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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

183-186

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hewitt, Thomas J.

Titel/Untertitel:

Messiah and Scripture. Paul’s »In Christ« Idiom in Its Ancient Jewish Context.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. XIII, 292 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 522. Kart. EUR 84,00. ISBN 9783161592287.

Rezensent:

Oda Wischmeyer

Thomas J. Hewitt, gegenwärtig lecturer in New Testament an der Universität Aberdeen, hat hier seine überarbeitete Dissertation vorgelegt, die in Edinburgh bei seinem Doktorvater Matthew Novensen entstand. H. legt eine eigene Interpretation der paulinischen Formel en Christō vor. Er deutet die Formel dezidiert nicht partizipatorisch im Sinne der exegetischen Literatur in der Folge Adolf Deissmanns, sondern stellt sie in den antiken jüdischen Messiasdiskurs, der in den kanonischen und außerkanonischen Schriften Israels geführt und weiterentwickelt wurde – daher der Buchtitel. H.s leitende These lautet: »Paul's use of ›in Christ‹ language is part of a broader phenomenon of ancient Jewish messiah discourse« (3). H. schlägt vor, en Christō bedeute in messiah, und unternimmt es, die paulinische Variante der Verwendung des Messiasbegriffs in das große Tableau der verschiedenen Messiasvorstellungen des zeitgenössischen Judentums einzuordnen und nicht so sehr eine Mes-siasidee, sondern die traditionellen und innovativen Konnotationen der Vorstellung herauszuarbeiten (3). Dabei liest H. die Paulusbriefe konsequent als Teil der antiken jüdischen Literatur (vgl. z. B. S. A. Adams, Greek Genres and Jewish Authors, Waco 2020) und sucht daher nicht etwa nach jüdischen Parallelen, sondern rekonstruiert den bestimmten innerjüdischen Diskurs, an dem Paulus teilnimmt und den er mitprägt.

H. verfolgt damit einen methodisch anderen Ansatz als zahlreiche Forschungsbeiträge, die im Nachgang zu der ebenso grundlegenden wie oft bestrittenen Monographie Adolf Deissmanns »Die neutestamentliche Formel ›in Christo Jesu‹« von 1892 entstanden sind. Deissmann setzte für längere Zeit den Ton mit seiner Statuierung des »mystischen in«. In der Folgezeit stand das »in« im Fokus des philologischen und theologischen Interesses der Exegeten. Nach dem Ende des prägenden Einflusses der Religionsgeschichtlichen Schule wandte die Exegese sich von der mystischen Interpretation der Wendung ab und suchte verschiedene neue Interpretationen, von denen die partizipatorische Interpretation von E. P. Sanders’ »Paul and Palestinian Judaism: A Comparison of Patterns of Religion« von 1977 besondere Bedeutung erlangte. Dabei war und blieb das Verständnis von en Christo stets Teil einer umfassenden Interpretation der Theologie des Paulus, wie H.s sehr scharfsinnig konzipierte, lesenswerte Forschungsgeschichte (Kap. 1, 7–41) nachzeichnet. Es geht bei der Interpretation der Wendung durchaus um Philologie, immer aber auch um die Rekonstruktion der paulinischen Theologie.

