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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

237-239

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Gässlein, Ann-Katrin

Titel/Untertitel:

Religionsverbindende Feiern. Theologisch-liturgische Linien in Handreichungen und Positionspapieren der Kirchen im deutschen Sprachraum.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2022. 300 S. = Studien zur Pastoralliturgie, 47. EUR 44,00. ISBN 9783791733630.

Rezensent:

Predrag Bukovec

Die religiöse Vielfalt nimmt im deutschsprachigen Raum allein schon infolge der Einwanderungsbewegungen seit den 1960er Jahren zu und gewinnt durch die Fluchtmigration in den letzten Jahren zusätzliche Bedeutung. Vor Ort entsteht für Menschen mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen die Frage, ob und wie gemeinsam gefeiert werden kann – und wenn ja, welche Grundsätze, Herausforderungen, aber auch mögliche Gefahren für die beteiligten Akteure mit der Vorbereitung und Durchführung einhergehen. Diese Frage ist nicht ganz neu und dennoch bleibend aktuell: Daher ist es ein Gewinn, wenn die in die Praxis eingebrachten Antwortversuche und Leitlinien überblickt und vorläufig ausgewertet werden.

Die Handreichungen, Positions- und Arbeitspapiere der letzten 30 Jahre im deutsch-sprachigen Raum untersucht in dieser Studie Ann-Kathrin Gässlein, die katholische Liturgiewissenschaftlerin und Wissenschaftliche Assistentin an der Universität Luzern ist. Genauer müsste hierbei eher von einer Vorstudie gesprochen werden, da der publizierte Band aus ihrer Lizentiatsarbeit hervorgegangen ist und in der Schweiz das kanonische Lizentiatsstudium die Vorphase zur eigentlichen Dissertation darstellt. Die Untersuchung liefert die Analyse und thematische Auswertung der vorwiegend kirchenoffiziellen Verlautbarungen aus der Ökumene; die systematische und liturgietheologische Diskussion der hier erreichten Ergebnisse wird G. der Fachöffentlichkeit in absehbarer Zeit im Zuge der Drucklegung der Promotionsschrift nachreichen. Doch bereits die vorliegende Sammlung und Zusammenstellung der Dokumente ist für die Liturgiewissenschaft und angrenzende Disziplinen von Wert, um sich einen fundierten Überblick über die Handreichungen seit den 1990er Jahren zu verschaffen und um einen Eindruck davon zu gewinnen, welche Themen- und Problembereiche diskutiert werden. Auch ist der diachrone Wandel zwischen den älteren und den jüngeren Papieren durchaus interessant.

Der Titel »Religionsverbindende Feiern« führt auf direktem Wege in all die Hürden und Schwierigkeiten ein, die mit dieser Thematik verbunden sind: Beide Wörter signalisieren ein Dilemma und die Suche nach Orientierung. Sind diese Feierformate »religionsverbindend« oder »multi-« bzw. »interreligiös«? Wären die Begriffe »Liturgie« oder »Gottesdienst« angemessen, oder bleibt man beim vorsichtigen »Feiern«? Durch das ganze Buch hindurch zieht sich das Problem in all seinen Verzweigungen (u. a. 9, 141–144, 248). Es nimmt daher kaum Wunder, dass die einführenden Ab- schnitte (9–107) recht ausführlich ausgefallen sind, da die untersuchten Dokumente zu kontextualisieren und die pluralen Anlässe vorzustellen waren. Nach den Einleitungsfragen zu den Handreichungen selbst identifiziert G. Schulwesen, Trauung, Trauerfeiern, Krankenhaus und Pflege sowie Strafvollzug als diejenigen gesellschaftlichen Orte, die in diesen Schriften in den Blick genommen wurden; außerdem erhalten zunehmend auch Großschadensereignisse Aufmerksamkeit. Danach wird der Prozess der Öffnung der Kirchen für religionsverbindende Feiern nachgezeichnet und die innerkirchlichen Debatten sachgerecht verortet.

