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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

239-241

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Geiger, Stefan

Titel/Untertitel:

Der liturgische Vollzug als personalliturgischer Erfahrungsraum. Liturgietheologische Erkundungen in den Dimensionen von Personalität und Ekklesiologie.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2019. 496 S. = Theologie der Liturgie, 16. Kart. EUR 49,95. ISBN 9783791731025.

Rezensent:

Ann-Katrin Gässlein

Seit der Verabschiedung der Konstitution Sancrosanctum Concilium als erstes Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils hat die Liturgie – wie auch die Liturgiewissenschaft – einen besonderen Stellenwert innerhalb der Theologie erhalten (SC 16). Ihr Verhältnis zur und ihre Bedeutung für die Theologie erörtert Stefan Geiger in seiner Arbeit, die im Sommersemester 2018 als Dissertationsschrift im Fach Liturgiewissenschaft von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg angenommen wurde. Dabei betrachtet G. sowohl Theologie als auch Liturgie nicht als statische Größen, sondern als personale Ereignisse. Die anthropologische Komponente ist für ihn zentral: So wie Theologie die »Gott-Rede«, das Sprechen von Menschen über Gott darstellt, zeigt sich Glaube als etwas im Menschen Inkarniertes, und Liturgie kann sich schlechthin nur im Menschen erweisen, der Liturgie feiert (15): »Man muss über Liturgie sprechen […], weil wir Liturgie feiern, weil wir sie vollziehen und aus ihr leben« (13).

Eine eigene Definition von Liturgie gibt G. nicht, erklärt aber, dass er sie als Grundvollzug der Kirche und Pascha-Mysterium verstehen will (14). Dieser liturgietheologische Leitbegriff soll den hermeneutischen Schlüssel darstellen. Liturgie ist demnach Feier des Gedächtnisses des Pascha-Mysteriums, verstanden als Teil der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen, seiner Offenbarung in der Person Jesu Christi, dem Übergang vom Tod zum Leben und von der Welt zu Gott, der Erlösung aller Menschen dank Gleichgestaltung mit Christus und Führung zum Vater (18–21). Dieses Feiern ereignet sich zwischen Mensch und Gott und vermittelt durch die Kirche. In der Feiergemeinschaft ist jede und jeder Gläubige aufgerufen, in die Beziehung mit Gott einzutreten und im dialogisch-personalen Geschehen eine Antwort zu geben. Neben dem »Pascha-Mysterium« schickt G. auch sein Verständnis von »Raum« vorweg, das er sprachlich und leibphänomenologisch fasst (29–32). Raum entsteht, wenn er von Menschen handelnd und kommunizierend erschlossen und leiblich erfahren wird. Der Raum der christlichen Liturgie ist demnach die Erfahrung der Gegenwart Jesu Christi in der feiernden Gemeinde – und doch bleibt dieser Raum letztlich unverfügbar (30–31). Als Bezugspunkt für seine Reflexionen zieht G. die gegenwärtige Liturgie der Kirche heran, wie sie amtlich geregelt ist (45). Er legt sich auf keine bestimmte Methode fest, nennt aber einen philosophischen so- wie einen systematisch-liturgietheologischen Ansatz als bestimmend (43).

In Teil A »Liturgie und Theologie als Vollzug« fragt G., wie sich Theologie und Liturgie zueinander verhalten. Eine erste Spur findet er in der Systematischen Liturgiewissenschaft, wo er auf Romano Guardini rekurriert (49–64). Anschließend wendet er den Blick auf die »Liturgical Theology« und stellt mehrere Autoren vor, die im deutschsprachigen Raum noch lange nicht überall bekannt sind, zuerst den Ansatz von Alexander Schmemann (65–87). Aidan Kavanagh entwirft unter dem Axiom lex orandi ein dynamisches Verständnis des liturgischen Vollzugs als ein sich stets auf Neue aktualisierender Prozess (88–96). David W. Fagerberg verortet die Liturgie als theologia prima, die erst eine reflexive Theologie ermögliche (97–103). Kevin Irwin entwickelt eine eigene Methodologie und versteht Liturgie als »Text im Kontext« (104–107). Zuletzt gibt G. eine Zusammenschau der verschiedenen Autoren und ihrer Ansätze aus der »Liturgical Theology« (109–111).

