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Ausgabe:

Oktober/2000

Spalte:

1016–1018

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Agersnap, Sren

Titel/Untertitel:

Baptism and the New Life. A Study of Romans 6.1-14.

Verlag:

Aarhus: Aarhus University Press 1999. 461 S. gr.8. ISBN 87-7288-654-4.

Rezensent:

Friedrich Wilhelm Horn

Das religionsgeschichtliche Problem von Röm 6 ist seit langem ein Brennpunkt der Paulus-Exegese. Hier entscheidet sich möglicherweise, ob Paulus und seine Theologie neben der unstrittig tiefen Verwurzelung im hellenistischen Judentum doch auch im paganen Hellenismus verankert sind und zurückgreifen auf Vorstellungen, die nicht durch die Vermittlung der Synagoge, sondern direkt durch Mysterienkulte vorgegeben sind. Gibt es einen nichtjüdischen Rezeptionshorizont für Paulus?

Die Geschichte der Forschung hat Günter Wagner 1962, ausgehend von der These einer vollständigen Abhängigkeit des Paulus von den Mysterien (Gunkel, Wendland u. a.) über das Modell "Anknüpfung und Widerspruch" (Bousset, Bultmann u. a.) bis hin zur Bestreitung des Mysterieneinflusses (Deissmann, Schweitzer u. a.), dargestellt. Seitdem sind weitere gewichtige Arbeiten zum Thema erschienen (Wedderburn, Gäumann, Halter, Schnelle, Siber, Sänger, Tannehill u. a.), in denen auch die mittlerweile neuen Kenntnisse zur Forschung der Mysterienkulte und des hellenistischen Judentums aufgenommen worden sind. Daneben ist zu fragen, wie überhaupt Rituale transportiert und unter neuen Vorzeichen verankert werden konnten (H. D. Betz, Paulinische Studien, 1994, 240-271). Schließlich wird in neueren Darstellungen der paulinischen Theologie ein deutlicher Abstand zu der These eines Mysterieneinflusses auf Paulus markiert (J. D. G. Dunn, The Theology of Paul, 1998, 452). Das Thema und der vorgegebene Text aus Röm 6 sind also vielfach analysiert worden, veränderte religions- und forschungsgeschichtliche Rahmenbedingungen fordern aber ein beständig neues Eingehen auf diese Verse des Römerbriefs.

Was leistet diese hier zu besprechende, 1997 der Theologischen Fakultät der Universität Aarhus vorgelegte, jetzt in englischer Übersetzung erschienene Dissertation von A.? Nach einer Einführung, in der Thesen und Diskussionspunkte zu Röm 6,1-14 vorgestellt und der methodische Weg der eigenen Arbeit benannt werden, widmet sich der erste Teil ausschließlich dem religionsgeschichtlichen Umfeld (52-198). Der zweite Teil bietet eine Analyse des Textes Röm 6. Hier werden viele instruktive Querverbindungen innerhalb der paulinischen Theologie gezogen (199-408). An diesen zweiten Teil schließen sich eine dänische Zusammenfassung des in insgesamt 11 Paragraphen untergliederten Werks (409-417) sowie Bibliographie und Indices an. Der Index of persons enthält etliche Fehler in einem im Übrigen sehr ordentlich gearbeiteten Buch.

Der Durchgang durch "Hellenistic mystery religion as a background to baptism" (52-98) stellt im Wesentlichen diejenigen Texte vor, die schon Wagner analysiert hatte. A. schließt einen direkten Einfluss der Mysterientheologie auf die christliche Tauftheologie aus, hält es allerdings für denkbar, dass Mysterientheologie, gelöst von ihrem ursprünglichen Kontext, einen Einfluss ausgeübt habe, allerdings ausschließlich in sprachlicher Hinsicht (98). Es wird die Möglichkeit von Analogien, die sich möglicherweise auf eine gemeinsame Basis zurückführen lassen, zugestanden (98), im weiteren Verlauf der Arbeit allerdings deutlicher zurückgewiesen (310). Gleichfalls wendet sich A. gegen das Modell "Anknüpfung und Widerspruch". Es begegnet etwa in derjenigen Gestalt, dass innerhalb der korinthischen Gemeinde Mysterientheologie im Zusammenhang von Taufpraxis Gestalt gewonnen habe, von der sich Paulus absetze. A. wendet mit Recht ein, dass Paulus innerhalb der Korintherkorrespondenz das Sakrament nicht abwerte (167-180). Freilich sollte man die paulinischen Vorbehalte gegenüber einer an der Person des Täufers orientierten Gruppenbildung auch nicht geringschätzen. Die Frage einer vorpaulinischen Tauftheologie, welche die sakramentale Gemeinschaft mit Christi Tod und Auferstehung beinhaltete, wird von A. auch für Kol 2,12 ausgeschlossen (163-167), einem Text, der sicher jünger als Röm 6 ist, aber als Tradition doch häufig, wie zuletzt von J. Gnilka in seiner Neutestamentlichen Theologie 117 f., der vorpaulinischen Gemeindetheologie zugewiesen wird.

