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Ausgabe:

April/2024

Spalte:

353-354

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Berzbach, Frank

Titel/Untertitel:

Die Kunst, zu glauben. Eine Mystik des Alltags.

Verlag:

Solms: bene! München: Droemer-Knaur 2023. Geb. 224 S. EUR 24,00. ISBN 9783963402470.

Rezensent:

Peter Zimmerling

Dieses Buch ist zwar im Gespräch mit der Fachliteratur erarbeitet, jedoch verzichtet der Autor Frank Berzbach auf Fußnoten und den exakten Nachweis von Zitaten. Vorhanden ist lediglich ein ausführliches Verzeichnis der im Buch zitierten religiösen Literatur. Mit diesem Vorgehen spiegelt das Buch ziemlich exakt die Biografie B.s: Er war Fahrradkurier, Bildungsforscher, Buchhändler, DJ und Wirtschaftsjournalist, hat aber auch Literaturwissenschaft und Philosophie studiert. Zwar unterrichtet er beide Fächer an der Technischen Hochschule Köln und schreibt Bücher über Kreativität und Lebenskunst, veröffentlicht aber gleichzeitig in so unterschiedlichen populären Zeitschriften wie der des Jesuitenordens und dem Playboy.

Die bisherigen Bücher von B. waren bereits durch christliche Aspekte grundiert. In der vorliegenden Veröffentlichung gibt der bekennende Christ und praktizierende Katholik jedoch erstmals unmittelbaren Einblick in seine Auffassung vom Glauben. Dabei macht er deutlich, dass Begegnung, Gebet, Musik und Lektüre diesen gleichermaßen prägen. Entstanden ist ein Buch, das sich auf der Grenze zwischen Theorie und Praxis bewegt und nur schwer einer bestimmten Literaturgattung zuzuordnen ist. Auf der einen Seite kommt es der religiösen Ratgeberliteratur eines Anselm Grün (mit dem sich B. auch theologisch verbunden fühlt) nahe, auf der anderen Seite ist auch die philosophische Bildung B.s unübersehbar. Immer wieder hebt er hervor, dass er zwar – von Kindheit an – unverbrüchlich zur katholischen Kirche steht, aber zu vielen ihrer Amtsträger und auch zur Institution als ganzer ein äußerst kritisches Verhältnis hat. Dazu kommt, dass er in einer konfessionsverbindenden Beziehung lebt, also auch immer wieder evangelische Gottesdienste besucht. Die verbürgerlichte Großkirche der Gegenwart hat für ihn mit der Nachfolge Jesu wenig gemeinsam. Für B. stellen stattdessen die Orden und hier speziell der Jesuitenorden die eigentliche Kirche dar. Hier findet er – gerade als Philosoph – die ihm verwandten Denker des Glaubens, bei denen er in die Schule gegangen ist und bis heute noch geht. Eine herausragende Stellung nehmen in diesem Zusammenhang die Jesuitenpatres Hugo Lasalle und Michel de Certeau ein. Ersterer hat B. den Weg zum Zen-Buddhismus eröffnet und Letzterer ihm die Orientierung des christlichen Glaubens am Handeln plausibilisiert.

Das Buch enthält insgesamt neun Kapitel, denen eine Hinführung »Vor einem langen Gedankenstrich« voran- und eine Danksagung, Vita und »Meine religiösen Lektüren« nachgestellt sind. In der Hinführung schildert B. eine Art theologisches Bekehrungs- erlebnis, das er während seines Philosophiestudiums hatte. Bei einer Podiumsdiskussion im Bonner Universitätsclub diskutierten eine Politologin, ein Philosoph und ein »altmodisch wirkender Theologe«. Während der hochabstrakten Diskussion über ethische Themen habe der Theologe, der auch als Seelsorger in einem Hospiz tätig war, zu seinen Gesprächspartnern gesagt: »Was Sie sagen, ist schlüssig, aber am Bett eines Sterbenden sieht es anders aus.« B. zog daraus für sich die Konsequenz, dass aus der Perspektive von Leben und Tod alles in ein anderes Licht rückt. Der Einwand des Theologieprofessors führte ihn dazu, die Inhalte seines Philosophiestudiums noch einmal neu aus der Perspektive des gelebten Glaubens zu betrachten. Letztlich ist das vorliegende Buch eine späte Frucht dieser Erfahrung.

