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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

190-192

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hermanin de Reichenfeld, Giovanni

Titel/Untertitel:

The Spirit, the World and the Trinity. Origen’s and Augustine’s Understanding of the Gospel of John.

Verlag:

Turnhout: Brepols Publishers 2021. 276 S. = Studia Traditionis Theologiae, 40. Kart. EUR 65,00. ISBN 9782503589916.

Rezensent:

Maria Louise Munkholt Christensen

Bei diesem Band handelt es sich um Giovanni Hermanin de Reichenfelds überarbeitete und erweiterte Dissertation, betreut von Morwenna Ludlow. Das Buch bietet einen sorgfältigen Vergleich zweier altkirchlicher Auslegungen des Johannesevangeliums. Die zwei Hauptquellen sind Origenes’ Johanneskommentar aus der Mitte des dritten Jahrhunderts und Augustins Predigten über das Johannesevangelium (Tractatus in Iohannis Euangelium) aus dem frühen 5. Jh. Im Mittelpunkt der vergleichenden Analyse stehen die Themen Geist und Welt bzw. die pneumatologischen und soteriologischen Aspekte der Johannesauslegungen.

Das Buch zeichnet sich durch eine klare Struktur aus. Nach einer Vorstellung der zwei Hauptquellen folgen zwei Hauptteile, in welchen Origenes‘ und Augustins Johanneskommentare je für sich analysiert werden. Erst wird untersucht, wie Origenes und danach Augustin den Geist Gottes als Teil der Trinität verstanden haben (Part A. The Spirit in God). Danach wird die Beziehung zwischen dem Geist und der Welt nach dem Verständnis von Origenes und Augustin vorgestellt (Part B. The Spirit and the World). Die Analyse bewegt sich demnach von einer Untersuchung der immanenten zur ökonomischen Trinität. Zum Ende hin gibt es einen direkten Vergleich der beiden Kommentare (Part C. Origen and Augustine: A Comparison). Das komparative Anliegen durchzieht das Buch und sorgt für einige Wiederholungen, die einerseits repetitiv wirken, andererseits aber sichern, dass die Leser den Faden nicht verlieren.

Der Autor nennt mehrmals seine vergleichende Methode »a heuristic comparison«. Rein historisch betrachtet ist die Auswahl von Quellen nicht völlig einleuchtend, da es – abgesehen vom zugrundeliegenden Bibeltext – keine direkten Beziehungen zwischen Origenes’ und Augustins Johanneskommentar gibt (216). Im Gegenteil sind die Kommentare hinsichtlich mancher inhaltlicher und formeller Aspekte unterschiedlich, was aber für den Autor des Bandes wenig bedeutend ist. Er bearbeitet vor allem theologische Fragestellungen, ohne Kontexte und theologische Kontroversen im Detail vorzustellen. Er geht auch nicht darauf ein, welche Vorverständnisse Origenes’ und Augustins Exegese beeinflusst haben, und betont nicht, an welchen Stellen die antiken Autoren eher Eisegesis als Exegese betrieben haben. Viel mehr versucht der Vf., die in den Texten vorliegenden Argumentationsgänge und ihre innere Logik darzustellen. Bei Origenes und Augustin haben wir es unbestreitbar mit zwei der einflussreichsten Theologen der alten Kirche zu tun, deren theologische Denkmodelle in der Theo-logiegeschichte paradigmatisch wurden und Einwirkung auf die spätere Theologie hatten (217). Dieser langfristige Einfluss der untersuchten Autoren wird vom Vf. betont und die Textauswahl dadurch begründet.

