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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

196-198

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schenk, Dorothee

Titel/Untertitel:

Monastische Bildung. Johannes Cassians Collationes Patrum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2023. XI, 363 S. = Studies in Education and Religion in Ancient and Pre-Modern History in the Mediterranean and Its Environs, 16. Lw. EUR 89,00. ISBN 9783161614897.

Rezensent:

Heinrich Holze

Die hier vorzustellende kirchengeschichtliche Dissertation ist ein Beitrag zur Bildungsgeschichte des Christentums in der Spätantike. Sie wurde vorgelegt von Dorothee Schenk, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, die mit dieser Arbeit im Wintersemester 2021/2022 promoviert wurde. Gegenstand der Untersuchung sind die Collationes Patrum, eine in den 20er Jahren des 5. Jh.s entstandene Schrift, in der Johannes Cassian von Begegnungen und Gesprächen mit den ägyptischen Mönchsvätern Zeugnis ablegt. Sein Lebensweg hatte ihn vom Schwarzen Meer zunächst nach Bethlehem, dann zu den Anachoreten in der Sketis und schließlich über Konstantinopel nach Südgallien, wo er in Marseille zum Klostergründer wurde, geführt. Mit seinen Schriften hat Cassian, so die These der vorliegenden Untersuchung, monastische Bildungsprozesse angestoßen und ist dadurch zum Mittler zwischen dem östlichen und dem westlichen Mönchtum geworden.

Den Einstieg bildet ein knapp gehaltener Forschungsüberblick, der allerdings, ohne dass diese Auswahl begründet würde, nur auf Untersuchungen der englischsprachigen Forschung eingeht (Kap. 1). Die biographische Einführung wird in einer doppelten Perspektive entfaltet, insofern Cassian zunächst als Schüler und dann als Lehrer vorgestellt wird. Bei den ägyptischen Anachoreten, aber auch – wenngleich in anderer Weise – bei Origenes bzw. der von ihm inspirierten origenistischen Theologie tritt er als Schüler in Erscheinung. Auch gegenüber Evagrius Ponticus sowie Johannes Chrysostomus, dem er in Konstantinopel begegnet, ist das Schülerverhältnis maßgebend (Kap. 2). Als Lehrer tritt Cassian erst in Südgallien in Erscheinung. Hier verfasst er einen gegen Nestorius gerichteten christologischen Traktat sowie zwei längere monastische Schriften, darunter die Institutiones, eine Beschreibung der monastischen Gebetspraxis, die mit einer Deutung der Achtlasterlehre verbunden wird. Cassians Hauptwerk und zugleich Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind die Collationes, ein nach narratologischen Gesichtspunkten gestalteter Text, in dem Cassian in literarisch stilisierter Form die mit den ägyptischen Anachoreten geführten Gespräche und ihre Gedanken zum monastischen Leben entfaltet.

Im folgenden Kapitel werden zunächst die theoretischen und methodischen Grundlagen der Untersuchung erläutert (Kap. 3). Im Zentrum steht dabei die Frage, was monastische Bildung sei und ob diese nicht vielmehr ein Widerspruch in sich darstelle, da die Anachoreten weltliche Bildung ausdrücklich verwerfen. Was unter Bildung in der Spätantike zu verstehen und wie der Begriff zu definieren ist, wird in der Untersuchung allerdings nur kurz diskutiert und weitgehend in Übernahme der Leitkriterien des Göttinger SFB »Bildung und Religion in Kulturen des Mittelmeerraums«, aus dem die Dissertation hervorgegangen ist, bestimmt. Daran anknüpfend unterstreicht die Vfn., dass Cassian diese Fragen in den Collationes thematisiert, indem er Parallelen zur klassischen Bildung zieht und daraus die Vereinbarkeit von Bildung und Mönchtum ableitet. Was Cassian gedanklich entwickelt, trägt demnach durchaus Züge eines modernen Bildungsbegriffs, insofern als Ziel benannt wird, die Adressaten der Schrift zu einer eigenständigen Reflexion ihres monastischen Denkens zu befähigen. Tatsächlich habe er, so das Zwischenfazit der Untersuchung, mit den Collationes in Analogie zu vergleichbaren Lehrbüchern der Spätantike faktisch ein monastisches Lehrbuch vorgelegt.