Die Überschriften der neun Hauptkapitel lauten: Anfangen, Schönheit als sichtbare Liebe, Die Tiefe der Klänge, Was sich fügt, Die Kraft des Denkens, Das innere Gebet, Im Weinberg Gottes, Das Leben der Bücher, Die Kunst, zu glauben. Manche der Kapitelüberschriften verraten unmittelbar, worum es in ihnen geht; bei anderen erschließt sich das Gemeinte erst während des Lesens. Für alle Kapitel ist ein mehr essayistisches Vorgehen charakteristisch. B. versteht die einzelnen Kapitel als Einladungen, sich mit den Hintergründen des Alltags, ja des Lebens insgesamt, zu beschäftigen. Als katholischer Christ geht er auf religiöse Spurensuche und entdeckt in der gegenwärtigen Popkultur genauso wie in der bildenden Kunst, der Architektur und der Literatur Hinweise auf eine Mystik des Alltags. Dabei scheut er sich nicht, traditionelle religiöse Texte wie die Psalmen mit Patti Smiths Liedtexten ins Gespräch zu bringen, d.h. sie auf die in ihnen aufscheinende transzendente Wirklichkeit abzuhören. Einsatzpunkt des Glaubens ist für ihn die Schönheit – was er konkret darunter versteht, versucht er möglichst offenzuhalten. Dabei wird deutlich, dass B.s Glaubensverständnis nicht ohne den aesthetic turn der Lebens- und Kulturwissenschaften und nicht ohne die postmoderne Pluralisierung zu verstehen ist. Von hier aus werden auch seine Vorbehalte gegenüber allen Formen eines dogmatischen Glaubensverständnisses verständlich. Kein Wunder, dass sein Buch von traditionellen katholischen Theologen äußerst kritisch gesehen wird. Gleichzeitig bezieht B. zu ethischen Fragen klar Stellung. Aus schöpfungstheo-logischen Gründen lebt er schon mehrere Jahrzehnte bewusst vegetarisch.

Es würde den Rahmen der Rezension sprengen, auf die Kapitel im Einzelnen einzugehen. Ich beschränke mich auf das 5. Kapitel »Die Kraft des Denkens« und das letzte Kapitel »Die Kunst zu glauben«. Neben der fast banalen Einsicht, dass menschliches Denken begrenzt ist, plädiert B. entschieden für dessen Pflege und Ausbildung. Bemerkenswert ist sein Hinweis, dass religiöse Übungen wie Gebet, Meditation und Askese den menschlichen Geist zu klären vermögen und dadurch ein besseres Denken ermöglichen. B. belegt das mit der Lebensweise der Wüstenväter. In Anlehnung an Karl Jaspers entwickelt B. dann ein Wissenschaftsverständnis, das für das Geheimnisvolle, dem wir im Alltag begegnen, offen ist (Jaspers spricht in diesem Zusammenhang von »Chiffren der Transzendenz«). Im abschließenden Kapitel legt B. die Quellen seines Glaubens offen: Es sind für ihn zunächst – gut katholisch – die Heiligen und dann die Heilige Schrift. Allerdings erweitert er die Heiligen um »Ausnahmeerscheinungen« aus allen Religionen. Ja, Heiligkeit ist für ihn sogar ein menschliches Existenzial. Die Bibel ist für ihn der reine Speicher menschlicher Erfahrungen im Umgang mit Gott. Gleichzeitig ist sie, und das ist für B. entscheidend, die Quelle, aus der eine Fülle Heiliger Schriften in der Geschichte ihren Ursprung genommen hat und weiterhin nimmt.

Die Stärke des vorliegenden Buches besteht in einer Fülle von anregenden Gedanken, ja mehr als das: Es liest sich an manchen Stellen wie eine spirituelle Weisheitsschrift. Es gelingt B., christliche Grundüberzeugungen mit der Kultur aus Vergangenheit und Gegenwart in ein Gespräch auf Augenhöhe zu bringen. Das lässt viele traditionelle christliche Aussagen in einem neuen und frischen Licht erscheinen. Problematisch finde ich nicht so sehr die damit einhergehende Universalisierung des Glaubens (darüber lässt sich streiten) als vielmehr den Eindruck, dass der Glauben letztlich eine rein subjektive Angelegenheit darstellt – auch wenn B. zugibt, dass er nicht ohne die Inspiration durch die Tradition auskommt.