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Ausgabe:

April/2024

Spalte:

359-361

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wegner, Daniel

Titel/Untertitel:

Kooperationen zwischen Diakonie und Kirche. Theologische Aspekte und Praxisanalysen zur Gemeinwesendiakonie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2023. 552 S. = Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg, 68. EUR 108,00. ISBN 9783374074020.

Rezensent:

Ulf Liedke

Mit Blick auf das Verhältnis von Diakonie und Kirche hat Eberhard Hauschildt dafür plädiert, ihre »Ausdifferenzierung … zu würdigen, weil sie beiden Organisationen gegenseitige Entlastungs- und Ergänzungsmöglichkeiten eröffnet« (2014, 49). Daniel Wegner geht in seiner Dissertation von eben diesen Chancen aus und fragt nach den Gelingensbedingungen für Kooperationen von Diakonie und Kirche. Die Arbeit ist in der Begleitung von Johannes Eurich (Heidelberg) und Alexander Dietz (Hannover) entstanden. W. ist für seine Untersuchung mit dem Wichernpreis 2023 ausgezeichnet worden. Die Forschungsfrage lautet: »Welche Aspekte sind entscheidend für das Gelingen und Scheitern der Kooperationen zwischen organisierter Diakonie und verfasster Kirche im Kontext von Armutsbekämpfung und Gemeinwesendiakonie?« (31). W. bearbeitet diese Frage in zwei Anläufen, indem er einerseits eine diakoniewissenschaftliche Grundlegung vornimmt und andererseits zwei empirische Studien auswertet.

Im ersten, theoretischen Hauptteil steht zunächst eine organisationstheoretische Reflexion kirchlich-diakonischer Kooperationen im Mittelpunkt, deren Formen und Phasen, Gelingens- und Scheiternsfaktoren, Prinzipien und Aspekte erläutert werden. W. reflektiert Kirche und Diakonie in vier Perspektiven als Organisation, Institution, Interaktion und Inszenierung (90–110; 155–165). Im Vergleich beider arbeitet er heraus, dass Unterschiede »in Bezug auf unternehmerische Ausprägung und Professionalisierung, […] Diskrepanzen zwischen Binnen- und Außenorientierung« sowie Differenzen »in formalen und informellen Strukturen und der kontextuellen Heterogenität einzelner Akteurinnen« (211) als Kooperationsherausforderungen bearbeitet werden müssen. Trotz dieser Unterschiede betont W. auch die wechselseitige Anschlussfähigkeit von Diakonie und Kirche. Sie liege u. a. in ihrer hybriden Struktur aus organisationalen, institutionellen, interaktionalen und inszenatorischen Dimensionen und in ihrer ge- meinsamen »Anschlussfähigkeit an zivilgesellschaftliche Logiken« (213).

Im Fazit hält W. fest, dass beide Akteurinnen voneinander profitieren: »diakonische Einrichtungen durch das Nutzen kirchlich-zivilgesellschaftlicher Ressourcen jenseits ihrer marktlichen und staatlichen Abhängigkeiten, Kirchengemeinden durch die Dia-konisierung ihres Handelns und die Entwicklung eines gesellschaftsrelevanten und anschlussfähigen Profils« (231).

Im Ergebnis seiner diakoniewissenschaftlichen Grundlegung hebt W. drei Prinzipien hervor, die für kirchlich-diakonische Kooperationen im Gemeinwesen wesentlich sind: (1) Die Kooperation beider Organisationen ist selbst als Organisation zu verstehen, die eines organisationalen Vertrauens, der Entwicklung geteilter Zielsetzungen und kooperativer Strukturen bedarf (310f). (2) Die Kooperation stellt ein Interaktionsgeschehen dar, durch das die bestehende organisationale Fremdheit vermindert werden kann (312). (3) Der typische Phasenverlauf von Kooperationen ist im Rahmen eines strategischen Managements zu berücksichtigen (313–315). Darüber hinaus benennt W. fünf zentrale Aspekte. Diese betreffen die Einbeziehung des Gemeinwesens, den Mehrwert für die Kooperationspartner und -partnerinnen und das Gemeinwesen, die beteiligten Personen, die Partizipation Freiwilliger, Betroffener und Bewohner sowie die Entwicklung eines gemeinsamen, kooperativen Selbstverständnisses (315–324).

