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Ausgabe:

April/2024

Spalte:

327-329

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Löwith, Karl

Titel/Untertitel:

Wissen, Glaube und Skepsis. Sämtliche Schriften, Bd. 3.

Verlag:

Wiesbaden: J. B. Metzler 2022. 474 S. Kart. EUR 34,99. ISBN 9783662659328.

Rezensent:

Paul Bernhard Rothen

Bekanntlich wollte Schleiermacher der Theologie ihren Platz an der Universität sichern, damit nicht der Knoten der Geschichte sich so löse, dass sich das Christentum mit der Barbarei und die Wissenschaft mit dem Unglauben verbinde. Wer verstehen möchte, weshalb dieses Projekt gescheitert ist (und das Christentum zwar nicht in der Barbarei, aber in der sozialen Bedeutungslosigkeit versinkt), studiert mit großem Gewinn das Werk Karl Löwiths. Er hat wie kaum ein anderer Philosoph der Neuzeit den Weg der protestantischen Theologie aufmerksam mitverfolgt und mit sachkundigen Einordnungen erhellt. Aus der engagierten Distanz eines lutherisch getauften Juden, der womöglich selber gerne geglaubt hätte, aber das mit seiner intellektuellen Redlichkeit nicht vereinen konnte, bietet er umsichtig ausdifferenzierte Einblicke in das Mit- und Nebeneinander von Philosophie und Theologie, die nachzeichnen, wie sich die Kirchen in heilsgeschichtlich überhöhte Deutungen des Weltgeschehens verstrickt und so ihre Glaubwürdigkeit verspielt haben.

Kurz vor seinem Tod hat der Verleger Berndt Lutz den Band 3 der Gesammelten Schriften L.s zur Publikation freigegeben. – Womöglich erklärt die Hast vor dem nahen Lebensende die vielen Schreibfehler und eine Lücke in den Hinweisen auf die Erstpublikationen. – Der Band versammelt (in hauptsächlich deutscher, teils englischer Sprache) Publikationen aus den Jahren 1930–1967 unterschiedlicher Gattungen. Insbesondere die Rezensionen zeigen plastisch, wie L. seine Erkenntnisse geschärft hat und weshalb weder die Renaissance des jüdischen Denkens um Rosenzweig, Cohen und Bloch noch die evangelischen Neuansätze Barths, Brunners oder Bultmanns für ihn eine intellektuell überzeugende Kraft entwickeln konnten, so dass er mit Burckhardt und Overbeck ein Skeptiker blieb. Mit einer offenherzigen Prägnanz, wie sie eine Rezension in bedrängter Zeit erlaubt, schreibt L. beispielsweise über die Gestalten an der Zeitenwende von H. J. Schoeps: Was dieses Werk trage, sei »das übliche ›epochale‹ Bewusstsein, das seinen gross-artigen Anfang in Hegels Geschichtsphilosophie nahm und dessen grossspurige Ausläufer Spenglers Theorie des Untergangs und Rosenbergs Ideologie des Aufbruchs sind« (411). Hellsichtig analysiert L. bereits 1930 die Souveränität der existentialistischen Theologie, mit der sich diese gegen alle Infragestellungen durch Empirie und Religionskritik imprägnierte: Weil der Christ »an nichts anderes glaubt als an den puren Glauben selbst«, könne die protestantische Theologie mit einem »fragwürdigen Radikalismus« Feuerbach und Nietzsche integrieren. L. bemerkt dazu: »Was freilich der Glaube ist, der den Menschen so unverwandt und unverwandelt glauben lässt, das zu verstehen ist Sache der Theologen« – der Außenstehende kann es nicht nachvollziehen (30 f.). In einer wunderbaren Miniatur aus dem Jahr 1954, für ein größeres Lesepublikum geschrieben, rekapituliert L. mit didaktischer Klarheit das Verhältnis von Wissen und Glauben (und die Wurzeln dieser Fragestellung im geschichtlichen Siegeszug des Evangeliums). Seine Darstellung schließt mit den Worten: »Das Äusserste, was der christliche Glaube von der Philosophie verlangen kann, ist, dass sie die Möglichkeit einer sich selbst offenbarenden Wahrheit nicht ausschliesst. Denn wenn es eine solche göttliche Selbstoffenbarung gibt und der Mensch imstande ist, sie zweifellos zu erfassen, dann ist sie jedem menschlichen Wahrheitssuchen prinzipiell überlegen.« L. erinnert an Sokrates, der vor seinem Tod die verschiedenen Gewissheitsgrade beschreibt und festhält, durch die Ungewissheiten des Lebens könnte man »sicherer und gefahrloser auf einem zuverlässigen Fahrzeug, etwa einem göttlichen Worte, hindurchschiffen« (217). Umso bedauerlicher ist, dass L. zwar öfters Luther nennt, dass er dessen Werk aber nur im Spiegel der zeitgenössischen Darstellungen kannte. Er unterstellt deshalb Luther, er berufe sich für seine Gewissheit »nicht auf die eigene, irrtumsfähige Einsicht […], sondern auf den Heiligen Geist als eine indiskutable letzte Instanz« (209) – ein tumultuarischer Kurzschluss, der Luthers präzise ausdifferenzierte Berufung auf die Klarheit der Schrift überspringt und seine Polemik gegen die Schwärmer in den Geruch subjektivistischer Rechthaberei taucht. Immerhin zitiert L. die Briefe Luthers an Melanchthon, mit denen er diesen davor warnte, sich eine Erleuchtung durch den Heiligen Geist zuzuschreiben, die zu einer Selbstüberforderung führen müsse. Wieder und wieder erinnert L. an Hebr 11,1: Der neutestamentliche Glaube ist ein festes Vertrauen auf das, was man nicht sieht. Wenn Theologen wie Niebuhr das Christusgeschehen im Weltgeschehen zu lokalisieren versuchen, begehen sie einen geradezu blasphemischen Gedankenfehler: »This would imply the cancellation of the fundamental difference of the will of God and the will of man.« (193) Indigniert konstatierte L. 1949, dass nicht nur nationalsozialistisch angehauchte, sondern auch ein achtenswerter Theologe wie Emil Brunner sich in solchen abenteuerlichen Geschichtskonstruktionen verliert (434 f.). Von L. aufgeklärt, können wir heute konstatieren, dass mit dem Patriarchen von Moskau einmal mehr ein Theologe das Weltgeschehen so deutet, dass die Differenz zwischen Gott und Mensch verschwimmt und sich ein Angriffskrieg rechtfertigen lässt.

Es ist deshalb zu hoffen, dass dem Werk L.s manches Forschungsseminar gewidmet wird, so dass eine junge Generation neu lernt, zwischen Glauben und Wissen, Theologie und Philosophie so zu unterscheiden, dass beide Gedankenwege zu ihrem genuinen Recht finden.