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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

212-214

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Folwarczny, Uwe

Titel/Untertitel:

Lutherische Orthodoxie und konfessioneller Pragmatismus. Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg zwischen Dynastie, Territorien und Reich.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2022. 625 S. m. 9 Abb. 9 Tab. = Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Forschungen, 20. Geb. EUR 109,00. ISBN 9783428182633.

Rezensent:

Christian Nottmeier

Anzuzeigen ist die erste monographische Darstellung der Regierungszeit des Brandenburgischen Kurfürsten Joachim Friedrich (1598–1608). Seine Regentschaft hat dem Autor Uwe Folwarczny zufolge »in dynastisch-territorialer Hinsicht die Grundlagen für den späteren Aufstieg des Hauses Hohenzollern im gesamteuropäischen Maßstab gelegt« (29). F. erhebt in seiner Potsdamer Dissertation nicht nur den Anspruch, die in der Forschung wenig beachtete Übergangsperiode zwischen der in Brandenburg 1539 durch seinen Großvater Joachim II eingeführten lutherischen Reformation und dem Übertritt seines Sohnes Johann Sigismund zur reformierten Konfession 1613 zu erhellen. Er versucht vielmehr auch, die vermeintlich etatistische Verengung der Forschung durch eine »kollektivbiographische« Fragestellung zu überwinden (13–17). Deshalb gilt sein Augenmerk neben der Person des Kurfürsten insbesondere dessen hoher geistliche und weltliche Amtsträgerschaft. So entsteht, auch dank gründlicher Archivforschungen, ein anschauliches Bild der Netzwerke wie der sich daraus erschließenden Handlungspielräume, derer sich der Kurfürst bedienen konnte. Den wichtigsten Beratern Joachim Friedrichs sind umfangreiche Biogramme der Amtsträger als abschließendes fünftes Kapitel der Untersuchung gewidmet (353–539).

Neben der Grundlegung von Brandenburgs Weg zur europäischen Großmacht, die F. u. a. in der Aufrechterhaltung und Untermauerung der später eintretenden Erbfälle am Niederrhein und in Preußen erläutert, hat die Arbeit aber auch eine reformationsgeschichtliche Stoßrichtung. Joachim Friedrich komme zusammen mit seinen Beratern das Verdienst zu, wesentliches zur »Verfestigung des lutherischen Bekenntnisses in Kurbrandenburg« (333) beigetragen zu haben.

F. gliedert seine Arbeit in fünf Abschnitte. Neben den bereits erwähnten methodischen Vorbemerkungen (11–44) widmet er sich zunächst der Vorgeschichte von Joachim Friedrichs Herrschaft als Markgraf von Brandenburg (45–106). 1546 geboren, wurde er in der Regierungszeit seines Großvaters Joachim II. 1554 zum Bischof von Havelberg und 1555 zum Bischof von Lebus gewählt, 1560 folgte die Wahl zum Bischof von Brandenburg. Damit waren die drei kurbrandenburgischen Landesbistümer – bisher mit ihren Domkapiteln noch weithin katholisch – in der Hand der lutherischen Hohenzollern. Formal bestanden die Bistümer bis 1598 fort, ihre Säkularisation und Überführung in den landesherrlichen Besitz wurde aber schon vor 1598 sukzessive vollzogen. Als vierte Bischofswürde kam 1566 die Wahl zum Administrator des Erzstifts Magdeburg hinzu. Anders als in den drei Landesbistümern gestaltete sich hier der Herrschaftsantritt allerdings schwieriger. Die Wahl des Hohenzollern war reichsrechtlich umstritten und mündete in den Magdeburger Sessionsstreit, der erst 1597 durch den Verzicht Joachim Friedrichs auf seine Session beendet wurde. Von besonderem Interesse ist allerdings die Kirchenpolitik Joachim Friedrichs im Erzstift Magdeburg. Diese zeichnete sich durch die Einführung einer Kurbrandenburg entsprechenden kirchlichen Ordnung aus. Die Pfarrerschaft wurde auf die Konkordienformel verpflichtet. Dass Joachim Friedrich ein frommer Lutheraner war, hinderte ihn aber bereits in dieser Zeit nicht, eine gesamtprotestantische Reichspolitik in den Blick zu nehmen. Hauptgegner waren für ihn nicht wie für seinen Vater die Calvinisten, sondern die erstarkenden Kräfte der Gegenreformation. Mit dieser Position konnte er sich aber gegen seinen Vater wie dessen Verbündeten Kursachsen nicht durchsetzen (88–106).

