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Ausgabe:

April/2024

Spalte:

325-326

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Haslinger, Herbert [Hg.]

Titel/Untertitel:

Denkerinnen und Denker des Glaubens. Anstöße von der Antike bis zur Gegenwart.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2022. 360 S. = Kirche in Zeiten der Veränderung, 13. Kart. EUR 35,00. ISBN 9783451393792.

Rezensent:

Martin H. Jung

Unter Verwendung einer eher ungebräuchlichen, vom »Metzler Lexikon« Markus Vinzents (2000 erschienen) inspirierten Terminologie im Titel hat der Paderborner Pastoraltheologe Herbert Haslinger einen Sammelband vorgelegt, der auf einer Paderborner Ringvorlesung im Wintersemesters 2021/22 basiert. Was meint »Denker des Glaubens«? Menschen, die als Glaubende nachdenken, oder Menschen, die über den Glauben nachdenken – ohne (unbedingt) (studierte) Theologen zu sein? Letzteres ist gemeint. Präsentiert werden sechs Frauen und acht Männer, darunter einem jeden bekannte Gestalten wie Augustin, aber auch gemeinhin unbekannte wie die mexikanische Nonne und Dichterin Juana Inés de la Cruz. Präsentiert werden Christen, aber auch Juden, nicht jedoch Moslems oder Angehörige weiterer Religionen.

Am Anfang stehen zwei Frauen, die kappadozische Asketin Makaria die Jüngere und die Heilig-Land-Pilgerin Egeria, beide aus dem 4. Jh. Makaria war zweifellos eine »Denkerin des Glaubens«, als Glaubende hat sie über den Glauben nachgedacht, allerdings haben wir von ihr leider keinerlei Texte, wir haben nur, was ihr Bruder Gregor von Nyssa über sie und über ihren Glauben und über ihr Denken geschrieben hat. Der Benediktinerin Makrina Finlay gelingt es aber, ein lebendiges Bild zu zeichnen von einer Frau, »die Autorität hatte und gleichzeitig Gehorsam übte« (33) und uns heute »neue Möglichkeiten« eröffne, »Autorität in der Kirche zu verstehen« (33). Auch Egeria hat sicherlich über ihren Glauben nachgedacht, sonst wäre sie nicht aus Nordspanien oder Südfrankreich ins Heilige Land gezogen. Bei ihr haben wir zwar etwas Authentisches aus ihrer Hand, ihren Reisebericht, aber wir wissen nicht genau, wer sie war, woher sie kam, ja nicht einmal sicher, wie sie hieß, und ihr Bericht enthält nur wenige Stellen, der etwas von ihrem Glauben und Denken verrät. Georg Röwekamp, dem derzeit besten Egeria-Kenner, gelingt es dennoch, viel aus dem Wenigen zu machen und am Beispiel Tabghas, dem traditionellen Ort der Brotvermehrung am See Genezareth, zu zeigen, »wie Menschen heute versuchen, von Egeria zu lernen« (63).

Besser steht es um Augustinus, Hildegard von Bingen, Albert den Großen und Nikolaus von Kues. Hier sprudeln die Quellen. Dass sie Denker des Glaubens waren, stand nie in Frage. Es sind bekannte Gestalten aus der Antike und dem Mittelalter. Mit der Neuzeit kommen nun aber eher unbekannte oder unerwartete in den Blick, gleichzeitig wird deutlich, dass hier die Glaubensdenkergeschichte aus einer dezidiert katholischen Perspektive betrachtet wird. Juana Inés de la Cruz war Hieronymitin, Ignaz Döllinger katholischer Kirchenhistoriker, Marie-Dominique Chenu Dominikaner. Jürgen Habermas, der sich selbst als »religiös [u]nmusikalisch […]« bezeichnet (306), gehört zwar (immer noch) der evangelischen Kirche an, war aber zeitlebens mehr am Gespräch mit der katholischen Theologie interessiert (Joseph Ratzinger, Johann Baptist Metz). Der jüdische Schriftsteller Franz Werfel stand dem Katholizismus nahe, ebenso der jüdische Philosoph Emmanuel Lévinas. Die jüdische Philosophin Simone Weil orientierte sich im Laufe ihres Lebens immer stärker an der katholischen Spiritualität; möglicherweise hat sie sich sogar »am Ende ihres Lebens« (238) – von einer katholischen Freundin – taufen lassen. Als Angehörige des Protestantismus kommt nur – auf gerade einmal zwei Druckseiten – eine Schwedin in den Blick: die Schriftstellerin Selma Lagerlöf, bekannt durch »Nils Holgersson«. Warum sich der Paderborner Moraltheologe Peter Schallenberg dafür entschieden hat, gerade sie vorzustellen, bleibt unklar. Was er vorstellt, ist wieder ausgesprochen katholisch: das Schweißtuch der Heiligen Veronika, eine von Lagerlöfs »Christuslegenden« (München 1948).