Es folgen sechs Kapitel, welche thematische Cluster ausfindig machen und vergleichend darstellen: das Gottesbild in den beteiligten Religionen (108–119), die phänomenologische Sichtung des Gebets (120–140), Typologisierungen bei der Konzeption religionsverbindender Feiern (141–170), theologische Deutekategorien (171–186), Problemfelder und Gefahren (187–198) sowie Empfehlungen für die liturgische Gestaltung (199–244). Das Buch wird mit einer ersten »Kritischen Würdigung« abgeschlossen (245–259), die bereits die oben erwähnte Nachfolgestudie skizzenhaft vorwegnimmt und mitteilt, welche Punkte G. zufolge aus wissenschaftlicher Sicht diskutiert werden sollten. Angehängt wird ein Katalog der untersuchten Quellen in tabellarischer Form (266–300).

Beobachtungen, die G. im Verlauf ihrer Studie macht, sind durchaus für den Fachdiskurs relevant und sollen im Folgenden in Auswahl genannt werden: Die in der Ökumene zum Teil stark divergierenden Positionen zu Chancen und Grenzen solcher Feiern entzünden sich regelmäßig an der Präsenz des Islam (10). Festzustellen ist ferner, dass gerade angesichts der seit den 1990er Jahren gemachten Erfahrungen die Tendenz durchschimmert, an religionsverbindende Feiern vorsichtiger als früher heranzugehen (248). Weitere diachron auszumachende Tendenzen liegen im Bemühen, christlicherseits gemeinsam aufzutreten, aber auch die Perspektive des religiösen Gegenübers besser zu integrieren (23). Durchgängig wird die besondere Sensibilität deutlich, die für die Ausrichtung der Feiern erforderlich ist: Das Gebet, welches auf einer völlig anderen Ebene anzusetzen ist als der argumentative Diskurs, betrifft die Menschen direkt in ihrer Spiritualität und kann erst gefeiert werden, wenn in den bisherigen Begegnungen ein solides Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde (199–201). Sensibilität ist zudem hinsichtlich lauernder Gefahren in der Praxis entscheidend: Auch wenn es sich mittlerweile etabliert haben dürfte, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Religionen nacheinander (nicht miteinander: 139, 149 f.) beten, darf dies nicht in ein bloßes Nebeneinander münden (152). Die Macht der Vorsteherpersonen ist bei religionsverbindenden Feiern eine besondere Herausforderung, weil es zu vermeiden gilt, die Versammlung durch die während der Vorbereitung getroffenen Vorentscheidungen bezüglich der Lieder, Gebete und homiletischen Elemente zu vereinnahmen (191); insofern ist die freiwillige Teilnahme, etwa in der Schule, ein Muss-Kriterium (192). Angesichts der medialen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für solche Feiern nach Katastrophen oder Amokläufen ist Authentizität eine zentrale Herausforderung, um nicht coram publico eine Gemeinsamkeit zu suggerieren, die sich in der Alltagsrealität gar nicht zeigt (180).

Abschließend gilt es zu würdigen, dass die minutiöse Auswertung von 85 Dokumenten der vergangenen 30 Jahre für den liturgiewissenschaftlichen Diskurs ein Desiderat einlöst, gerade weil die Beschäftigung mit religionsverbindenden Feiern ein noch relativ junges Forschungsfeld bildet.

Die methodische Entscheidung, die Analyse nicht auf die katholischen Handreichungen engzuführen, sondern Texte vieler Kirchen aus der westlichen Ökumene im deutschen Sprachraum vergleichend zu untersuchen, entspricht der pastoralen und gesellschaftlichen Realität. Die durchaus pointiert und manchmal auch provokant formulierte Kritik im letzten Abschnitt der Arbeit legt offen, wieviel Gesprächsbedarf im Fachdiskurs noch besteht.