Sodann verfolgt F. im dritten Kapitel die eigentliche Regierungszeit der Jahre 1598 bis 1608 (107–325). Zunächst musste Joachim Friedrich entgegen dem Testament des Vaters sich mit der Absicht behaupten, die ungeteilte Herrschaft des Kurfürstentums zu übernehmen, hatte letzterer doch eine Teilung zwischen seinen Söhnen im Testament festgelegt. Schließlich gelang es Joachim Friedrich, den Gedanken der territorialen Einheit Brandenburg durchzusetzen (118). Hauptaugenmerk des Kurfürsten war aber die Sicherstellung der Erbansprüche im Herzogtum Preußen (127–198) und in den Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg (198–255). Beides erforderte hohes diplomatisches Geschick und gesamteuropäische Einbindung. Hinzu kam der Umstand, dass der Kurfürst je nach Situation zwischen dem lutherischen Verbündeten Kursachsen, dem katholischen Kaiserhof, dem polnischen König als Lehnsherren Preußens und den reformierten Generalstaaten der Niederlande lavieren musste. F. versucht, diese Politik unter dem etwas verwirrenden und nicht näher ausgeführten Begriff des politischen Protestantismus zu fassen und darzustellen (256–291). Gemeint ist mit diesem geistesgeschichtlich eher problematischen Begriff die politische Kooperation beider evangelischer Konfessionen, die der Kurfürst gegen die eigentlichen Hauptgegner der katholischen Gegenreformation absichern wollte. Diese weitsichtige Erkenntnis fußte bereits auf der Magdeburger Zeit. So schrieb Joachim Friedrich schon 1585 an seinen Vater: »mögen die auswärtigen evangelischen Kirchen mit uns nicht einer Meinung sein im Artikel vom Abendmahl, aber wir können bei uns nicht anders schließen, als dass sie unsere Mitglieder und wir ihnen zu helfen schuldig sind« (93).

Dass diese Einsicht der eigenen konfessionellen Identität keinerlei Abbruch tat, zeigt F. mit Blick auf die Religions- und Schulpolitik des Kurfürsten (292–325). Überzeugend kann er darlegen, dass Joachim Friedrich mitnichten die Grundlage für die Hinwendung der Hohenzollern zum reformierten Bekenntnis gelegt habe, den dann Joachim Friedrichs Sohn und Nachfolger Johann Sigismund 1613 nur noch offen vollzogen habe, wie es etwa Rudolf von Thadden oder auch Heinz Schilling behauptet haben. Tatsächlich muss man keinen Gegensatz zwischen der reichspolitischen konfessionellen Offenheit und der landespolitischen lutherischen Strenge des Kurfürsten konstruieren. Dem Vorwurf des verdeckten Reformiertentums setzte sich Joachim Friedrich besonders durch die Abschaffung traditionalistischer Frömmigkeitsformen am Cöllner Domstift seiner Berliner Residenz aus, dabei holte er lediglich »eine liturgische und zeremonielle Reformation der als kultisches Zentrum Kurbrandenburgs gestifteten Domkirche nach, die aufgrund spezifischer kurbrandenburgischer Voraussetzungen und Entwicklungen bis dahin unterblieben war. Die anachronistische Insel, die der Dom im lutherischen Deutschland dargestellt hatte, war verschwunden« (297). Die Visitationspraxis, die Gründung des Joachimsthaler Gymnasiums als »konfessioneller Multiplikator« (304 ff) und die Etablierung der Frankfurter Viadrina als »Zentrum lutherischer Orthodoxie« (314 ff) dienten der Stärkung einer dezidiert lutherischen Konfessionskultur.

Das vierte Kapitel bietet eine knappe Zusammenfassung der Ergebnisse (326–352), die die Verdienste des Kurfürsten besonders bezüglich der dynastischen Erbanwartschaften, des reichspolitisch verstandenen politischen Protestantismus und einer klar lutherischen Religions- und Schulpolitik hervorhebt.

Insgesamt ist die angezeigte Arbeit sowohl für die brandenburgische Landes- wie Kirchengeschichte von besonderer Bedeutung. Landesgeschichtlich erarbeitet sie wichtige Voraussetzungen der Entwicklung Brandenburgs zur europäischen Großmacht, kirchengeschichtlich belegt sie die Verankerung der lutherischen Konfessionskultur in Brandenburg, die trotz des Übertritts des Herrscherhauses zum reformierten Bekenntnis 1613 sich bis ins 18. Jh. und darüber hinaus als Kennzeichen der kurmärkischen Kirche erhalten sollte.