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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

232-234

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Banhardt, Sarah, Gräßel-Farnbauer, Jolanda, u. Carlotta Israel [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Frauenordination in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Interdisziplinäre Perspektiven.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2022. 221 S. Kart. EUR 49,00. ISBN 9783170424869.

Rezensent:

Kerstin Menzel

»An den Evangelisch-Theologischen Fakultäten und Fachbereichen ist Frauenordination heute ein Thema der Kirchengeschichte. […] Es wird nicht mehr in der Exegese oder in der Systematik darum gestritten, ob die Ordination von Theologinnen legitim ist. Es wird auch nicht mehr in der Praktischen Theologie darüber sinniert, wie ›anders‹ die Pfarrerin ist. Die Kirchengeschichte ist es, die sich heute dieses Themas annimmt.« (210) Dieses Zitat von Simone Mantei im abschließenden Beitrag des Sammelbandes deutet an, warum drei Doktorandinnen der Kirchengeschichte als Herausgeberinnen eines Bandes zur Frauenordination fungieren. Der auf einer digitalen Tagung 2022 basierende Band geht über einen historischen Zugang jedoch hinaus und stellt die historischen Prozesse stattdessen – wie im Untertitel bezeichnet – in einen weiten interdisziplinären Horizont. Damit gewinnt er für ein Thema, das in der Theologie in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit verloren hatte, neue Perspektiven.

In einem ersten Teil stellen die drei Herausgeberinnen Einblicke in ihre Forschungsarbeiten vor. Diese verfolgen unterschiedliche Zugänge und fokussieren verschiedene Ebenen: Carlotta Israel differenziert die Rolle der Bekenntnisverbünde in orientierende, beschleunigende und bremsende Bewegungen aus. Sarah Banhardt folgt anhand einer Berufsbiografie der Entwicklung in der badischen Landeskirche. Jolanda Gräßel-Farnbauer bewegt sich zwischen diesen beiden Ebenen mit einer Darstellung der Entwicklung in der – den Anspruch von Progressivität vertretenden – Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau. Dabei finden sich zwischen den drei Darstellungen interessante kleine Differenzen, etwa in der Beurteilung der Bedeutung des Kriegsendes (»drastischer Einschnitt« [42] bei Banhardt, »wichtiges Argument für die Öffnung« [52 f.] bei Gräßel-Farnbauer). Die unterschiedlichen Einschätzungen müssen sich jeweils nicht ausschließen, sie unterstreichen aber das von den Herausgeberinnen markierte Desiderat einer bisher vor allem regionalgeschichtlich betriebenen Forschungslinie.

Ein zweiter Beitrag von Carlotta Israel bildet das Scharnier in den weiteren Band und skizziert anhand des Ergänzungsbands zum Gleichstellungs-Atlas (hg. von der Konferenz der Frauenreferate und der Gleichstellungsstellen in den Gliedkirchen der EKD sowie dem Studienzentrum der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie) die Phasen der kirchenrechtlichen Entwicklung im Raum der EKD insgesamt. Phasen allerdings, die sich in ihrer zeitlichen Verortung in weiten Teilen überschneiden. Damit verbindet sie die Ebenen der praktischen Berufswirklichkeit einzelner Theologinnen, der kirchenpolitischen Entwicklungen in den Landeskirchen und der Differenzen zwischen den Konfessionsverbünden und zieht Verbindungslinien in die beiden folgenden Teile des Bandes.