Nun ist H. mit seinem Interesse an en Christo nicht allein. Gegenwärtig wird das Thema gleich mehrfach neu bearbeitet. Gleichzeitig mit H.s Dissertation erschien Teresa Morgans Monographie zum Thema (T. Morgan, Being »in Christ« in the Letters of Paul. Saved through Christ and in his Hands, WUNT 449, Tübingen 2020). Bereits für 2024 angekündigt ist eine Berliner Dissertation zum Thema von Barbara Beyer (B. Beyer, ἔν τινι εἶναι als Hintergrund der paulinischen Rede vom Sein »in Christus«, ZNW 114, 2023, 65–78). Morgan wie Beyer distanzieren sich wie H. von den Erklärungsmöglichkeiten im Sinne von »union and participation« (Morgan [Being, 8. S. 196 Anm. 128] weist M. darauf hin, dass Hewitts Interpretation ebenfalls partizipatorisch sei, obgleich er diese Deutung ablehnt). Sie erklären die Wendung aus dem griechischen Sprachgebrauch (Morgan, Being, 11: »Within the bounds of everyday Greek«; Beyer, ZNW 114, 65: »The philological background of Paul’s ›being in Christ‹ phrases lies in the largely analogous Greek phrase ἔν τινι εἶναι which expresses dependency of something or someone on something or someone else.«), kommen aber zu sehr anderen Ergebnissen als H. Morgan liest das ἔν τινι εἶναι encheiristisch, als »in the hands of« (Morgan, Being, 22.), Beyer als Ausdruck eines interpersonalen Abhängigkeitsverhältnisses.

Während Morgan und Beyer mit unterschiedlichen Ergebnissen die Wendung en Christo von der in-Formel her erklären, setzt H. bei dem Titel Christos an, den er in Anlehnung an Novenson (M. V. Novenson, Christ among the Messiahs: Christ Language in Paul and Messiah Language in Ancient Judaism, Oxford 2012.) mit Messias-Gesalbter wiedergibt.

Nach H. ist Paulus einer der antiken jüdischen Schriftausleger, die an dem jüdischen »discourse of scriptural interpretation and reappropriation« der Messiasgestalt teilnehmen (41). En christo ist daher kein (theologisches) Konzept oder eine messianische Idee, sondern »a manner of speaking« (41). In Kapitel 2 zeichnet H. den messianischen Diskurs im antiken Judentum nach und bezieht Paulus in diesen Diskurs ein. H. weist darauf hin, dass die Bibel Israels ein festes set von messianischen Spekulationen hatte, das aber in unterschiedlichen Formen ausgearbeitet wurde. Kapitel 3 stellt die Aussagen des Paulus zusammen, für die gilt: »He anchors his manner of speaking in his messianic interpretation of scripture.« (79) Es sind dies Gal 3,8←Gen 12,3; 28,14LXX u. a. und Gal 3,14←Gen 28,4aLXX. H. verweist auf mehrere Exegeten, die bereits diesen Zusammenhang hergestellt haben, besonders auf N. A. Dahl (Belege S. 85 und Anm. 26), um dann seine eigene Interpretation so zu charakterisieren:

»I am shifting away from analogy [zwischen Abrahams Samen und Christus] altogether as an explanatory category and toward Paul’s interpretative stance – his specificallymessianic hermeneutic. Paul’s language does not reflect a simple comparison between two representative figures, but rather a conviction that the promises concerning Abraham’s seed refer to the messiah and that those promises are ful- filled in the person of Jesus of Nazareth. For Paul, then, it is not that Jesus is like Abraham’s seed, rather it is that Jesus, as Χριστός, is Abraham’s seed.« (87)

Diese messianische Dimension von Gal 3,14 arbeitet H. im Folgenden aus. Allerdings muss H. die Vermeidung eines mystischen, partizipatorischen, repräsentativen oder inkorporierenden (Miss-)Verständnisses der Wendung »in Christus« genauer begründen, wie er selbst feststellt (118). Den Nachweis versucht er in Kapitel 4. Er interpretiert 1Kor 15 auf der Basis von Dan 7: »An examination of how Paul draws upon elements of this heavenly scene in his exposition of the resurrection of the dead in 1 Corinthians 15 accounts for his use of »in Christ« language to describe solidarity between Christ and believers« (119). H. ersetzt damit den Sanderschen Begriff der Partizipation durch den Begriff der »Solidarität mit dem Messias«, mit dem er den Danielisch geprägten Messiasdiskurs charakterisiert (155). Solidarität definiert H. folgendermaßen: »That what is true of the one is (or will be) true of the many« (121). Damit schlägt H. eine formal plausible Erklärung für das »in« vor, ohne allerdings die Frage nach dem »Wie« zu klären.