Der zweite Hauptteil der Untersuchung dient der Überprüfung und Erweiterung der bisherigen Ergebnisse durch zwei mit einer methodischen Triangulation ausgewertete Forschungsprojekte, die an der Hochschule Hannover durchgeführt wurden und an denen W. beteiligt war: »Kirchenkreissozialarbeit in Niedersachsen« und das »DRIN-Projekt« der Ev. Kirche Hessen und Nassau, durch das kirchlich-diakonische Kooperationsprojekte mit dem Ziel der Armutsbekämpfung gefördert wurden. Mit Blick auf die genannten Kooperationsaspekte kommt W. zu dem Ergebnis, dass die gemeinsame Ausrichtung auf das Gemeinwesen und die Vernetzung mit weiteren kommunalen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure einen wichtigen Gelingensfaktor darstellt (364 f.412 f.510). Die Kooperationsprojekte sind stärker auf den externen Mehrwert für Adressaten bzw. das Gemeinwesen als auf den internen Mehrwert für die eigene Organisation ausgerichtet. Sie fokussieren mehr den Erfolg als das Gelingen. (365 f.413–415.510 f.). Personen sind für das kooperative Gelingen wesentlich, wobei die starke Personenabhängigkeit, verbunden mit einer schwächeren organisationalen Absicherung, auch beträchtliche Risiken birgt. Hauptamtlichen Personen kommt eine besondere Bedeutung zu. »Dabei sind besonders die Typen der Brückenbauenden und der sozialen Entrepreneur*innen wichtig.« (510)

Die Partizipation von Freiwilligen, Betroffenen und Bewohnern ist wesentlich, wird allerdings in der Umsetzung nur auf den unteren Partizipationsstufen erreicht (368.417.510). Die Entwicklung eines geteilten Selbstverständnisses ist ebenso von zentraler Bedeutung. »Wo Schnittmengen gefunden oder geteilte Haltungen und Aufträge entwickelt werden, entstehen und gelingen Kooperationen eher« (510). Starke binnenkirchliche Identitäten erschweren dagegen die Zusammenarbeit. Die Gefahr überfordernder Selbstverständnisse besteht in einem Teil der Kooperationen. In der Auswertung des DRIN-Projektes tritt außerdem der Aspekt von Nachhaltigkeit und Kooperationsverstetigung als wichtiger Gelingensfaktor hinzu. Aus der Analyse des DRIN-Projektes gewinnt W. schließlich jeweils sechs Typen gelingender bzw. misslingender Kooperationen (500–506).

Vor dem Hintergrund dieser, hier nur sehr summarisch dargestellten Forschungsergebnisse kommt W. abschließend zu Handlungsempfehlungen (512–514). Dabei betont er bezüglich des Selbstverständnisses die große Bedeutung von schöpfungstheologischen und ethischen Orientierungen. Mit Blick auf die maßgebliche Rolle von Personen plädiert W. für die Entwicklung organisationaler Strukturen, mit denen interpersonale Konflikte bewältigt werden können. Darüber hinaus spricht er sich für die Förderung multiprofessioneller Teams aus. Partizipation bleibt von zentraler Bedeutung und stellt zugleich dort eine »Heraus- und Überforderung« dar, »wo dadurch binnenzentriertes Interaktionsgeschehen und alte Strukturen aufgebrochen werden« (513). Die zielorientierte Arbeit und Ressourcennutzung unterschiedlicher Akteure und Akteurinnen ist für die Generierung eines Mehrwertes von maßgeblicher Bedeutung. Mit Blick auf das Gemeinwesen spricht sich W. für verbindliche Arbeitsgemeinschaften und die Infragestellung gewohnter Strukturen aus. In der »strategischen und strukturellen Weiterentwicklung kooperativer Organisation im Blick auf das Gemeinwesen im Zusammenspiel mit Partizipation« (513) sieht er einen neuen Organisationstyp einer kooperativ-partizipativen Kirche. Der Aspekt der Nachhaltigkeit schließlich könne durch ein fruchtbringendes Ausloten zwischen einer Projekt- und einer Nachhaltigkeitslogik berücksich-tigt werden.

Bis zur vorliegenden Studie hat die wissenschaftliche Evaluation kirchlich-diakonischer Kooperationsbeziehungen »wenig Beachtung erhalten« (35). Genau an dieser Stelle gewinnt W.s Untersuchung ihre Bedeutung. W. hat die Forschungsliteratur ausgewertet und um die differenzierte Analyse zweier Forschungsprojekte ergänzt. Dadurch entsteht eine überzeugende und belastbare Darstellung der Gelingensbedingungen und Risikofaktoren für kirchlich-diakonische Kooperationen auf einer empirischen Grundlage. Fragen lässt sich, ob das Thema der (multidimensionalen) Ressourcen eine stärkere Reflexion als eigenständiger Aspekt verdient hätte. Fraglos aber stellt die vorliegende Untersuchung eine hervorragende Grundlage und Orientierung für die Entwicklung kirchlich-diakonischer Kooperationen dar, der eine breite Rezeption zu wünschen ist.