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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

539–541

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Braulik, Georg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bundesdokument und Gesetz. Studien zum Deuteronomium.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 1995. VII, 198 S. gr. 8° = Herders Biblische Studien, 4. Lw. 82,-. ISBN 3-451-23623-0.

Rezensent:

Eduard Nielsen

Am 26.-27. Juli 1993 fand in Münster ein Symposium "zum Deuteronomium" statt unter dem Vorsitz von Georg Braulik. Teilnehmer waren katholische wie protestantische, europäische wie amerikanische Gelehrte, die sich verschiedenerweise um die Erforschung des Dtn.s bemüht hatten. Die insgesamt zehn Vorträge sind jetzt in überarbeiteter und teilweise erweiterter Form veröffentlicht worden, in alphabetischer Abfolge der Autoren eingereiht.

In drei von den Vorträgen wird der Einfluß der neu-assyrichen Vertragsdokumente, besonders des Vertrags Asarhaddons zur Sicherung der Thronfolge im Jahre 672 v.Chr., auf das Dtn dargestellt. Manfred Krebernik zeigt in seinem Beitrag "M. Weinfelds Deuteronomiumskommentar aus assyriologischer Sicht" (27-36) in übersichtlicher Weise die Analogien und die Unterschiede zwischen EST (Esarhaddon's Succession Treaty) und dem Dtn und findet es durchaus denkbar, "daß judäische Theologen... auf diesen konkreten Vertrag anspielten, um den Bund Israels mit Jahwe darzustellen und inhaltliche Kontraste durch formale Analogien zu unterstreichen" (35). Der Titel des Vortrags ist insofern irreführend, als eine Auseinandersetzung, von zwei Einzelfällen (32 mit Anm. 8 und 33 mit Anm.11) abgesehen, mit Weinfelds Kommentar fehlt. Bernard M. Levinson handelt in seinem Vortrag "'But You Shall Surely Kill Him!'. The Text-Critical and Neo-Assyrian Evidence for MT Deuteronomy 13:10" (37-63) die Frage nach dem ursprünglichen Wortlaut von Dtn 13,10 ab. Zuerst zeigt er, daß sämtliche Versionen, jede auf ihre Weise, dem Eindruck, es solle sich in Dtn 13,10 um Lynch-Justiz handeln, zu entgehen und das Gesetz in Übereinstimmung mit dem Zeugen-Gesetz von Dtn 17,2-7 zu bringen suchen. Danach findet er in EST, wo Weinfeld einen Rückhalt für die Lesart der LXX "Zeige ihn an!" aufgedeckt hatte, eine Analogie zur Lesart von MT: Hört man von Rebellen gegen Assurbanipal und ist man im Stande dazu, sie zu ergreifen, soll man sie sofort töten. (NB! Druckfehler im Schema von S. 50: Vg, nicht TgO, hat die passivische Konstruktion.) In seinem Vortrag "Eine assyrische Vorlage für Deuteronomium 28,20-44" (118-141) stellt Hans Ulrich Steymans die Fluchreihe in Dtn 28,20-44, die gewöhnlich zum (dt) Grundbestand des Kap.s gerechnet wird, von den Fluchsequenzen des Asarhaddon-Vertrags gegenüber. Obwohl Abweichungen in der Anordnung der Flüche beobachtet werden können, sind die Ähnlichkeiten zwischen VTE (=EST) und Dtn 28,20-44 derart auffallend, daß man vermuten darf, dem biblischen Verfasser habe die Fluchsequenz von VTE vorgelegen. Dann darf auch gefolgert werden, daß Dtn 28,20-44 in der Zeit zwischen 672 und 587 v.Chr. entstanden ist.

Fortunatus Nwachukwu durchmustert (79-92) in seinem Vortrag "The Textual Differences Between the MT and the LXX of Deuteronomy 31", mit dem Untertitel "A Response to Leo Laberge", d.h. zu seinem in BEThL 94, 1990, S.143-160, veröffentlichten Vortrag "Le Texte de Deutéronome 31 (Dt 31,1-29; 32,44-47)", die Unterschiede zwischen MT und LXX und ist gegenüber MT etwas positiver als Leo Laberge. Raymond Westbrook öffnet unter der enigmatischen Überschrift "Riddles in Deuteronomic Law" (159-174) neue Wege zur Erklärung der rätselhaften Anordnung gewisser dt. Gesetze, nach Analogien aus den altorientalischen Gesetzessammlungen sowie aus dem römischen Recht. Sein Vorschlag, statt auf phantasievolle Metaphern oder Allegorien lieber auf die altorientalischen Schreiber-Tradition zu bauen, leuchtet unmittelbar ein. Eine bessere, obwohl nicht überzeugende, Erklärung der Einordnung von Dtn 25,4 unter strafrechtliche Paragraphen ("back, head, foot, front", 173) kenne ich nicht. Mit der Analyse von Dtn 8 beschäftigt sich Timo Veijola in seinem Vortrag ",Der Mensch lebt nicht von Brot allein'. Zur literarischen Schichtung und theologischen Aussage von Deuteronomium 8" (143-158). Die Hand zittert ihm nicht, er findet eine Grundschicht in 8,7a.10a.11a.14bß.17-18, eine Ergänzung dazu liegt in V.7b-9. 10b.12.14aba.15-16 vor, und ein dtr Redaktor, der seine Spuren auch in Kap. 6 und 7 hinterlassen hat, hat mit der Einrahmung des ganzen, V.1.11b.18.19-20, beigetragen. Schließlich wurde eine kleine, aber schöne, theologische Abhandlung (von der die Überschrift des Vortrages herstammt) hinzugefügt. Sie gehört der Spätstufe des Deuteronomismus, zur welchen auch Dtn 4,36-40 und 7,7-11 gerechnet werden müssen. Es wundert mich von Zeit zu Zeit, mit welcher Sicherheit heutzutage die biblischen Texte abgeschält und mit welcher Entschiedenheit sie in spätexilische oder nachexilische oder spätnachexilische Zeit zurückdatiert werden. Es soll damit nicht verneint werden, daß der Beitrag von Veijola außerordentlich lesenswert ist.

