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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

222-225

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Assel, Heinrich

Titel/Untertitel:

Elementare Christologie. 3 Bde. 1. Bd.: Versöhnung und neue Schöpfung. 2. Bd.: Der gegenwärtig erinnerte Jesus. 3. Bd.: Inkarnation des Menschen und Menschwerdung Gottes.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2020. 1344 S. Geb. EUR 98,00. ISBN 9783579081366.

Rezensent:

Bo Kristian Holm

In der Zeit zwischen dem Erscheinen dieser beeindruckenden Christologie des Greifswalder Systematikers Heinrich Assel und dieser Rezension hat sie nur an Aktualität gewonnen. Oder genauer: Die aktuelle politische Situation hat uns auf tragische Weise vor Augen geführt, was immer schon die Grundfrage des Menschseins war. Nach der Einleitung beginnt das erste Kapitel unter der Überschrift »Versöhnung und Aussöhnung heute« mit der Frage nach der Möglichkeit von Versöhnung. Als eindrückliches Beispiel wird das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen gewählt.

Eine immense Arbeit steckt in dieser Christologie, die als erste nach langer Zeit – wie der Verfasser richtig wahrnimmt – die weitverbreitete christologische Skepsis aufnimmt. Eine Skepsis, die dieser Christologie ihre besondere Schärfe verleiht, zumal sie eine Antwort anbietet. Man liest die Bände weder leicht noch schnell, aber man liest sie mit Gewinn – sowohl wegen ihrer Originalität als auch wegen ihrer inhaltlichen Breite. Kein Aspekt der Christologie wird ausgelassen.

Die Stärke dieses monumentalen Werkes liegt vor allem darin, dass es Assel gelingt, traditionelle Lehrpunkte neu zu beleuchten und die ökumenische Inkarnationschristologie entgegen deren neuprotestantischer Vernachlässigung wieder erstarken zu lassen, ohne dabei ihre Probleme zu übergehen, die er vor allem durch seine profunde Kenntnis der jüdischen Philosophie auf den Punkt zu bringen vermag.

Der erste Band mit dem Titel »Versöhnung und neue Schöpfung« beginnt mit der Frage nach dem Anfang einer Christologie: »Was heißt es eigentlich, sich am Namen JESUS CHRISTUS zu orientieren?« Damit wird die Christologie eng mit der Praxis und dem gegenwärtigen Leben verbunden und damit eng mit dem Imaginären, ohne das sich keine Lebenspraxis orientieren kann. Ein Leben, das sich am Namen Jesus Christus orientiert, ist ein Leben im Imaginären der möglichen Versöhnung. Der Name ist ein Name für Kreuz und Auferstehung als trinitarisches Geschehen und Identifikation. Seine lebensweltliche Wahrnehmung vollzieht sich, so der Autor, in realpolitischen Versöhnungsvorstellungen und -hoffnungen.

Mit diesem Einstieg werden die christliche Versöhnungslehre und die Wahrnehmung des eigenen Subjektseins mit der elementaren Christologie verbunden. Folgerichtig und inhaltlich pointiert endet der erste Band unter dem Titel »Versöhnung und Neuschöpfung« mit der Kirche als sozialimaginativer Vorstellung und empirischer Wirklichkeit des Leibes Christi. Die beiden folgenden Bände tragen die Titel »Der gegenwärtig erinnerte Jesus« und »Menschwerdung des Menschen und Menschwerdung Gottes«.

Die inhaltliche Ordnung der drei Bände ist ungewöhnlich, aber äußerst konsequent. Statt sich an traditionellen Gemeinplätzen zu orientieren, wird Assels Christologie nach dem Elementaren – nämlich dem Namen JESUS CHRISTUS als Thema und Grund des Glaubens – gegliedert, wobei die elementaren Fragen nach dem Warum und dem Was des Glaubens um die Fragen nach der Zeit und dem Ort des Glaubens sowie nach der wirksamen Gegenwart und der Abwesenheit Jesu Christi erweitert werden. Mit der Frage nach der wirksamen Gegenwart rücken die impliziten Leser und Hörer ins Blickfeld, was besonders im zweiten Band, der die Exegese diskutiert, zum Tragen kommt. In der Verbindung von Textsemiotik und Rezeptionshermeneutik (v. a. L. Marin und W. Iser) wird die semiotische Exegese zu einem Zugang zum Thema des gegenwärtig erinnerten Jesus in einer grundsätzlichen Zeugenorientierung, sowohl im Blick auf den Text als auch auf den Leser und die Leserin. Hier findet sich eine außergewöhnlich tiefgründige Auseinandersetzung mit dem biblischen Zeugnis in einem durchgehenden Versuch, eine Geist-Christologie nicht als Alter- native zur Inkarnationschristologie zu verstehen, sondern sie in eine reflektierte Inkarnationschristologie zu integrieren. Vor allem aber zeigt der Band eine äußerst nüchterne Auseinandersetzung mit allzu schnellen Vorwegnahmen späterer kirchlicher Theologie in den biblischen Schriften (§§ 21.25.28).

Diese Art der Strukturierung einer Christologie bedeutet nicht nur, dass faktische geschichtliche Versöhnungserfahrungen zum Thema werden, sondern auch, dass Versöhnung von vornherein mit Neuschöpfung gekoppelt wird. Assel will in kritischer Auseinandersetzung mit I. U. Dalferth die Inkarnation nicht als sekundäre Interpretation des Auferstehungsglaubens verstehen, sondern eine reflektierte Inkarnationschristologie vorlegen, die gezielt die ökumenische Christologie kritisch integrieren kann.

