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Ausgabe:

Oktober/2000

Spalte:

1036–1038

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Thümmel, Hans Georg

Titel/Untertitel:

Die Memorien für Petrus und Paulus in Rom. Die archäologischen Denkmäler und die literarische Tradition.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1999. X, 102 S., 66 Taf. gr.8 = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 76. Lw. DM 98,-. ISBN 3-11-016642-9.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

In der überarbeiteten Fassung der auf das Jahr 1979 zurückgehenden Studie greift Hans Georg Thümmel ein Problem auf, um das es nach breiter Diskussion in den 50er und 60er Jahren inzwischen eher ruhig geworden ist: die "frühen literarischen und archäologischen Zeugnisse ... für die Wirksamkeit und den Tod der beiden Apostel (scil. Petrus und Paulus) in Rom (... und ...) die Frage nach der Frühgeschichte ihrer Gedenkstätten und ihres Kultes" bis zur Zeit Konstantins (1).

Nach einer knappen Untersuchung der frühen literarischen Traditionen (3-14) folgt zunächst die detaillierte Würdigung der Ergebnisse der archäologischen Ausgrabungen unter der Palliennischen in St. Peter (1940-1949 und 1953-1957, 15-72). Der Vf. nimmt sich vor, das Material und vor allem die Grabungsberichte "in neuer Weise" kritisch anzugehen, setzt methodisch bei dem an, was die Ausgräber tatsächlich im Verlauf der schwierigen Grabung haben sehen können, und stützt sich mehr auf die publizierten Bilder als auf ihre oft erst im Nachhinein rückerschlossenen und z. T. skandalös ungenauen Beschrei- bungen. In minutiöser, ihrerseits geradezu "archäologischer" Kleinarbeit kann der Vf. mit guten Gründen plausibel machen, dass die Entstehungsgeschichte der Grabanlage Q und des benachbarten Hofes P in zwei Phasen verlief und die berühmte Aedicula (sehr wahrscheinlich das von Gaius erwähnte Petrus-Tropaion, Eusebius, h.e. 2,25,7) anders ausgesehen haben muss als bisher angenommen. Sicher scheint nur, dass die um 160-165 errichtete "Rote Mauer" mit Nische eine Petrusmemoria war, wenn auch keines der "zufällig im Gelände" liegenden (72) früheren Gräber vor das 2. Jh. datiert werden kann und für die Anlage der Aedicula prägend gewesen war (abgesehen davon, dass sich keines als eindeutig christlich erweisen lässt). Keines der Gräber kann somit als das echte "Petrusgrab" gelten, daher entbehren die Spekulationen, ob unter den in einer Seitennische geborgenen Gebeinen die des Petrus sind, jeglicher Grundlage (68-72).

Warum aber wurde die Memoria errichtet? Für den Vf. verbietet es sich, "mit der üblichen Kontinuität an Kultorten zu argumentieren und so das Jahrhundert, das zwischen dem Tode der Apostel und den ersten Memorien liegt, zu überbrücken" (96). Immerhin kannte man zur Zeit der Errichtung der Aedicula weder den genauen Ort des Petrusgrabes (möglicherweise aber "aufgrund lebendiger Tradition ... die nähere Gegend", 97) noch die exakten Todestage der Apostel. Bezeichnend ist jedoch, dass der Bau in ein Jahrhundert fällt, "an dessen Ende allererst ein Heiligengedenken sich herausbildet" (96). Zunächst war die Petrusmemoria freilich keine Kultstätte, sondern ein monumentales Zeugnis "für die apostolische Tradition der römischen Gemeinde" (98). Das Interesse an kultischer Verehrung stieg erst, als "die Kirche in stärkerem Maße das Brauchtum des Totenkultes übernahm, dem sie sich bisher verschlossen hatte". Im 3. Jh. wandelte sich das Gedenken zum Toten- und Märtyrerkult (98 f.), "der Märtyrerkult hat sich erst aus dem Totenkult entwickelt" (96). Dieser Schritt wird für den Vf. in den Befunden der Grabungen unter dem Mittelschiff von S. Sebastiano (in mehreren Zügen zwischen 1915 und 1946, 73-95) archäologisch greifbar. Hier ersetzte im Stil antiker Totenmäler eine Kathedra nicht nur die reale Anwesenheit der Apostel, sondern auch das Fehlen ihrer Gräber. Statt eine Reliquientranslation zu vermuten, ist eher von einer Kultübertragung auszugehen, die durch das Verbot des Besuchs der Grabanlagen unter St. Peter und wohl auch des Paulus an der Via Ostiensis im Zuge der valerianischen Verfolgung um 258 notwendig geworden war. Zur Zeit Konstantins bestand dann neben S. Sebastiano als großer Friedhofskirche mit der Möglichkeit des Apostelgedenkens auch die Peterskirche als "Memoria im eigentlichen Sinne" zur Auszeichnung des Locus sanctus (101). Insofern kann die sorgfältige Auswertung archäologischer Befunde trotz aller Hindernisse einen wichtigen Aspekt frühchristlichen Lebens deutlicher ins Blickfeld rücken.

Schade ist, dass eine explizite Auseinandersetzung mit neueren Diskussionen des archäologischen Befundes, allen voran der weitaus weniger kritischen von Peter Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten. Untersuchungen zur Sozialgeschichte, Tübingen 21989 (WUNT II 18), 82-94 unterbleibt. Hinzuweisen ist auch darauf, dass die wissenschaftliche Publikation der Gräberstraße unter St. Peter weiter voranschreitet: H. Mielsch, H. v. Hesberg, K. Gaertner, Die Heidnische Nekropole unter St. Peter in Rom. Die Mausoleen A-D, Rom 1986 und H. Mielsch, H. v. Hesberg, Die heidnische Nekropole unter St. Peter in Rom. Die Mausoleen E-I und Z-Psi, Rom 1995; zu den epigraphischen Befunden vgl. u. a. W. Eck Inschriften und Grabbauten in der Nekropole unter St. Peter, in: G. Alföldy (ed.), Vom frühen Griechentum bis zur römischen Kaiserzeit. Gedenk- und Jubiläumsvorträge am Heidelberger Seminar für Alte Geschichte, Stuttgart 1989 (HABES 6), 55-90.

Trotz aller immer noch bestehenden zwangsläufigen Abhängigkeit von der Qualität dessen, was publiziert ist, stellt das Buch durch seine sorgfältige Aufbereitung des Materials, die argumentative Klarheit und gute Lesbarkeit zweifellos einen großen Fortschritt dar und bildet eine solide Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit dem wichtigen Thema christlicher Frühgeschichte und Archäologie.