogen zu Predigten Speners hat Blaufuß Herkunft und zeitliche Ansetzung der in der "Nachlese" von 1715 zusätzlich gebrachten Predigten aus den Jahren 1658 bis 1690 zu rekonstruieren unternommen (vgl. die Tabelle 121); er hat dabei auch geklärt, warum sich - entgegen dem Titelblatt von 1715 - nicht zwölf, sondern nur neun Predigten im Anhang der "Nachlese" finden. Der Nachdruck der Wiedergeburts-Predigten ist außerordentlich förderlich für die Forschung, gehören doch Art und Bedeutung von Speners Wiedergeburtslehre zu den meistdiskutierten Fragen der neueren Pietismusforschung. Erich Beyreuther bemerkt in seinem Vorwort: "Diese ganze Diskussion mit ihren verschiedenen Positionen ist unleugbar deshalb so mühsam geblieben, weil die entscheidenden Quellen zu Speners Wiedergeburtslehre so schwer greifbar" waren (IX). Mit dieser Edition ist nun die Quellenlage wesentlich verbessert worden; der Nachdruck der Ausgabe von 1715 gestattet dabei einen nun leichten Zugriff auch auf Wiedergeburts-Predigten vor der großen Berliner Predigtreihe und ermöglicht damit Einblicke in die Genese dieses theologischen Topos bei Spener.

Jan Olaf Rüttgardt hat in seiner Einleitung eine verdienst-volle Darstellung des Themas gegeben: "Zur Entstehung und Bedeutung der Berliner Wiedergeburtspredigten Philipp Jakob Speners" (1-112). Er berichtet über Speners Wiedergeburtslehre in der Forschung (1-11), über die Entstehung (12-33) und über Abfassung, Aufbau und Inhalt (24-60) der Predigten, wobei detaillierte regional- und predigtgeschichtliche Aspekte Beachtung finden. Rüttgardt betrachtet die Aussagen Speners zur Wiedergeburt vor 1691 (61-96) und die theologische Bedeutung der Berliner Predigten (97-112).

Neuere Forschungsbeiträge zu Speners Lehre von der Wiedergeburt stammen von Martin Schmidt (ab 1951), Emanuel Hirsch, Helmut Obst, Johannes Wallmann, Martin Kruse, Erhard Peschke, Jan Olaf Rüttgardt, Kurt Aland, Martin Brecht. Unterschiedliche Standpunkte sind nicht ohne Polemik, aber auch mit Annäherungen vorgetragen worden. Nach wie vor mangelt es aber an einem Konsens in der Frage des Stellenwertes der Wiedergeburtsthematik in Speners Theologie. Different wird auch das Verhältnis von Speners Wiedergeburtslehre zur lutherischen Rechtfertigungslehre einerseits und zum inner- und außerkirchlichen Spiritualismus andererseits bestimmt.

Rüttgardts monographischer Beitrag wird das wissenschaftliche Gespräch erneut anregen. Er sieht Speners Wiedergeburtsanschauung in einer Entwicklung begriffen, für die der Einfluß Theophil Großgebauers hoch veranschlagt werden müsse und die bis 1684 zum Abschluß gekommen sei. Mit seinem neu akzentuierenden, Rechtfertigung und Erneuerung inkludierenden Gesamtverständnis von Wiedergeburt habe Spener theologisch und kirchlich integrierend, aber auch innovierend wirken wollen; die Berliner Predigten gehörten "zu seinem zukunftsweisenden theologischem[n] Vermächtnis" (112).

Mit dieser Sicht hat Rüttgardt den Standpunkt Martin Schmidts in modifizierter und amplifizierter Weise neu zur Diskussion gestellt. Der Fortgang der Debatte dürfte durch die jetzt vorliegende Textedition befördert werden. Dabei sollte neben den lehrmäßigen Aspekten der umgreifende Paradigmenwechsel zur Neuzeit hin im Auge behalten werden, für den Speners Anschauungen sowohl Ausdruck als auch Mitbeweger sind.

Leider sind in dem Beitrag von Rüttgardt etliche Druckfehler stehengeblieben. Der Name des Berliner Nikolaikantors ist nicht Krüger (16), sondern Crüger zu schreiben. Für den modernen Satz wäre eine Einrichtung wünschenswert, die Anmerkungsziffern als Eröffnung einer Zeile zu vermeiden sucht.