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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

680–682

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Chadwick, Owen

Titel/Untertitel:

Die Geschichte des Christentums. Aus dem Engl. von F. Börner u. C. Plieninger.

Verlag:

Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1996. 303 S. m. 204 Abb., dav. 98 farb. 4. Lw. DM 98,-. ISBN 3-421-05041-4.

Rezensent:

Kurt Nowak

Owen Chadwick, Oxfords namhafter Kirchenhistoriker, legte 1995 bei Weidenfeld & Nicolson in London "A History of Christianity" vor. Es handelt sich um einen repräsentativen Text-Bild-Band, der für ein breites Publikum geschrieben ist. Die deutsche Ausgabe folgte rasch. Geschichten des Christentums, unterschiedlich nach Umfang und Anspruch, erscheinen in letzter Zeit bemerkenswert häufig. Erinnert sei lediglich an den leider wenig geglückten Band von John McManners [Hrsg.]: Ge-schichte des Christentums. Frankfurt/Main 1993 und an das Monumentalwerk von Jean-Marie Mayeur u. a. [Hrsg.]: Die Ge-schichte des Christentums. Freiburg-Basel-Wien 1990 ff.

Bei einem Gesamtumfang von 303 Seiten, von denen die Seiten 286-303 für Chronologie, Register, Literatur und Bildnachweise Verwendung finden und von denen etwa 50 % den Abbildungen vorbehalten sind, mußte der Vf. darstellungsökonomisch scharf kalkulieren (auch wenn die Textseiten zweispaltig gedruckt sind). Eingeteilt hat er sein Thema in sechs Kapitel: Kap. 1: "Juden und Griechen", Kap. 2: "Das christliche Reich", Kap. 3: "Ost-Rom", Kap. 4: "Die westliche Gesellschaft im Mittelalter", Kap. 5: "Die Neue Welt und die Reformen der Kirche" und Kap. 6: "Das Zeitalter der Moderne".

Die Originalität der Darstellung wird erst sichtbar in der Kapitel-Feingliederung. Sie ergibt sich aus der Entscheidung des Vf.s, keinen Wert auf gedrängte Information im Stil von Lexika zu legen, sondern auf die ruhige Beleuchtung von Einzelheiten des riesigen Panoramas zu vertrauen. Freilich darf man nicht nur auf die Texte blicken. Die Abbildungen - durchweg von guter bis sehr guter Qualität - sind integraler Bestandteil jener komplexen Perspektiven, die sich beim Gang durch die zweitausendjährige Geschichte des Christentums auftun.

Eine besonders akzentuierte Theorie der (Christentums-)Ge-schichte liegt dem Buch nicht zugrunde. Den Theorieehrgeiz hat der Autor schon deshalb zügeln müssen, weil ihm daran lag, anschaulich und - was den Kenntnisstand der Leser angeht - voraussetzungslos zu erzählen. "Alle Religion ist das Sehnen der Menschheit nach dem, was Bestand hat. Deshalb kann das Haupt-interesse der Religion nicht der Geschichte gelten, weil diese der Zeit unterworfen ist und sich jeden Augenblick ändert" (7). So lauten die ersten Sätze des Buches, und in ähnlichem Ton klingt das Werk aus: "Es gab immer das Gefühl der Ewigkeit und den Glauben an eine letzte Ordnung und ein letztes Ziel aller Dinge" (284). Die Geschichtsdarstellung erwächst aus einer Haltung der Gelassenheit.

Ch. läßt die Geschichte des Christentums zum historischen "Epiphänomen" einer tieferen Wirklichkeit werden. "Das Licht auf der Straße nach Damaskus entstand jenseits von Geschichte und Zeit, es kam aus der Ewigkeit" (9). Den Historiker interessiert, wie das Ewige in die Zeit hineinwirkt: in eine Welt, die dem ständigen Wandel unterliegt, aber in der Tradition verwurzelt bleibt. Dieses Interesse ist, wenn man so will, der konzeptualisierende Aspekt, die "Theorie".

Ch.s darstellungsökonomischer Kunstgriff - die Beleuchtung von Teilen - gelingt deshalb, weil er in der Feingliederung der großen Kapitel zum künstlerischen Mittel des Perspektiven wechsels greift. So stehen im Kapitel "Die Neue Welt und die Reformen der Kirche" (um es an diesem Beispiel zu verdeutlichen) die Entdeckung Amerikas und "Das Oratorium" dicht beieinander. "Das Oratorium" meint keineswegs nur die Gründung Filippo Neris. Das Stichwort führt den Vf. in die Kirchenmusik des 17./18. Jh.s (218). Überhaupt ist hervorzuheben, wieviel Raum Ch. der Kunst läßt. Längere Passagen sind den Werken Michelangelos und Raffaels gewidmet, den Kirchenliedern, der literarisch anspruchsvollen Predigt. Oder: Neben dem Unterkapitel "Die Religionskriege" steht "Das Barock".

Vergleicht man Umfang und Gewicht dieser beiden Texte, wird eine weitere Eigentümlichkeit von Ch.s Darstellung deutlich. Die Ereignisgeschichte tritt hinter die Geistes-, Frömmigkeits- und Kunstgeschichte (in diesem konkreten Fall hinter die Architekturgeschichte) zurück. Ähnlich verfährt der Vf. in den anderen Kapiteln, ohne die Gesamtkonturen und treibenden Kräfte hinter dem Horizont versinken zu lassen. Herangeführt hat Ch. seine Darstellung bis an die Schwelle der Gegenwart. Eine der letzten Abbildungen des Buches zeigt eine Kommunion in Bristol 1994 durch eine anglikanische Priesterin.

Im Angebot der Christentumsgeschichten der letzten Jahre, unter denen auch die zahlreichen, in aller Regel schnell vergessenen Bild-Text-Bände geschäftsorientierter Massenverlage ge-nannt werden könnten, nimmt Ch.s Buch einen besonderen Platz ein. Kritisch läßt sich allenfalls anmerken, daß das Be-mühen um Entlastung von gelehrtem Ballast gelegentlich Vereinfachungen hervorbringt. Der Leser sieht es und verträgt es, weil er weiß: gleich im nächsten oder übernächsten Satz wird er wieder auf eine Perle stoßen.