Durch den Vergleich zeigen sich zwei unterschiedliche theologische Paradigmen. Laut Vf. geht es um zwei grundlegende theologische Deutungen von Gott und Welt, die nicht nur in der alten Kirche existierten, sondern als Muster in der gesamten Theologiegeschichte wiederzufinden sind. Es handelt sich um »two trajectories of Christian thought« (246) und »two opposite ways of interpreting Christian soteriology« (218). Sowohl für Origenes als auch für Augustin gibt es einen dreieinigen Gott und eine gewisse Zerbrochenheit im Verhältnis zwischen Gott und Welt, jedoch geben die beiden antiken Autoren sehr unterschiedliche Antworten darauf, welche Konsequenz dieser Abstand zwischen Gott und Welt mit sich bringt. Origenes nimmt vor allem Joh 1,1–3 als Ausgangspunkt und entwickelt eine trinitarische Theologie, nach der Teilhabe (participation) die drei göttlichen Hypostasen verbindet, weil Vater, Sohn und Heiliger Geist an denselben Attributen teilhaben. Diese Attribute kommen aber, ontologisch gesehen, vom Vater her und die Teilhabe an den Attributen gilt erstens dem Sohn und durch ihn auch dem Geist. Der Vf. bezeichnet diese Unterordnung innerhalb der Trinität als ein »ontological subordinationism of priority« (z. B. 222) und kontrastiert diese mit einem »ontological subordinationism of superiority« (z. B. 244). Mit diesen Formulierungen wird Origenes’ Subordinationslehre abgeschwächt, nicht aber aufgehoben. In einem nächsten Schritt beschreibt der Vf. Origenes’ Soteriologie, und betont, dass Erlösung laut Origenes in einer Veränderung (transformation) der Einzelnen und der Welt besteht. Der Mensch wird in enger Verbindung mit dem Logos des Sohnes und dem Substratum (»spiritual matter«, 114) des Heiligen Geistes erlöst. Anders als bei Origenes basiert Augustins Verständnis der Trinität vor allem auf Joh 5,26. Der Vf. empfindet das Wort »Identität« (identity) als einen Schlüsselbegriff, um die innertrinitarischen Beziehungen in Augustins Kommentar zu verstehen, weil die drei Hypostasen identisch und miteinander verbunden sind, d. h. »the Trinity itself is a processual reality which exixsts [sic!] as one process of eternal generation and procession« (105). In diesem augustinischen Denksystem besteht Erlösung für den Menschen in der Trennung (separation) von der Welt und in einer Neuschöpfung.

Der Vf. sieht seine entscheidende Leistung in der Herleitung dieser zwei theologischen Denkweisen (220). Dieser Einschätzung schließe ich mich auch an. Methodisch ist die Arbeit aber nicht komplett einzigartig, denn eine ähnliche paradigmatische Gegenüberstellung von origenistischer und augustinischer Theologie gab es bereits im abgeschlossenen Großprojekt »The History of Human Freedom and Dignity in Western Civilization« (https://itn-humanfreedom.eu/). Auch hier wurden Origenes und Augustin als Väter zweier uneinheitlicher und weitreichender Traditionen hervorgehoben. Dieses Projekt zusammen mit dem Buch des Vf.s deuten einen patristischen Trend an, hin zu solchen Aufstellungen von dialektischen Paradigmen, die klassische und kirchlich-orientierte Darstellungen der Dogmengeschichte problematisieren. Als theologischer Denkanstoß wirkt der Vorgang hervorragend. Dennoch entstehen die theologischen Paradigmen zum Teil auf Kosten der Ambiguität der einzelnen Autoren. Der Vf. ist z. B. der Meinung, dass Origenes ein subordinatorisches Verständnis vom Heiligen Geist in Bezug auf den Sohn vertritt und wirft anderen Origenes-Forschern vor, diese trinitarische Subordination des Geistes zu ignorieren (115). Die unterschiedlichen Wahrnehmungen in der Forschung könnten aber auch so gedeutet werden, dass es in Origenes‘ Werken tatsächlich keine eindeutige Pneumatologie gibt, sondern in unterschiedlichen (Kon-)Texten abweichende Betonungen. Der Vf. vergleicht seine Fazits durchaus mit dem bisherigen Forschungsstand. Das demonstriert, wie tief er in die Forschungsliteratur eingelesen ist, und wie häufig er neue Positionen postuliert. Sein systematisch-theologisches Interesse zeigt sich auch in der Einbringung einiger moderner Begriffe, um die antike Theologie systematisch zu beschreiben, z. B. onto-relational nature of love« (77), »onto-theological interpretation of Augustine’s Trinity« (79), »meta-ontologial nature of the Father« (223).

Leider lassen die Register zu wünschen übrig. Im Index moderner Autoren ist ein ärgerlicher Fehler bezüglich der Formatierung unterlaufen, sodass häufig die angegebenen Seiten falsch sind (zwei Seiten zu früh). Außerdem fehlt mir ein Sachregister, um die gestreuten Bemerkungen z. B. zu Kirche oder Filioque bündeln zu können. Das sind aber nur formelle Schwächen, die eine Empfehlung des Buches für theologisch und patristisch interessierte Leser und Leserinnen nicht im Wege stehen sollen. Es ist ein lesenswertes Buch mit einem konstruktiven Ansatz.