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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

192-194

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

MacDiarmid, Frazer

Titel/Untertitel:

The Memory of Ignatius of Antioch. The Martyr as a Locus of Christian Identity, Remembering and Remembered.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XII, 269 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 581. Kart. EUR 94,00. ISBN 9783161614996.

Rezensent:

Markus Vinzent

Hervorgegangen aus einer Oxforder PhD Thesis unter der Supervision von Mark Edwards und Carol Harrison, unterstützt von Lydia Schumacher, bietet die vorliegende Monographie von Frazer MacDiarmid eine eingehende und präzise Studie zu einer »long lineage of individuals and communities that have contributed towards the memorial of Ignatius fixed in a recension of his letters in the fourth century«, und erhebt ein »emergent portrait […] not of a single personage« (141). Während sich die erste Hälfte des Buches auf die sieben Briefe in der sogenannten Mittleren Rezension (MR) bezieht, die als genuin angesehen wird, wird der Blick in der zweiten Hälfte, ab Kapitel 5, geweitet hin zunächst zur Langen Rezension (LR) der vierzehn Briefe umfassenden Sammlung. Das ist hilfreich, weil gerade dieses Korpus verglichen mit der MR bislang zu wenig beforscht worden ist. Der Vf. liest diese Briefe »as Christian biography« (145). Für sein Projekt der Memorialisierung des Ignatius ist dies ein wichtiger Schritt, weil, wie er richtig hervorhebt, es diese Ignatiusfigur war »encountered in the LR, not the MR […] that (was) evoked in the memory of Christians by the name of ›Ignatius‹« durch die Jahrhunderte hindurch (156). Nach einer Durchsicht der theologischen Auffassungen der LR, die zwar zu Arianismus neigen, ohne jedoch ein solcher durch und durch zu sein (155–179), wird auch auf den »anti-Judaism« dieser Briefesammlung eingegangen (169).

Wie der Vf. bemerkt, ruft Ps-Ignatius nicht nur die Stimme seines Pseudonyms hervor, er imitiert ihn auch »as far as possible«, schreibt in der Art wie dieser, auch wenn diese Impersonierung, was Stil und Sprache betrifft, nicht vollends gelang (179). So etwa reduziert er die Rede von der Selbstauslöschung, die in der MR prominent ist (181), dann lassen sich editorische »Ausrutscher« feststellen, etwa wenn er Häretikernamen nennt wie Basilides und Theodotus und von Anencletus bzw. Linus als römischen Bischöfen spricht, die nach der Frühdatierung des Ignatius erst nach seinem Tod gelebt hätten. Der Vf. erwägt dabei allerdings nicht, dass Ps-Ignatius vielleicht noch nicht die Frühdatierung von Zahn/Lightfoot, die auf Eusebius basiert, gekannt hat (188). Was die Sprache betrifft, so wurde in der LR die Kultsprache, die bereits in der MR prominent ist, noch verstärkt, was auf den wachsenden Heiligenkult des 4. Jh.s hindeutet (189–191). Vor allem aber verstärkt die LR den Paulinismus der Briefe, indem die Stimme des Ignatius der des Paulus erheblich angenähert (195–196), zugleich jedoch die Erinnerung an Ignatius kultiviert wird, indem dieser Ignatius als auf den Spuren des Paulus wandelnd vorgestellt ist (199–203).

Im Anschluss an die LR stellt der Vf. die beiden Martyrien des Ignatius vor, die bereits Lightfoot untersucht hatte (204–222). In den antiochenischen Akten wird Ignatius, der weithin wie der Ignatius der MR klingt, als Sündenbock vorgeführt – interessanterweise vom Vf. festgehalten (212), auch wenn dies seiner eigenen Deutung der MR in Auseinandersetzung mit dem Girardian Ignatius widerspricht (88–96), indem er die Position vertritt, der Ignatius der MR folge eher der Vorstellung des Paulus, dass sein christusförmiges Leiden dem Wachstum der Kirchen diene. Im Anschluss an dieses Martyrium stellt der Vf. die Predigt des Chrysostomus zu Ehren des Heiligen Märtyrers Ignatius vor (222–229). In ihr wird der Ignatius der MR zum Rollenmodell des Märtyrers, dem die Hörerschaft folgen soll, und scheint der Eigenvorstellung des Märtyrertodes der MR am nächsten zu kommen. In dem römischen Märtyrerbericht, der sich an der LR ausrichtet, wird Ignatius allerdings erneut als Sündenbock vorgestellt (230–232).

Um auf den ersten Teil des Buches zurückzukommen. Das Buch konzentriert sich weithin auf die MR. Es wird zwar auch die kurze Rezension der Drei-Briefe-Sammlung des Ignatius erwähnt, doch sie bleibt außerhalb der Betrachtung. Dabei stützt die vorliegende Untersuchung die Position, dass diese Drei-Briefe-Sammlung (auch Kurze Rezension genannt), keine Abkürzung der Sieben-Briefe-Sammlung darstellt, denn die Ausführungen zur Homonoia etwa stützen sich auf IgnEph 4,1.2; 13.1; IgnMag 6.1; 15; IgnTrall. 12.2; IgnPhld. Inscr., 11.2 – allesamt Texte, die nicht in der Drei-Briefe-Sammlung vorhanden sind, und man hätte die MR mit ähnlichen Strichen zeichnen können, wie die LR die MR memorialisiert. Doch eine Monographie kann gerade ein so weites Thema wie die Geschichte und Entwicklung der Briefe des Ignatius nicht umfänglich bearbeiten. Zu bedenken gilt auch, dass es bislang nicht einmal eine kritische Edition der Martyrien und der Chrysostomuspredigt gibt, was im Falle des antiochenischen Martyriums auch aufzeigt, dass wir keine kritische Edition des Ignatiusbriefs an die Römer besitzen. Der Fokus auf die Memoralisierung des Ignatius, und insbesondere, wie gerade die MR diese Memoralisierung inszeniert, wird anhand von martyrologischen Themen und theologischen Themen einleuchtend vorgeführt. Auch die materiale Seite des im späten 4. Jh. einsetzenden Märtyrerkults an dessen Grab wird dargelegt. Dass gegenüber früheren Deutungen die Sündenbockvorstellung bestritten wird, ist angesichts der Rezeption sowohl der MR wie der LR in den Martyrien, die im Unterschied zu der des Chrysostomus gerade dieser Theorie anhängen, ein Lesevorschlag, der zeigt, wie vielfältig Schriften schon in der Antike gewirkt und verstanden werden konnten.

Für eine weitere Beschäftigung mit Ignatius ist das vorliegende Werk ein erfrischend neuer und für die Zukunft wichtiger Zugang, der auch Soziologie und Memorialhistoriographie fruchtbar macht.