Die drei Beiträge der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, der Soziologie und der Rechtslehre bieten interessante Vergleichsperspektiven: So betont Susanne Schötz im Blick auf weibliche Erwerbsarbeit seit der Industrialisierung die Diskrepanz zwischen den häuslich-fürsorglichen Idealisierungen von Weiblichkeit durch »bürgerliche Meisterdenker« (74, mit Verweis auf Ute Frevert) und der tatsächlichen beruflichen Wirklichkeit von Frauen in Manufakturen, Häusern, Familienbetrieben, Fabriken und eigenen Geschäften. Diese wohl auch im Blick auf die ersten Theologinnen bestehende Differenz könnte für zukünftige kirchengeschichtliche Forschung die Betrachtung der tatsächlichen beruflichen Praxis von Frauen noch einmal unterstreichen. Finden sich nicht auch im Raum der Kirche jenseits der bekannten binären Konstruktionen »konkurrierende Weiblichkeitsvorstellungen, die zu Aushandlungsprozessen um den Platz und die Aufgabe von Frauen führten« (99)? In eine ähnliche Richtung weist die von Laura Hanemann rekonstruierte »Rolle der Pfarrfrau als bürgerliche, weibliche Zivilisationshüterin« (147) und als konstitutiver »Teil des Pfarramtes« (148). Auch im Blick auf die Pfarrfrau fallen dabei idealtypische familiale Konzeption und (unbezahlte) berufliche Wirklichkeit nicht unbedingt in eins. Der Beitrag von Celina Windbiel zur Gleichstellung von Frauen im staatlichen Beamtenrecht macht noch einmal deutlich, dass wir es bei der Frauenordination mit »einer gegenüber allgemeinem Recht äußerst verzögerten Entwicklung« (Israel, 69) zu tun haben. Im Beamtenrecht fielen spätestens 1953 alle geschlechtsspezifischen Beschränkungen im Blick auf Zugang, Bezahlung und Ausscheiden aus dem Dienst nach Heirat. Kirchenrechtlich fand dieser Schritt erst zwischen 1962 und 1996 statt (66).

Aus dem kirchenhistorischen Rückblick, so zeigen die Beiträge im dritten Teil des Buches, lassen sich auch weiterführende Perspektiven für gegenwärtige Debatten in den Fächern der Theologie gewinnen. Für die Exegese etwa, so zeigt Lukas Bormann, bietet das Thema Gelegenheit für hermeneutische Überlegungen zur Funktion einer schriftbezogenen Hermeneutik für die Ordnung der Kirche und deren Verbindung zu »mentalitätsgeschichtlichen Veränderungen in der Gesellschaft« (171). Die feministische Theologie, so Bormann, sei dabei in der notwendigen Reflexion von zeitgebundenen biblischen Überidentifikationen beispielgebend. Für die Systematische Theologie gewinnt Sabine Schmidtke mit einem Rückblick auf die Argumentation Martin Luthers einen kritischen Horizont gegenüber der Ausgrenzung bestimmter Personengruppen von kirchlichen Ämtern aufgrund fragwürdiger Kriterien von »Eignung«. Und für die Praktische Theologie verweist Ulrike Wagner-Rau auf die Notwendigkeit einer breiten geschlechtersensiblen Reflexion eines sich stetig wandelnden und pluralisierenden Berufs, die andere sexuelle Identitäten, Körperlichkeit und Intimität einschließt sowie antigenderistische Entwicklungen aufmerksam verfolgt. In eine ähnliche Richtung argumentiert Simone Mantei im bereits zitierten abschließenden Beitrag, der den Umgang mit Diversität als wesentliche Zukunftsaufgabe im Blick auf den Pfarrberuf aufzeigt.

Die Frage nach dem Verhältnis von gesellschaftlicher Entwicklung und theologischer Hermeneutik nimmt der bündelnde Beitrag von Gisa Bauer noch einmal auf. Während ersteres für den Eintritt von Frauen in den Pfarrberuf wesentlich gewesen sei, war eine dauerhafte Etablierung des weiblichen Amts nur mit einer plausiblen theologischen Argumentation denkbar (207). Für die von Bauer erwähnten bleibenden Ausschlüsse in anderen Konfessionen und einigen auch europäischen protestantischen Kirchen ließe sich dieses Verhältnis noch einmal weitergehend reflektieren.

Dass die Beiträge einen westdeutschen Fokus aufweisen, wird in den Beiträgen von Wagner-Rau und Bauer zumindest angedeutet. Darüber hinaus wäre wünschenswert, wenn das Thema zukünftig noch stärker für eine geschlechtersensible Betrachtung der Konstellationen unterschiedlicher kirchlicher Mitarbeit fruchtbar gemacht würde, wo sich doch etwa in der Ordinationspraxis der Kirchen bis heute Kontinuitäten der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung finden lassen.

Insgesamt legen die drei Nachwuchswissenschaftlerinnen ein für die weitere Forschung überaus anregendes Buch vor, das die Relevanz des Themas »Frauenordination« für die Theologie und andere Geistes- und Sozialwissenschaften deutlich aufzeigt.