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Ausgabe:

April/2024

Spalte:

312-313

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zumstein, Jean

Titel/Untertitel:

Das Unservater heute lesen.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2023. 108 S. = bibel heute lesen. Kart. EUR 19,80. ISBN 9783290185350.

Rezensent:

Karl-Heinrich Ostmeyer

Der emeritierte Neutestamentler der Universität Zürich, Jean Zumstein, hat ein handliches Büchlein vorgelegt, in dem er die wesentlichen Informationen zum Vaterunser einem interessierten breiten Publikum präsentiert. Die gut einhundert Seiten im Oktavformat kommen ohne Anmerkungen aus und sind mit Ausschnitten aus dem Gemälde »Christus predigt dem Volke« (niederländischer Meister des 15. Jh.s) illustriert. Es handelt sich um eine aktualisierte und gegenüber dem bereits 2001 in der Schweiz publizierten französischen Original um kurze Passagen erweiterte (79 f.95 f.) sowie um eine knappe Liste weiterführender Literatur ergänzte (105) Einführung in das Vaterunser. Seinem französischsprachigen und reformierten Ursprung verdankt das von Otto Hahn übersetzte und in der Reihe »bibel heute lesen« (Verlag: TVZ) ebenfalls in der Schweiz erschienene Büchlein seinen Titel: »Das Unservater«.

Z. ist bestrebt, sowohl den jüdischen Ursprung des zentralen christlichen Gebets als auch die Bedeutung seiner einzelnen Bitten für Menschen der Moderne fassbar zu machen. Die Einleitung (9–25) widmet sich den beiden biblischen Fassungen nach Matthäus und Lukas, ihren jüdischen Parallelen und der Struktur des Gebets. Aufgeteilt in neun Abschnitte bietet Z. eine Interpretation der einzelnen Bitten (inklusive Doxologie). Der mit »Ausblick« (95–104) überschriebene Schlussabschnitt fragt nach der Bedeutung des Gebets für heutige Menschen und geht dabei in einem gegenüber dem Original ergänzten Abschnitt auch auf wirkungsgeschichtliche Aspekte ein (95 f.).

Z. stellt sich u. a. die Aufgabe, den »ursprünglichen Sinn wieder zu entdecken« (95), was die Frage aufwirft, ob dieser Ur-Sinn des Vaterunsers tatsächlich bisher verschüttet war. Z. wendet sich sowohl gegen ein mechanisches Sprechen des Textes als auch gegen ein magisches Verständnis (9).

Für den nicht reformiert geprägten Teil der deutschsprachigen und nicht in einem fachlichen Kontext angesiedelten Leser wäre eine Erläuterung des gewählten Titels von Interesse gewesen: »Unservater«. Und schade ist auch, dass der bei Matthäus (Mt 6,12b) im Aorist begegnende griechische Wortlaut bezüglich der Vergebung der Schuld anders als in der französischen Vorlage (dort 57.61) in der deutschen Fassung präsentisch wiedergegeben (69.73) und nicht erörtert wird.

Zumsteins Büchlein erfüllt seinen Zweck, nämlich ein breites Publikum einzuführen in die Herkunft und die theologische Tiefe des christlichen Grundgebetes. Erfreulich ist die Aktualisierung der deutschen Fassung gegenüber dem Original. Dazu zählt auch der Hinweis auf den der Initiative von Papst Franziskus mit zu verdankenden Beschluss der französischen Bischofskonferenz zur Veränderung des französischen Wortlauts des gesprochenen Vaterunsers von 2014 (79). Fragen nach den Konsequenzen für die Ökumene und ob auch die konfessionsübergreifende deutsche Übersetzung ein Verständnis suggerieren könnte, das für das Gegenteil dessen steht, was »das Gebet Jesu […] bezweckt« habe (79), werden nicht gestellt. Ebenfalls bleibt unerwähnt, dass mit guten, auch philologischen Gründen die römisch-katholische Kirche im deutschsprachigen Raum diese Entscheidung nicht mitvollzogen hat.

Fraglos lassen sich auf dem knappen zur Verfügung stehenden Raum nicht alle Fragen behandeln. Aktuell wäre aber ein kurzes Anreißen der Problematik, die sich aus dem nicht seltenen Missbrauch durch Väter oder Vaterfiguren ergibt, wünschenswert gewesen. Vor dem Hintergrund, dass Z. den im Gebet angeredeten Vater regelmäßig als Schöpfer (28) oder als Vater aller Menschen versteht (22.30.44), stellt sich darüber hinaus die Frage, ob und wie sich das Vaterunser heute in einem interreligiösen Kontext sprechen lässt. Insbesondere wenn das Vaterunser/Unservater als ein genuin christliches Gebet verstanden wird, das sich primär an Gott als den Vater Jesu Christi richtet, zu dessen Kindern die Betenden im Glauben an seine Sohnschaft werden (Röm 8,14–17; Gal 4,4–7).