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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

186-188

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Konradt, Matthias

Titel/Untertitel:

Christology, Torah, and Ethics in the Gospel of Matthew. Transl. by Wayne Coppins.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. 256 S. = Baylor-Mohr Siebeck Studies in Early Christianity. Lw. EUR 54,00. ISBN 9783161614521.

Rezensent:

Bernd Kollmann

Dieser Aufsatzband von Matthias Konradt ist Teil der Schriftenreihe »Baylor-Mohr Siebeck Studies in Early Christianity«, mit der wichtige Arbeiten aus der deutschsprachigen Forschungsliteratur zum Neuen Testament und seinem antiken Umfeld der englischsprachigen Welt zugänglich gemacht werden sollen. Für die Übersetzung wurden sieben Publikationen des Autors durchgesehen und partiell um neuere Literaturhinweise ergänzt. Die ersten sechs Aufsätze stammen aus den 2016 von K. veröffentlichten »Studien zum Matthäusevangelium«, der siebte Beitrag erschien 2018 in der »Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft« in der deutschen Originalfassung.

Den Auftakt bietet »Matthew in Context« (1–36), wo K. sich der ebenso bedeutsamen wie kontrovers diskutierten Frage nach der Stellung der matthäischen Gemeinde zum Judentum widmet. Diese Frage wird je nach Standpunkt in der Regel so beantwortet, dass man die matthäische Gemeinde entweder noch innerhalb oder aber, da sie den Bruch mit der Synagoge bereits vollzogen habe, außerhalb der Mauern (intra muros/extra muros) des Judentums verortet. Konradt hält dagegen die beliebte Metapher von den Mauern für wenig zielführend. Er plädiert dafür, sich auf die Einsicht zu beschränken, dass das Judentum den primären Lebenskontext der matthäischen Gemeinde bildet und die historische Situation, in die Matthäus seine Jesusgeschichte einbettet, ihre wesentliche Prägung durch den Konflikt zwischen den Christusgläubigen und der pharisäisch dominierten Synagoge erfahren hat. Unter dem Titel »David’s Son and Lord« (37–57) zeichnet K. dann die Grundlinien der matthäischen Darstellung Jesu als davidischer Messias nach. Er zeigt auf, dass die militärischen Züge, welche die früh-jüdische Erwartung des davidischen Messias prägen (PsSal 17; Qumrantexte), in der matthäischen Christologie keine Rolle spielen. Vielmehr erweise sich Jesus für Matthäus infolge eines intensiven Dialogs mit der Schrift (u. a. 2Sam 5,2; Ez 34,16) dadurch als Davidsohn und messianischer Hirte, dass er die Verlorenen sucht und die Kranken heilt. Diese »entmilitarisierte« Präsentation Jesu als eines gewaltlosen und sanftmütigen messianischen Hirten aus dem Hause Davids habe zur Zeit des Matthäus vor dem Hintergrund des gescheiterten Aufstands gegen die Römer und der Zerstörung Jerusalems in besonderer Weise an Profil und Plausibilität gewonnen. In »The Baptism of the Son of God« (59–74) geht K. der Frage nach, wie das von Matthäus dem markinischen Taufbericht hinzugefügte Jesuswort »So nämlich ziemt es sich für uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen« (Mt 3,15) zu interpretieren ist. Einerseits folgt K. dabei der Sichtweise, dass es dort bei der Erfüllung der Gerechtigkeit wie in der Bergpredigt um das von allen Menschen zu erfüllende ethische Handeln gemäß dem Willen Gottes geht. Andererseits hebt er hervor, dass der Gehorsam des Gottessohnes Jesus gegenüber dem Willen des Vaters in Mt 3,15 spezifische Züge trägt und sich in der Passion konkretisiert.

Es schließen sich zwei Aufsätze an, die dem matthäischen Gesetzesverständnis gewidmet sind. In »The Perfect Fulfillment of the Torah and the Conflict with the Pharisees in the Gospel of Matthew« (75–100) zeigt K. anhand der Antithesen der Bergpredigt und der um Gesetzesfragen kreisenden Konfliktszenen des Matthäusevangeliums auf, dass sich in der matthäischen Erörterung der Gesetzesthematik ein einheitlicher Gestaltungswille manifestiert. Dieser sei dadurch gekennzeichnet, dass die matthäische Gemeinde in einem von ihr selbst noch als innerjüdisch wahrgenommenen Konflikt mit der pharisäisch dominierten Synagoge oder Synagogengemeinschaft vor Ort stand und dabei den Anspruch erhob, die legitime Sachwalterin des Erbes Israels zu sein. Unter dem Titel »The Reception and Interpretation of the Decalogue in the Gospel of Matthew« (101–130) untersucht K. die matthäische Rezeption von Dekaloggeboten in der Antithesenreihe (Mt 5,21–48), in der Perikope von dem reichen Jüngling (Mt 19,16–26) und in dem Streitgespräch über die Reinheit (Mt 15,1–20). Wichtige Ergebnisse sind, dass Matthäus Traditionen der frühjüdischen Toraunterweisung als Interpretamente der Dekaloggebote heranzieht und der Dekalog nach matthäischem Verständnis nicht lediglich einen ethischen Minimalkonsens formuliert, sondern den Menschen bezüglich seines Verhaltens und Denkens auf allen zentralen sozialethischen Handlungsfeldern in radikaler Weise fordert. Um die matthäische Ethik geht es auch in den letzten beiden Beiträgen, die den Sammelband abrunden. Der Aufsatz »Blessed are the Merciful (Matt 5.7)« (131–158) arbeitet anhand der betreffenden Seligpreisung und weiterer Texte (Mt 9,1–8; 18,23–35; 23,23; 25,31–46) die zentrale Bedeutung von Mitleid und Barmherzigkeit als ethischer Haltung im Matthäusevangelium heraus, die als Nachahmung Gottes und elementarer Ausdruck der Nachfolge Jesu gekennzeichnet ist. In »Take My Yoke upon You and Learn from Me (Matt 11.29)« (159–185) vertieft K. den Gedanken der christologischen Dimension der matthäischen Ethik. Er stellt heraus, dass Jesu ethische Unterweisung sich für Matthäus nicht in torabezogener Lehre erschöpft, sondern Jesus zudem als Paradigma für das Verhalten der Jünger fungiert, wie sich in Mt 11,28–30 beispielhaft zeige.

Die sieben ausgewählten Aufsätze eröffnen damit erhellende Einblicke in den religionsgeschichtlichen Kontext, die Christologie und die Ethik des Matthäusevangeliums, wobei sowohl die tiefe Verwurzelung des Evangelisten und seiner Gemeinde im Judentum als auch das Spannungsverhältnis zu einem pharisäisch geprägten jüdischen Umfeld markant profiliert werden. Unter dem Strich stellt der vorliegende Aufsatzband eine schöne Ergänzung zu den bereits vorhandenen Übersetzungen der Monographie »Israel, Kirche und die Völker im Matthäusevangelium« (Israel, Church, and the Gentiles in the Gospel of Matthew, 2014) und des Matthäuskommentars (The Gospel according to Matthew. A Commentary, 2020) von K. dar. Mit dieser Trilogie sind nun die wichtigsten Arbeiten des Autors zum Matthäusevangelium bequem auch auf Englisch zugänglich und es ist ihnen angesichts ihrer hervorgehobenen Bedeutung für die Matthäusforschung sehr zu wünschen, dass sie dadurch weit über die Grenzen des deutschsprachigen Raums hinaus die ihnen gebührende Resonanz finden.