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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

797 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kleiner, Michael

Titel/Untertitel:

Saul in En-Dor – Wahrsagung oder Totenbeschwörung? Eine synchrone und diachrone Analyse von 1Sam 28,3–25.

Verlag:

Leipzig: Benno 1995. XIX, 239 S. gr.8 = Erfurter Theologische Studien, 66. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7462-1116-6.

Rezensent:

Fritz Stolz

Die Erfurter Dissertation von 1991 (neuere Literatur ist deshalb nicht mehr berücksichtigt, vgl. ergänzend den Forschungsbericht von W. Dietrich/Th. Naumann, Die Samuelbücher, Darmstadt 1995) behandelt die Erzählung von Sauls Besuch bei der Totenbeschwörerin von En-Dor nach den Regeln der Kunst, wie sie im Proseminar erlernt werden; als Leitfaden dient die (neutestamentliche) Methodenlehre von W. Egger (Freiburg 1987). Aufriß und Stil folgen dem Genus einer Proseminararbeit in höchster Perfektion.

Die Arbeit setzt ein mit einer Analyse von Textbestand und Textgestalt. Ein umfangreiches Kapitel ist sodann den Wortfeldern von Divination und Evokation gewidmet, wobei der Vf. die vorliegende Forschung am biblischen Material überprüft und für seinen Textbestand auswertet. Die Unterscheidung zwischen Di-vination und Evokation erweist sich als wesentlich: Im einen Fall geht es um einen Vorgang der Konsultation (Verben des Aufsuchens, Befragens, Antwortens mit entsprechenden Rollen und Techniken: sa'al, daras, 'ana-, h.alam, qasam, 'ûrîm, nabî'), im anderen um den Vorgang einer eigentlichen Beschwörung, welche mit spiritistischen Erscheinungen der Gegenwart in Zusammenhang gebracht wird (hæ'æla-, qara', 'ôb, jidde'onî). Ausführlich werden insbesondere 'ôb und jidde'onî diskutiert, und zwar im Anschluß an J. Tropper (Nekromantie. Totenbefragung im Al-ten Orient und im Alten Testament, Neukirchen 1989); die religionsgeschichtliche Ableitung von Ausdruck und Sache und J. Ebach/U. Rüterswörden (Unterweltsbeschwörung im Alten Te-stament. Untersuchungen zur Begriffsgeschichte des ôb, UF 9, 1977, 57 ff. und 12, 1980, 205 ff.) werden abgewiesen. Als wichtig erweist sich, daß die beiden Ausdrücke in V. 3 bzw. 9 unterschiedlich zu übersetzen seien, nämlich "Ahnenkultbilder" bzw. "Totenbeschwörer" - das gibt später einen Anhaltspunkt für Li-terarkritik (109 ff.). Abschnitte zur Textsemantik und zur narrativen Analyse zeichnen die Strukturierung der verwendeten Inhalte und deren Kontexte sowie den Erzählvorgang nach. Als Fazit ergibt sich: "Das dramatische Geschehen... ist auf seine Weise eine Tragödie" (167).

An die synchronen Untersuchungen werden diachrone angeschlossen; sie orientieren sich wie üblich an Spannungen und Widersprüchen, aus denen literarkritische Folgerungen abgeleitet werden; und wo diese Methode als ausgereizt erscheint, folgen überlieferungsgeschichtliche Überlegungen, welche die mündliche oder noch instabile Überlieferung betreffen. Schließlich wird die Betrachtung umgekehrt und redaktionsgeschichtlich zu Ende geführt, wobei nun Partien, die zunächst literarkritisch ausgesondert wurden, ihren redaktionsgeschichtlichen Platz finden (etwa die dtr. Kontextbildung in V. 17 f.).

Eine Hauptintention der Arbeit liegt in der Klärung der hypothetischen vorliterarischen Geschichte des Textes. Der Vf. nimmt an, daß zunächst eine (historisch noch relativ nahe an den Ereignissen zu situierende) Sage vorlag, in welcher Saul in aussichtsloser politischer Lage eine Divination suchte: Er bemüht sich bei einer Spezialistin erfolglos um einen Gottesbescheid (bzw. er erhält einen nicht mehr überlieferten negativen Bescheid), bricht im Bewußtsein seines Scheiterns zusammen und wird durch die Frau mit einem Mahl wieder gestärkt, um seinen letzten Gang zur Entscheidungsschlacht anzutreten. Die Frau wäre also eine wesentliche Figur dieses hypothetischen ältesten Erzählstratums; und hier hätte die Umformung eingesetzt: Statt der Frau wird ein (zunächst anonymes) Unterweltsnumen zur Instanz, welches die negative Auskunft gibt (damit wird aus der Divination die Totenbeschwörung), und dieses Numen wird schließlich mit Samuel identifiziert; ungefähr in dieser Gestalt unterliegt die Geschichte der Verschriftung.

Wie viele andere bestimmt der Vf. die Rolle Sauls als die des tragischen Helden. "Den, der es wagt, der Übermacht von Feinden im Eintreten für andere todesmutig entgegenzutreten, be-zeichnen wir als Helden. Zu Recht" (198). Dies soll insbesondere für die frühe Überlieferung gelten. Man hätte damit zu rechnen, daß im Kreis von Sympathisanten die "tragische Heldensage" überliefert worden wäre. Warum "reicht" es diesem Tradentenkreis nicht, wenn eine Frau die Katastrophe auslöst, welche Bedeutung hat die behauptete Umformung der Divination zur Evokation? Hat die (schon einer alten Schicht zugerechnete) Be-merkung, Saul habe zu Lebzeiten gewisse mantische Praktiken unterbunden, einen historischen Gehalt? Was wäre die Funktion dieser Sage gewesen? Hätte sie eine Identifikation gestiftet wie die Sagen erfolgreicher Helden? Welche Bedeutung hat "Tragik" in diesem Zusammenhang? Solche (und viele weitere) Fragen, geschweige denn Antworten darauf, sucht der Leser vergeblich.