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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1065–1068

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Brekelmans, C. H. W.]

Titel/Untertitel:

Deuteronomy and Deuteronomic Literature. Festschrift C. H. W. Brekelmans. Ed. by M. Vervenne and J. Lust.

Verlag:

Leuven: Leuven University Press u. Leuven: Peeters 1997. XI, 634 S. gr.8 = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 133. Kart. BEF 3000. ISBN 90-6186-818-1 u. 90-6831-936-1.

Rezensent:

Lothar Perlitt

Mit seinem für die Forschung wichtig gebliebenen Vortrag "Die sogenannten deuteronomischen Elemente in Gen-Num. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Deuteronomiums" von 1965 (SVT 15, 1966) hat der Jubilar Aufbau und Inhalt dieser üppigen Festschrift selbst vorgegeben. Sie ist bis auf die Miscellanea (Teil IV) "a collection of articles treating the subject which can be viewed as the core of his teaching and research at the Faculty of Theology of the Katholieke Universiteit Leuven (1969-1987)" (VII). Zu dieser thematischen Geschlossenheit haben die allermeisten Autoren beigetragen, komischerweise nicht die Herausgeber (Vervenne schrieb gar nichts, Lust etwas ganz anderes). Für die ’Deuteronomismus’-Forschung ist jedenfalls ein Band von einiger Bedeutung entstanden - selten genug bei der Inflationsgattung "FS".

Natürlich sind die 28 Beiträge nicht von gleichem Gewicht und Reiz. Wollte ich jeden einzelnen auch nur mit ein paar Zeilen referieren, brauchte ich das Vielfache des mir zugestandenen Platzes. Ich ziehe mich so aus der Affaire, daß ich für die Interessierten (die das Buch außerhalb einer UB kaum in die Hand bekommen dürften) wenigstens eine komplette Inhaltsangabe biete, sodann (arg verkürzend und ganz subjektiv) das heraushebe, was mir wichtig erscheint.

I. Deuteronomy: G. Braulik, Die Völkervernichtung und die Rückkehr Israels ins Verheißungsland. Hermeneutische Bemerkungen zum Buch Deuteronomium (3-38); R. D. Nelson, h.erem and the Deuteronomic Social Conscience (39-54); W. H. Schmidt, Das Prophetengesetz Dtn 18, 9-22 im Kontext erzählender Literatur (55-69); F. García López, Deuteronomio 31, el Pentateuco y la Historia Deuteronomista (71-85); E. Talstra, Deuteronomy 31: Confusion or Conclusion? The Story of Moses’ Threefold Succession (87-110); C. J. Labuschagne, The Setting of the Song of Moses in Deuteronomy (111-129).

II. Deuteronomistic History: N. Lohfink, Geschichtstypologisch orientierte Textstrukturen in den Büchern Deuteronomium und Josua (133-160); E. Noort, The Traditions of Ebal and Gerizim: Theological Positions in the Book of Joshua (161-180); E. Blum, Der kompositionelle Knoten am Übergang von Josua zu Richter. Ein Entflechtungsvorschlag (181-212); C. Houtman, Zwei Sichtweisen von Israel als Minderheit inmitten der Bewohner Kanaans. Ein Diskussionsbeitrag zum Verhältnis von J und Dtr(G) (213-231); E. Eynikel, The Portrait of Manasseh and the Deuternomistic History (233-261); K. A. D. Smelik, The New Altar of King Ahaz (2 Kings 16): Deuteronomistic Re-interpretation of a Cult Reform (263-278); B. Becking, From Apostasy to Destruction: A Josianic View on the Fall of Samaria (2 Kings 17,21-23) (279-297).

III. Deuteronomic Traditions and the Pentateuch: J. Van Seters, The Deuteronomistic Redaction of the Pentateuch: The Case against It (301-319); E. Otto, Das Deuteronomium als archimedischer Punkt der Pentateuchkritik. Auf dem Wege zu einer Neubegründung der de Wette’schen Hypothese (321-339); H. Ausloos, Les extrêmes se touchent ... Proto-Deuteronomic and Simili-Deuternomistic Elements in Genesis-Numbers (341-366); J. L. Ska, L’appel d’Abraham et l’acte de naissance d’Israel. Genèse 12,1-4a (367-389); H.-C. Schmitt, Die Josephsgeschichte und das deuteronomistische Geschichtswerk. Genesis 38 und 48-50 (391-405); G. I. Davies, KD in Exodus: An Assessment of E. Blum’s Proposal (407-420); P. Weimar, Exodus 12, 24-27a. Ein Zusatz nachdeuteronomistischer Provenienz aus der Hand der Pentateuchredaktion (421-448); W. Johnstone, From the Mountain to Kadesh, with Special Reference to Exodus 32,30-34,29 (449-467); C. T. Begg, The Destruction of the Golden Calf Revisited (Exod 32,20/Deut 9,21) (469-479); T. C. Römer, Nombres 11-12 et la question d’une rédaction deutéronomique dans le Pentateuque (481-498).

