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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

241-242

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Höfler, Nika

Titel/Untertitel:

Wirksamkeit von Krankenhausseelsorge. Eine qualitative Studie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 512 S. = Arbeiten zur Praktischen Theologie (APrTh), 88. Geb. EUR 128,00. ISBN 9783374072330.

Rezensent:

Annette Haußmann

Aus mehreren Gründen ist eine empirische Erforschung der Wirksamkeit von Seelsorge so relevant wie wünschenswert. So muss die Untersuchung der intendierten Wirkung auf diejenigen, an die sich Seelsorge wendet, schon aus einem Eigeninteresse an der Qualität seelsorglichen Handelns, das genuin am Gegenüber interessiert bleibt, als relevant angesehen werden. Darüber hinaus ist eine solche Forschung auch im Hinblick auf die interprofessionellen Entwicklungen des Feldes der Krankenhausseelsorge in Auseinandersetzung mit Spiritual Care von großer Relevanz. Will die Krankenhausseelsorge im Konzert anderer Professionen und Disziplinen im Gesundheitswesen ihren Beitrag leisten, so ist es nur folgerichtig, über das eigene Tätigkeitsprofil und nicht nur die beabsichtigte, sondern die empirisch erhobene Wirksamkeit im Sinne von Transparenz und Evidenzbasierung offenzulegen.

Dieser Absicht folgt die als Dissertationsschrift an der Universität Münster vorgelegte Monografie von Nika Höfler, die mit ihrer qualitativen Studie einen Grundstein für die Wirksamkeit der Krankenhausseelsorge im deutschsprachigen Kontext legt. Das Vorhaben beginnt mit einer präzisen Analyse der aktuellen Ansätze der Krankenhausseelsorge und bringt diese ins Gespräch mit der bisherigen Wirksamkeitsforschung, die im englischsprachigen Raum in Form der outcome-oriented chaplaincy bereits einige Studien und darüber hinaus Messinstrumente vorgelegt hat. Der Charme der vorliegenden Arbeit besteht nun gerade darin, dass sich H. nicht allein an einer Adaption bereits bestehender Instrumente abarbeitet, sondern einen eigenen Weg der konsequenten qualitativen Erforschung methodisch stringent sucht, der seinerseits die »Andersartigkeit« (u. a. 215) der Krankenhausseelsorge aus den Erfahrungen der Akteure und Akteurinnen selbst zu destillieren anstrebt. Hierzu verwendet die Studie zwei methodische Zugänge, die in einer Theoriegenese nach Grounded Theory kulminieren: Fallberichte von Krankenhausseelsorgenden werden analysiert, und leitfadengestützte narrative Interviews mit Patienten und Patientinnen, Angehörigen und Mitarbeitenden kommen hier zum Tragen. Dies eröffnet einen weiten Blick, der nicht von den Protagonisten allein ausgeht, sondern das gesamte System des Krankenhauses in den Blick nimmt.

Als Kernkategorie von Krankenhausseelsorge identifiziert H. Vulnerabilität, die gleichermaßen Patienten, ihre Angehörigen und Freunde sowie das Gesundheitspersonal und die Seelsorgenden selbst betrifft, was nur konsequent ist, betrachtet man Vulnerabilität als anthropologische Konstante. Dies wird nun im aktuellen Wissenschaftsdiskurs breit entfaltet und anhand der Konzepte auch im Blick auf Spiritualität diskutiert. Daraus abgeleitet kommt der Krankenhausseelsorge Vulnerabilitätskompetenz zu, die als ihr Spezifikum hervorgehoben und als Quelle von Wirksamkeit verstanden wird und sich nur in Beachtung ihres hybriden Seins zwischen Kirche und Krankenhaus realisieren lässt. Dies wird in dreifacher Hinsicht entfaltet. Als Ankerpunkt gibt Seelsorge Menschen, die sich als verletzlich an Leib und Leben erfahren, Sicherheit und Verlässlichkeit, was sich an Zeit und verlässlicher Ansprechbarkeit, Empathie und Flexibilität sowie Kompetenz in ethischer Hinsicht konkret entfaltet. Weiterhin wirkt Seelsorge durch die ihr spezifischen Kommunikationsformen, die über das Gespräch hinaus auch in Ritualen, leiblicher bzw. nonverbaler Kommunikation und der Eröffnung von »Heterotopien« (Foucault) als heilsamen Räumen zum Tragen kommen. Ob Seelsorge nun durch ihr Handeln tatsächlich einen Beitrag zur körperlichen Genesung leisten kann, damit setzt sich die Verfasserin durchaus kritisch theologisch auseinander. Denn zwar wird Spiritualität als Proprium nicht selten bemüht, um der Seelsorge ein eigenes Gepräge im interprofessionellen Zusammenspiel zu verleihen, jedoch ist es gerade diese Spiritualität, der eine durchaus ambivalente Wechselwirkung mit körperlicher und psychischer Gesundheit zugewiesen werden kann. So bleibt es richtigerweise bei der potenziellen Stärkung der Gesundheit, die durch Seelsorge in ihrem heilsamen Charakter erfolgen, deren Wirkung aber lediglich durch die Erfahrung der Einzelnen berichtet werden kann, denen sie als solche begegnet ist.

Die Befunde überzeugen besonders in ihrer empirischen Fundierung und der sauberen methodischen Gewinnung und tiefen theologischen Durchdringung, trotz einer partiellen Unübersichtlichkeit der Befunde selbst. Für die notwendige Forschungstransparenz sorgt neben einer detaillierten Beschreibung von einzelnen Entscheidungen im Forschungsprozess außerdem ein umfangreicher Anhang des codierten Materials. Allerdings wäre darüber hinaus noch qualitatives Material für mehr Anschaulichkeit wünschenswert, wie etwa eine beispielhafte Fallvignette. Beachtlich ist außerdem eine hohe Offenheit der befragten Patienten und des Gesundheitspersonals für Seelsorge und Spiritualität, die doch die – auch von H. gestellte – perspektivische Frage erlauben mag, wie sich dies angesichts des sich abzeichnenden gesellschaftlichen und kirchlichen Wandels künftig ändern mag. Doch liegt genau hier die Relevanz der Wirksamkeitsforschung, die dadurch noch wichtiger wird.

In jedem Fall ist der Arbeit eine rege diskursive Rezeption in der poimenischen Forschung aber auch unter (Krankenhaus-)Seelsorgern und Gesundheitspersonal zu wünschen. Darüber hinaus ist gewinnbringend, dass die Ergebnisse in weitere empirische Forschung bereits einfließen. Hier entstehen unter anderem ein standardisiertes Messinstrument zur Erfassung der Wirksamkeit von Krankenhausseelsorge anhand von Patientenrückmeldungen nach Gesprächen, zu dem auch eine Validierungsstudie geplant ist. Man darf also auf die weitere Wirkungsgeschichte dieses wertvollen Beitrags zur Krankenhausseelsorgeforschung gespannt sein.