Nun ist die Forschung seit geraumer Zeit von dem Vorstoß der Religionsgeschichtlichen Schule, die christliche Tauftheologie an Jesus und jüdischer Vermittlung vorbei direkt auf Mysterientheologie zurückzuführen, abgerückt, da Mysterientheologie an sich ein vielschichtiges, keinem einheitlichen Typus zuzuweisendes Phänomen ist, und da die Frage der Adaption ohne Zwischenglieder nicht gedacht werden kann. Es ist die Absicht der Studie A.s, nachzuweisen, dass Paulus in Röm 6 auf einer "pan-Christian baptismal tradition" (404; ebenso 310. 312) aufbaut. Ihr zufolge sei die Taufe mit dem Tod Jesu als "pan-Christian death-baptismal concept" (312) verbunden worden, und A. meint sowohl die Herkunft als auch flankierende Motive des Konzepts aufzeigen zu können. Die von Johannes dem Täufer verkündete Taufe bezog sich auf das nahe Feuer- (=Todes)gericht. Die Rede vom Untertauchen in der Taufe verwende eine Todesmetapher. Sündenvergebung sei in christlicher Theologie immer mit dem Ereignis des Todes Jesu verbunden worden. Das christliche Bekenntnis beziehe sich auf den Tod Jesu. Die Möglichkeit, dass das Kreuz(eszeichen) bereits in früher Zeit im Taufgeschehen Verwendung fand, wird erwogen (189-193). Zum Kontext des death-baptismal-concept ist nach A. vor allem auf die Aussage des "Mitgekreuzigtwerden mit Christus" (Gal 2,19 f.) zu verweisen, welche als Variante desselben Motivs begriffen wird (313). Paulus bezieht sich demnach auf eine Tradition, in der eine Beziehung der Getauften zum Tod Christi und damit zur Sündenvergebung ausgesagt war. Eine weitergehende Tradition, die Tod und Auferstehung mit Christus ausgesagt habe, wird hingegen ausgeschlossen (301.402 f.). Beides begründet den Abstand zur Mysterientheologie, die ja gerade auf den sakramentalen Nachvollzug des Geschicks der Gottheit abzielt.

Ist die These einer pan-Christian baptismal tradition nachvollziehbar? Sie erscheint in A.s Darlegung geradezu kumulativ gewonnen, in der Zusammenführung mehrerer Aspekte, die im Vorfeld und Umfeld der paulinischen Rede von der Taufe in den Tod Christi stehen können, aber nicht notwendig müssen. Nach meiner Einschätzung macht die Auffassung, in Röm 6,3 zu unterscheiden zwischen dem "Taufen in Christus Jesus", welches in Röm 6,3a mit "wisst ihr nicht" als ältere und überkommene Taufformel in Erinnerung gerufen wird, und dem "Taufen in seinen Tod", welches in Röm 6,3b als neue und zusätzliche, hier erstmals vorgelegte Interpretation, für die es in dieser Form keinen weiteren Beleg im Urchristentum gibt, guten Sinn. A. vollzieht diese Unterscheidung nicht, sondern interpretiert schon Röm 6,3a als Taufe in Christi Tod, da er die Präposition nicht lokal, sondern final versteht (264).

Etwas anders sind die Gewichte wenige Seiten später gesetzt (266): Röm 6,3a beschreibe die neue mit der Taufe gesetzte Beziehung zu Christus, Röm 6,3b beziehe sich auf das Kreuzesereignis. Aber auch dann, wenn man "Taufen = Untertauchen" als Todesmetapher versteht, so ist die Gleichsetzung dieser Metapher mit der Todestaufe doch eine Deutung dieser Metapher. Da diese Deutung hier erstmals belegt ist, bleibt eine Skepsis gegenüber der These einer pan-Christian baptismal tradition und zugleich eine Frage nach den wirklichen Voraussetzungen von Röm 6,3b. Die Alternativen für die Interpretation des Ausdrucks des Getauftwerdens in seinen Tod sind jedenfalls abgesteckt, und ich verbinde sie mit wenigen Namen: Denkbar bleibt auch nach der Arbeit A.s ein Bezug a) zu Mysterienvorstellungen (Schmithals, Schnelle), b) zu einer spezifischen Interpretation der Metapher des Untertauchens (Wilckens, Siber) oder c) zu einem direkten Verweis auf den Heilsgrund des Kreuzes (Delling, Haacker, Fitzmyer). Daneben steht nun A.s Vorschlag, auf innerchristliche Voraussetzungen bis hin zu Johannes dem Täufer zu verweisen (Agersnap 404). Unlöslich verbunden mit der religionsgeschichtlichen Frage nach dem Bezugspunkt des paulinischen Ausdrucks "Todestaufe" ist die theologische Frage, ob Paulus die Abweisung der Sünde dadurch begründen will, dass er den Täufling durch den sakramentalen Nachvollzug des Geschicks Christi jenseits der Todes- und Sündenmacht stellt, oder ob er auf den soteriologischen Ertrag des Todes Jesu, nämlich auf Sündenvergebung verweisen und somit die ethische Forderung begründen will.

Die Arbeit von A. weitet die Ausführungen von der Tauftheologie zu grundsätzlichen Erwägungen zur Gestalt paulinischer Theologie aus. Hier zeigt sie sich erfrischend frei von vorgegebenen Mustern oder Forschungsmeinungen. Bedenkenswert erscheint mir der Vorschlag, das "already/not yet" in ein "already/ even more" zu überführen (401) und das neue Leben, von dem Röm 6 spricht, in den verschiedenen Dimensionen der Christusgemeinschaft zu bedenken, auch um einer verhängnisvollen Engführung von Indikativ und Imperativ zu entgehen.

A. hat seit mehr als zwanzig Jahren Studien zu Paulus vorgelegt, zumeist in dänischer Sprache. Diese Dissertation ist folglich keine Erstlingsarbeit, sondern Frucht jahrelanger Beschäftigung mit Paulus. Die englische Übersetzung macht A. einem weiteren Leserkreis bekannt und wird dankbar entgegengenommen, denn es handelt sich bei seinem Werk um eine wirkliche Bereicherung der Forschung.