IV. Miscellanea: R. Rendtorff, Die Herausführungsformel in ihrem literarischen und theologischen Kontext (501-527); J. Lust, The Vocabulary of LXX Ezekiel and Its Dependence upon the Pentateuch (529-546); L. Dequeker, Nehemiah and the Restoration of the Temple after the Exile (547-567); R. Smend, Abraham Kuenen (1828-1891). Ein Klassiker der Einleitungswissenschaft (569-586); J. A. Soggin, pîsôn e gîhôn. Osservazioni su due fiumi mitici nell’ ’eden (587-589).

In Teil I geht eigentlich nur Braulik über die Betrachtung eines einzelnen Dtn-Textes hinaus. Er ließ sich für die Frage nach Gewalt und Krieg im Pentateuch, insbesondere im Dtn, von Brekelmans’ Diss. "De herem in het Oude Testament" (1959) anregen. Er kann sich dabei auf Überzeugungen berufen, die in neueren Darstellungen opinio communis sind: "Denn die Theorie, zu der die dtr Literatur die Vernichtungsweihe der Gesamtbevölkerung Kanaans ausgebaut hat, ist ein ideelles Konstrukt" (6); vgl. dazu auch den von N. Lohfink herausgegebenen Sammelband "Gewalt und Gewaltlosigkeit im AT" (1983). B. kümmert sich nicht um literarhistorische Probleme, sondern liest das Dtn "methodisch synchron und im Gesamtgefüge des endgültigen Pentateuch" (9), konzentriert sich auch nicht auf die legislativen, sondern auf die das Exil und die Heimkehr berührenden Texte (Dtn 29 f.). Das Resultat ist ebenso klar wie voraussehbar: "Die archaisch-sakrale Vorstellung des heraem lebt in der literarischen Fiktion des Dtn nur in der erzählten Landeroberungszeit ... Die Wiederinbesitznahme des Väterlandes wird ohne gewaltsame Aktion geschehen" (37). Der schlichte Gedankengang des Aufsatzes leidet ein bißchen darunter, daß B. nicht nur alles kennt, sondern (in Fußnoten) auch nennt. - Thematisch schließt Nelsons mehr begriffsorientierter Beitrag hier sehr gut an.

Teil II enthält etliche interessante Beiträge zum DtrG. Wahrscheinlich ist es die instinktive Abwehr gegen alles Ungewohnte, besonders gegen alles Gewollte, wenn ich bei Lohfink schon die Überschrift nicht verstehe: Was sind "geschichtstypologisch orientierte Textstrukturen", "geschichtstypologische Aussagen (GTA)", "geschichtstypologische Reihen (GTR)"? Gemeint ist etwas vergleichsweise Banales: In Dtn 1-3 findet sich (in verschiedenen literarischen Schichten!) die Wendung "so wie er/wir getan hatte(n)". Während ich diese ,Formel’ im Kommentar in gewohnter Einfalt nur beiläufig traktierte, entdeckte L. mit scharfem Blick, daß es sich hier um eine "GTR" nach dem Schema der von L. und Braulik geglaubten "Siebengruppierungen" im Dtn handelt - unbekümmert um Fragen der Textentstehung. Dummerweise findet dieser Befund von Dtn 1-3 aber eine inner-dtn Fortsetzung, die die ,heilige Zahl’ verdirbt (so auch in Jos 10). Aber L. gelangt zu einer bezwingenden Formel: "Die eigentlich dtr Belege (wo es nützlich erscheint, geht es auch ,diachron’: L. P.) der GTA im Dtn und in Josua entsprechen einander in ihrer Anordnung spiegelbildlich: (7+1) +(1+7)" (135): "na bravo", sagt meine Wiener Schwiegertochter in solchen Fällen. Die denkbaren Einwände gegen das Zahlenspiel, die L. natürlich kennt, tut er mit eleganter Gebärde ab (154 f.).