Von wichtigen Stufen der Redaktionsgeschichte des Dtn handeln drei Vorträge. Christa Schäfer-Lichtenberger arbeitet in ihrem Vortrag "Der deuteronomische Verfassungsentwurf. Theologische Vorgaben als Gestaltungsprinzipien sozialer Realität" (105-118) mit drei Grundsätzen der vor-dtr. Theologie: Alleinverehrung Jahwes, nur eine Kultstätte und Israel als eine Gemeinschaft von Gleichrangigen. In dem Verfassungsentwurf von Dtn 16,18-18,22 sind diese Grundsätze, so weit wie möglich, gegeneinander abgestimmt worden. Die beiden Gesetze von Königtum und Prophetentum, 17,14-20 und 18,9-22, die parallel aufgebaut und mit historisierenden Gebotseinleitungen ausgestattet sind, sind einheitlich und gehören zu einer dtr Redaktion, die die Machtentfaltung eines Königs und die Autorität eines Propheten durch Hinweis auf die Tora einzuschränken sucht. Ob vielleicht dann die Überschrift des Vortrages (deuteronomische) als ein wenig irreführend angesehen werden muß? In seinem Vortrag "Von der Programmschrift einer Rechtsreform zum Verfassungsentwurf des Neuen Israel" mit dem Untertitel "Die Stellung des Deuteronomiums in der Rechtsgeschichte Israels" (93-104) setzt sich Eckhart Otto mit Georg Braulik, was die Entstehungsgeschichte des Dtn betrifft, auseinander. Während Braulik die Gestalt des Dtn.s durch eine Theorie von sukzessiven Anwachsen von Blöcken (vorexilisch 12-16+26; exilisch 16,18-18,22, und nachexilisch 19-25) erklären will, behauptet Otto, daß das dtn Dtn in Kap.12-26 als eine das Bundesbuch reformierende Schrift, die auf Grund von neu-assyrischer Motivik (!) Loyalitätsansprüche des assyrischen Großkönigs zugunsten Jahwes, dem Judas Loyalität gilt, zurückweist, aufgefaßt werden muß. Zur Illustration wird Dtn 19 analysiert, und schließlich werden mehrere dtr Redaktionen hinter der "Programmschrift für das Neue Israel nach dem Exil" in Dtn 12-26 aufgedeckt. Georg Braulik will mit seinem Vortrag "Die dekalogische Redaktion der deuteronomischen Gesetze. Ihre Abhängigkeit von Levitikus 19 am Beispiel von Dtn 22,1-12; 24,10-22 und 25,13-16" (1-25) die in seinem Dtn-Kommentar dargestellte These von einer nachexilischen, an dem 5. bis 10. Gebot des Dekalogs orientierten Redaktion durch Vergleichungen mit Gesetzen aus dem Heiligkeitsgesetz erhärten. Die Dekalogkatechese von Lev 19 wird als Grundlage der "dekalogischen Redaktion" der dtr Gesetze behauptet; wenn Lev 19 als Programm der spätexilischen Gemeinde festgestellt wird, kann die nachexilische Redaktion von Dtn 19-25 gefolgert werden.

Mit der Endgestalt des Dtn.s befaßt sich Norbert Lohfink, dem mindestens drei von den Beiträgen dieses Buches als Geburtstagsgrüße förmlich gewidmet sind. In "Zur Fabel des Deuteronomiums" (65-78) wendet er den literaturwissenschaftlichen terminus Fabel, der etwa mit Erzählstruktur übersetzt werden kann, auf das Dtn in seiner Jetzt-Gestalt an. Hier wird erzählt, wie Mose an einem und demselben Tage eine Volksversammlung einberief, die Gesetze vortrug, den Bund zwischen Jahwe und Israel schloß, Josua als seinen Nachfolger einsetzte, das Volk durch das Lied verwarnte und danach segnete, und wie er zuallerletzt auf dem Befehl Gottes den Berg Nebo bestieg, um dort zu sterben.

Die Veröffentlichung der Vorträge dieser Konferenz ist besonders erfreulich, weil der Leser in die neueste Diskussion über die dtn Frage(n) hineingeführt wird.