H.s These, die unterschiedliche Verwendung der »In Christus«-Sprache bei Paulus sei Ausdruck der »innovative extrapolations« der Messiassprache des antiken Judentums (154), wird in den beiden textbezogenen Kapiteln 5 (»In Christ« in Paul: Syntax, 156–191) und 6 (»In Christ in Paul«: Concepts, 192–241) anhand aller »in Christus«-Texte ausgearbeitet. In Kapitel 5 untersucht H. die Belege im Einzelnen (Tabelle 188) und kommt zu zwei Ergebnissen: Erstens verwendet Paulus die Phrase in sehr unterschiedlichen syntaktischen Zusammenhängen, zweitens ist die Verwendung oft, aber nicht ausschließlich adverbial. Und weniger als ein Drittel der Belege bezieht sich auf »divine agency« (189). In Kapitel 6 führt H. drei Kategorien ein, unter deren Label er die Konzepte der Formel interpretatorisch erfasst und deren erstes schon genannt wurde: »solidarity« (193), dazu »inclusion« (195) und »instrumentality« (196). Dabei unterscheidet er zwischen expliziter und impliziter Solidarität. Das Kapitel bietet nochmals eine gute Übersicht über die fraglichen Texte. Die einzelnen Zuschreibungen zu Instrumentalität, Inklusion und Solidarität bleiben aber Ermessensentscheidungen und überzeugen nicht. Ein Beispiel: Weshalb soll das »in« in Gal 5,6 (»Denn in Christus/Messias Jesus gilt weder Beschneidung etwas oder Unbeschnittenheit, sondern Glaube, der durch die Liebe tätig wird«) instrumental sein (204)? Das »durch« in di’agapēs ist deutlich instrumental, das »in« bei en Christō gerade nicht. Der von H. vorgeschlagene Begriff der solidarity zur Erklärung des »in« erscheint Rez.in eher blass. »Inklusion« ist zudem nahe bei Partizipation. Teresa Morgan scheint Recht mit der Bemerkung zu haben, dass H. nicht über ein irgendwie geartetes participation-Modell hinauskommt.

Die Rezensentin sieht das Ergebnis der Untersuchung für die semantisch-theologische Bestimmung der »in«-Formel als nicht überzeugend an. Dass H. die Formel von dem einen Text Gal 3,14 her interpretiert, erschwert seine These. So gehen bei H.s Zusammenfassung Behauptung und Interpretation Hand in Hand:

»While Paul did not cite the patriarchal oracle »in your seed all the nations of the earth will be blessed« outside of Galatians 3, he did use its verbiage ubiquitously, whenever he penned the phrase »in Christ«. This indicates that the oracle concerning Abaraham’s seed was of formative importance for Paul. Thus, the messiah, for Paul, was not a relic of Jewish nationalism, but the very bridge to the nations, the one »in« whom the blessing of Abraham’s family had gone out to the gentiles.« (244)

Das Spektrum der Formelinterpretationen ist durch den solidarity-Begriff nicht klarer geworden. Das Fazit: »Paul’s use of the phrase, especially to indicate solidarity, does inform our understanding of participation« (244), bleibt zusätzlich undeutlich. Anders stellt sich der konsequente Bezug H.s auf den Messiasdiskurs dar. Hier ist die angelsächsische Exegese der deutschsprachigen Exegese mit ihrer starken forschungsgeschichtlichen Prägung durch die Reli- gionsgeschichtliche Schule und ihrer deutlichen Zurückhaltung gegenüber einer messianischen Jesusdeutung bei Paulus an Differenzierung überlegen (z. B. Hewitt 36 zu Wolters nicht-messianischer Paulusinterpretation – M. Wolter, Paul. An Outline of His Theology, Waco 2015, 230). H. macht zu Recht wieder auf den schriftgestützten Zusammenhang von Abrahamsamen, Davidsamen und Menschensohn aufmerksam, den Paulus in Gal 3 zur Interpretation der Jesusgestalt heranzieht.