Ganz ohne Formel- und Konkordanzorgien ("In dem ... Entflechtungsvorschlag spielen Sprachstilargumente keine tragende Rolle ...", 211), dafür aber mit dem Blick des Tetrateuchforschers untersucht Blum den wohl bleibend umstrittenen Zusammenhang von Pentateuch/Hexateuch und DtrG. Sein Aufsatz ist nur für Kenner dieser weiten literarischen Landschaft geschrieben, für diese aber nützlich, weil über allerlei gängige Deutungsmuster hinausgehend. B. betrachtet also "die kompositionellen Fäden zwischen Jos 21 und Ri 3" (182-211!). Was er will und erreicht, erkennt man leicht an ein paar Zwischentiteln: die Hauptschicht des DtrG oder: die vollendete Landnahme; die DtrG-Fortschreibung oder: die nicht-eroberte Peripherie; die Mal’ak-Fortschreibung oder: das übertretene Bündnisverbot; die Hexateuch Fortschreibung oder: "Das Torabuch Gottes" - usw. Ich rate allen auf diesem Felde Ackernden zur Beachtung des Artikels.

Einen fulminanten ,Mode-Artikel’ offeriert Houtman. Er geht aus von einer Spätdatierung des Jahwisten, den er im Unterschied zu van Seters dem Dtr(G) wenigstens nicht nach, sondern vorordnet. Materialiter vergleicht er Israels Verhältnis zu den Bewohnern Kanaans in der Genesis einerseits (Völker-Freundschaft), in der dtn/dtr Literatur andererseits (Völker-Abwehr) - mit dem Ergebnis: "Nicht der Anti-Kanaanismus des Dtn, sondern eine ’philo-Canaanite tendency’ (A. van Selms) gibt in der Genesis den Ton an" (227). Obwohl H. selbst sieht, daß dieses Thema bei den Vertretern eines "späten J" keine Rolle spielt, plädiert er für das m. E. historisch, politisch und theologisch ganz Unwahrscheinliche: Die beiden Positionen seien nicht durch Jahrhunderte von einander getrennt, weil durch das (noch) selbstbewußte und das (schon) ohnmächtige ,Israel’ geprägt, sondern: "Beide Stimmen können gleichzeitig aus einander polemisierenden Kreisen erklungen sein" (228; vgl. 217).

Der eben genannte van Seters eröffnet Teil III mit der für eine FS Brekelmans geziemenden Frage nach einer dtr Redaktion des Pentateuch. Zunächst überprüft er den Textbereich Jos- 2Kön, wobei er "no basis for a DtrN redaction of the DtrH" findet (310), wie ich selbst sie im Dtn auch nicht finde. Beim anschließenden Vergleich bestimmter im Tetrateuch und im DtrG überlieferter Stoffe (exemplarisch Dtn 1-3par.) kommt er zu der Ansicht: "It would be remarkable indeed if Dtr had before him the J text ..." (317). Ausgerechnet in Leuven hatte ich schon 1983 das Gegenteil behauptet; hier wäre eine Auseinandersetzung wünschenswert gewesen.

E. Otto will zeigen, "daß die de Wette’sche Hypothese glänzend bestätigt wird, wenn man ... die Literaturgeschichte des Dtn auf sicher datierte außerbiblische Texte stützt" (338). Abgesehen vom generellen Widerstand gegen die immer schwächer begründeten Spätdatierungen, beruft sich O. (gegen zuletzt D. Veijola) darauf, daß Dtn 13 unter direktem Einfluß der Thronfolgeidee Asarhaddons ausformuliert sei. Diese Rezeption müsse aber zwischen 672 (Abfassungsjahr der Texte) und 612 v. Chr. (Untergang des neuassyrischen Reiches) geschehen sein. "Wenn so die Datierung der Abfassung von Textteilen des Dtn in der Josiazeit gesichert ist, stellt sich die Frage nach der historischen Zuverlässigkeit von 2Kön 22-23 aller literaturhistorischen Kritik durch Spätdatierungen in diesem Text zum Trotz neu" (334).

Für die Vorgabe der Redaktion der ThLZ habe ich schon zu viel, in der Sache aber viel zu wenig berichtet. So höre ich schlicht auf - nicht ohne Dank für das hier unerläßliche Register der Bibelstellen (609-634) und nicht ohne Glückwünsche für den 75jährigen Jubilar, der eine der seltenen nützlichen Festschriften empfing. Seine hier nicht genannten Verehrer unter den Autoren bitte ich um Nachsicht.