Einbezogen wird also nicht ein einziger dezidiert evangelischer Glaubensdenker, wobei Haslinger allerdings in seinem Vorwort darauf hinweist, dass ein Beitrag zu Dorothee Sölle geplant war. Auch die Autorinnen und Autoren gehören ausnahmslos alle (!) der römisch-katholischen Kirche an. Das ist schon außergewöhnlich bei einer universitären Vortragsreihe im 21. Jh. an einer Universität, an der es nicht nur katholische, sondern auch evangelische und islamische Theologie gibt.

Der Initiator der Vortragsreihe und des Sammelbandes schließt die Publikation mit einer grundsätzlichen Erörterung über das »Denken des Glaubens« unter der überraschenden Frage, ob das »heute noch möglich« sei (327). Warum sollte es heute nicht mehr möglich sein, über den Glauben nachzudenken, ganz gleich, ob man Theologie studiert hat oder nicht? Bei der Lektüre dieses Beitrags wird nun endgültig deutlich, dass Haslinger eine katholische, eine ausschließlich katholische Perspektive einnimmt. Dinge, die in der evangelischen Tradition seit fünfhundert, zumindest aber seit 200 Jahren selbstverständlich sind, werden von »Theologie und Kirche« (354) – gemeint ist die römisch-katholische Theologie und die römisch-katholische Kirche – eingefordert. Evangelische Theologie und Kirche behaupten nämlich nicht, »nur sie oder vorrangig sie seien aufgrund des Deutungsrepertoires des christlichen Glaubens in der Lage, Werteüberzeugungen zu generieren und so den Menschen heute Orientierungswissen zu vermitteln« (354). Evangelische Theologie und Kirche müssen auch nicht dazu aufgefordert wer-den, »das freie vernunftgeleitete Denken als eine Quelle wertzuschätzen, die Erkenntnisse hervorbringt« (354). Und so weiter.

Dass Haslinger mit Joseph Ratzinger und Johannes Paul II., unter Berufung auf ältere kirchliche Traditionen, hart ins Gericht geht, ist natürlich richtig und erfreulich. Aber die einseitig-ausschließlich katholische Perspektive des Bandes macht doch ratlos. Wenn selbst kirchenkritische Katholiken heute so erzkatholisch auftreten, was ist dann für die katholische Kirche im Besonderen und die Ökumene im Allgemeinen noch zu hoffen?

Die Konzeption der Vortragsreihe und des Bandes wirft also ebenso kritische Rückfragen auf wie die Auswahl der Themen und Autoren und der von Haslinger abschließend geführte grundsätzliche theologische Diskurs. Gleichwohl sind die Einzelbeiträge alle gut gelungen und interessant zu lesen. Wer sich also über die genannten Gestalten informieren möchte, dem sei der Band anempfohlen. Bis auf einen unvollständigen Satz gleich auf der ersten Textseite (7) ist er auch durchweg sorgfältig und ansprechend gestaltet und mit schönen Abbildungen ausgestattet. Am Schluss steht ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren, das allerdings die konfessionelle Identität der Personen nicht in jedem Fall zu erkennen gibt. Auf Register wurde verzichtet.