G.s Schlussfolgerung: Theologie und Liturgie verweisen aufeinander, können sich jeweils nur im dynamischen Vollzug realisieren und umspannen die gesamte christliche Existenz. Auch Theo-logie als Gott-Rede kann aus der liturgisch-doxologischen Rede abgeleitet werden mit der Auffassung von Helmut Hoping: »Glaube und Gebet stehen am Ursprung der Theologie« (40, Anm. 109). Der Vollzug der Liturgie zielt aus unterschiedlichen Richtungen auf eine gemeinsame, verbindende Mitte, das heilsgeschichtliche Christus-Ereignis, bzw. auf Gott. Weil Gott aber keineswegs Objekt, sondern auch Person ist, wird »menschliche Gott-Rede« (Theologie) zu einer relational gerichteten personalen Rede. In einem ersten Schritt geschieht dies in der Liturgie, wo sich die Beziehung etabliert. Erst danach und erst daraus kann sich ein reflexives Sprechen über diese Beziehung bilden (Theologie).

Teil B ist überschrieben mit »Liturgische Erfahrung« und näher spezifiziert als »personaler Erfahrungsraum«. Hier beginnt G. mit einer Hinführung zum »Personalen Zugang«: Er liefert einen kurzen geschichtlichen Überblick zum Begriff der Person (148–158). Dann präsentiert er Bernhard Weltes philosophische Sicht auf die »Person als Ereignis des Selbst- und Mitseins« (159–175). Es folgt die Rekonstruktion von Romano Guardinis »Person in der Dynamik von Sein und Werden« und endet mit einem Vergleich (176–191). Beide Positionen spiegeln ein dialogisches und ein trinitätstheologisches Personenverständnis wider. Liturgie wird damit zur »gott-menschlichen Begegnung« und zum »Widerfahrnis der Transzendenz«, wie es Albert Gerhards und Stephan Winter formuliert haben (40)

In der Zusammenfassung arbeitet G. ein dialogisches und personales Offenbarungsverständnis heraus, das sich insbesondere in der Verkündigung des Wortes Gottes in der Liturgie realisiert. Wenn sich Gott in der Liturgie offenbart, geschieht eine Beziehungsaufnahme, und Gott wird doxologisch »dialogisiert«. »Schrift« verändert sich im Vollzug der Liturgie damit in »Heilige Schrift«. Liturgische Schriftverkündigung kann daher nicht einfach das Lesen eines antiken Textes sein, sondern ist eine Begegnung mit dem lebendigen Gott, eine Realisierung des Glaubens und eine Vertiefung der Gottesbeziehung (277).

Teil C dient der Deutung von »Personalität« und »Ekklesiologie« aus dem hermeneutischen Modell »Raum personal-liturgischer Erfahrung«, das G. bereits zu Beginn seiner Arbeit vorgestellt hat (28). Dabei zieht G. Autoren wie Marie-Dominique Chenu, Crispino Valenziano, Giorgio Bonaccorso, Andrea Grillo und Karl-Heinrich Bieritz heran und fasst liturgische Anthropologie schließlich als »Meta-Reflexion« zusammen (300–318). Im Unterkapitel »Ekklesiologie« fragt er nach der »personalen communio« und der Kirche als »Subjekt« der Liturgie. Zuletzt kommt er auf personale Metaphern wie »Kirche als Leib« und »Kirche als Braut« zu sprechen, die er gemäß der phänomenologischen Anthropologie nach Thomas Fuchs deutet (402–457).

G.s Schluss lautet, dass liturgischer Vollzug einzig als personaler Vollzug möglich ist und sich als Gott-Mensch-Beziehung zeigt, die von Gott eröffnet wird. Gott ist aber in sich selbst communio und hat sich in der Selbstoffenbarung von Jesus Christus der Welt leiblich erschlossen. Der liturgische Vollzug wird damit zur personalen Ganzheit der Versammlung, ein »lebendiges, personales Begegnungsereignis im Erfahrungsraum der Kirche« (42). Damit versucht die Dissertationsschrift, Liturgiewissenschaft mit der Systematischen Theologie und der theologischen Anthropologie zusammenzubinden und die liturgische Theologie weiterzuführen – ein mutiges Unternehmen.

Die Stärke dieser Arbeit ist die aufwändige Schau der unterschiedlichen theologischen Ansätze aus verschiedenen Disziplinen, auch über Landes- und Sprachgrenzen hinweg. Dabei bleibt diese Synthese ein sehr anspruchsvolles und nicht immer leicht verständliches Unterfangen, das den Rezipienten einiges abverlangt.