Ausgehend von dieser Einordnung werden die theologischen und anthropologischen Voraussetzungen monastischer Bildung dargestellt (Kap. 4). Auffällig ist allerdings, dass der Blick nur auf die theologische Deutungsebene gelenkt wird, während das konkrete Leben in der Abgeschiedenheit des Kellions mit Gebet, Handarbeit, Askese und Nahrungsaufnahme nur angedeutet wird. Das ist zu bedauern, weil die äußeren Lebensbedingungen für die Themenstellung keineswegs unwichtig sind, sondern den Reflexionsrahmen des anachoretischen Denkens bilden und darum immer mitbedacht werden müssen. Im Zentrum der Untersuchung steht ausschließlich der »Innere Mensch«, womit die Vfn. den Blick auf die Anfechtungen durch Laster und Dämonen lenkt, die Cassian im Sinne der traditionellen Achtlasterlehre interpretiert. Des weiteren werden das Ringen um Sünde und Buße als Thema monastischer Bildung wie auch die Einsicht in die Unmöglichkeit der Sündlosigkeit beschrieben. Wichtig sind die Ausführungen zum Verhältnis von freiem Willen und göttlicher Gnade, denen Cassian in den Collationes ein eigenes Gesprächskapitel widmet, was ihm einen Platz in der Dogmengeschichte des Semipelagianismus gesichert hat. Die Untersuchung geht darauf jedoch nicht näher ein, sondern betont vor allem die Bedeutung, die Cassians Interpretation des Miteinanders von menschlichem Willen und göttlicher Gnade für die monastische Bildung gehabt hat.

In einem weiteren Schritt werden die Methoden und Prozesse monastischer Bildung analysiert (Kap. 5). Im Zentrum steht die für die Kommunikationssituation der Mönchsväter grundlegende Lehrer-Schüler-Konstellation. Von überragender Bedeutung ist der Gebrauch der Hl. Schrift, deren Worte nicht nur gelernt und im Gebet gesprochen, sondern im Gespräch zwischen Lehrer und Schüler ausgelegt werden, wobei die Frage nach einem mehrfachen Schriftsinn von den Mönchsvätern unterschiedlich beantwortet wird. Der Schriftauslegung im monastischen Bildungsprozess tritt bei den Anachoreten das Lernen durch Erfahrung zur Seite, womit nicht nur die eigene Erfahrung, sondern auch die der Väter gemeint ist. In diesem doppelten Bezug wird die Erfahrung als Lehrmeisterin der monastischen Bildung bezeichnet, wobei auch hier kritisch vermerkt werden muss, dass die innere Erfahrung nicht ohne den äußeren Bedingungsrahmen anachoretischen Lebens gedacht werden kann. Ihren Ausdruck findet die Erfahrung im Gebet, das Cassian nach vier Formen unterscheidet, dessen wahre und höchste Gestalt aber im immerwährenden Gebet, dem die Mönchsväter im täglichen Leben nachstreben, zum Ausdruck kommt.

Im letzten Kapitel werden die in den Collationes entfalteten Bilder und Konzepte monastischer Bildung zusammenfassend dargestellt (Kap. 6). In ihnen zeigt sich nach Überzeugung der Vf.n, dass das alles überragende Ziel der monastischen Bildung die Reinheit des Herzens ist, die den Weg zur geistlichen Erkenntnis der Gottesschau öffnet und als Vollkommenheit beschrieben werden kann.

Im Anhang finden sich die Thesen zur Disputation, in denen die wichtigsten Gedanken der Untersuchung pointiert zusammengefasst werden. Ein umfängliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie mehrere Register, darunter auch ein nützliches Sachregister mit zentralen Begriffen, runden diese Arbeit ab. Die Vfn. weist in ihrer Untersuchung überzeugend nach, dass Cassian, indem er das bildungsskeptische ägyptische Mönchtum mit dem Denken südgallischer Klostergründer ins Gespräch bringt, zu einem Mittler zwischen den theologischen und monastischen Traditionen an der Grenze von Antike und frühem Mittelalter und damit zu einem Wegbereiter des Mönchtums als Bildungsinstitution geworden ist.