Der versöhnende Tod Jesu wird nicht selten als die Bestimmung Gottes als Liebe untersucht. Wie dies einer tragfähigen Schöpfungslehre Raum gibt, wird zu einem Hauptthema des dritten Bandes. Mit Bezug auf H. G. Geyer wird bei Assel die theologia crucis als Trinitätstheologie »Kapitel und Kompendium« für die Inkarnationstheologie (III, 19–26), die unter den Stichworten Gabe, Hingabe, Selbsthingabe, Selbstpreisgabe, Selbstopfer erörtert wird. Assels Verbindung von Gabe und Gebet ermöglicht eine vertiefte Analyse der Christologie als Kommunikation und als anschauliches Bild der Liebe Gottes. Dabei zitiert er Ernst Fuchs, der wichtige Denkstrukturen des Werkes vorgibt: »Liebe muß anschaulich werden, wenn sie helfen soll ...« (I, 235; vgl. III, 299).

Was dieses Werk besonders auszeichnet, ist die konsequente Auseinandersetzung mit den Kritikern der Christologie. So folgt auf die historisch orientierte Deutung der reformatorischen Christologie eine eindrucksvolle Auseinandersetzung mit den Skeptikern. Auch diese gezielte Auseinandersetzung macht den besonderen Charakter des Werkes aus. Nirgendwo sonst findet sich derzeit eine so reflektierte Einbeziehung von Vorstellungen der jüdischen Philosophie (vor allem H. Cohen, F. Rosenzweig und E. Levinas). Besonders der Gedanke des »Einzigen für den Anderen« bei Levinas wird christologisch geöffnet (z. B. I. 259) und mit Levinas’ Doppelperspektive der Inkarnation des Menschen und der Menschwerdung Gottes verknüpft. Unter Einbeziehung der inkarnationsphilosophischen Problematisierung bei Levinas wird eine Alternative zur bisherigen Antwort evangelischer Inkarnationstheologien auf die Totalverwerfung bei D. F. Strauß ausgearbeitet, die sich in typologischen Formen des Unendlichkeits-metaphysischen (von I. A. Dorners bis W. Pannenberg), des Willens-theistischen Modells (von A. Ritsch über W. Hermann bis K. Holl) und des neo-chalkedonensischen Modells (von K. Barth bis E. Jüngel) findet (III, 151). Insbesondere für die Liebhaber des neo-chalkedonensischen Modells bietet Assel viel Stoff zum Nachdenken.

Besonders gedankenreich ist die Neuinterpretation der späten Christologie Luthers von deus incarnatus und homo deificatus, wo die Lehre vom verheißenden Gott und sündigen Menschen in seiner Einführung der »neuen Sprache« sowohl an die frühere Theologie (wie in der Latomusschrift) anknüpft als auch in einem entscheidenden christologischen Zugleich weiterführt, das eine bloße Instrumentalisierung der Person Jesu verhindern soll. In kritischer Auseinandersetzung mit J. Baur wird die Ubiquitätslehre als besonders gelungene Konkretion lutherischer Christologie abgelehnt. Eindrucksvoller Schluss des Werkes ist der abschließende § 36 mit dem Titel »Anders gesagt: Der Prolog als Zeuge der Inkarnation«, der Assel zufolge die nur am Ende mögliche Zusammenfassung seiner Christologie im Sinne einer systematisch-theologischen Exegese des Johannes-Prologs darstellt. Die Zentralstellung des vierten Evangeliums ist nicht von vorne zu begründen, sondern nur von hinten (vgl. III, 19 f.) – nach einer ernsthaften Durchreflexion der vielen Christologien der Schrift (Bd. II) und einer Auseinandersetzung mit der christologischen Entwicklung (Bd. III).

Assels Methode, die Einzelelemente der Christologie in ihren möglichen Zusammenhängen zu reflektieren, bedeutet, dass er mit dem Wechsel der Einzelthemen auch die bevorzugten Gesprächspartner wechselt, so dass er sich immer wieder auf diejenigen konzentriert, die die Einzelthematik auf den Punkt gebracht haben. Hier verlangt Assel seinen Lesern einiges ab, hier gewinnt das Werk aber auch sein entscheidendes Lernpotential, vor allem als Relektüre zu Einzelaspekten. So liest sich Assel durch die christologiegeschichtliche Entwicklung von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Wenn überhaupt eine Art von Kritik formuliert werden soll, dann geht sie in die Richtung dessen, was bei aller Ausführlichkeit meines Erachtens nicht die nötige Beachtung gefunden hat. Als nicht zu übersehende Unterströmung durchzieht das Wort die Bände in seiner promissionalen Gestalt, d. h. in der »Lehre vom verheißenden Gott und sündigen Menschen« (III, 164), und ist als solche sowohl zukunftseröffnend als auch grundidentifizierend. Eine eigene Bearbeitung blieb dem Werk jedoch versagt. Das promissionale Wort mit seiner orientierenden Identifikation des Hörers, in dem sich der Verheißende im Wort selbst als Gott für den Menschen ausweist, scheint wesentlich zu der sonst inspirierenden Verbindung von Christologie und Schöpfungslehre im dritten Band beitragen zu können. Vielleicht könnte es auch zu einer Relektüre von Luthers Verständnis der Realpräsenz als einer in den Elementen verleiblichten promissio beitragen.

Angesichts des immensen Umfangs des Werkes wird eine Rezension immer zu kurz greifen. Am Ende steht jedoch fest, dass dieses Werk für künftige christologische Diskussionen unverzichtbar ist. Eine so tiefgründige und perspektivenreiche gegenwarts-orientierte Christologie bietet derzeit kein anderes Buch.