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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

179-181

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gummelt, Eva-Maria

Titel/Untertitel:

Griechisch-orthodoxe Bibelauslegung und die »Frauentexte« der neutestamentlichen Brief-literatur. Ein exegetisch-rezeptionsgeschichtlicher Beitrag zur kontextuellen Theologie.

Verlag:

Göttingen: Cuvillier Verlag 2022. 398 S. Kart. EUR 95,88. ISBN 9783736976382.

Rezensent:

Cosmin Daniel Pricop

Das oben benannte Buch stellt die publizierte Doktorarbeit von Eva-Maria Gummelt dar, die im Jahr 2021 an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald verteidigt wurde. Wie dem Buchtitel leicht zu entnehmen ist, beabsichtigt G., die bedeutendsten im 20. und 21. Jh. geschriebenen griechisch-orthodoxen Auslegungen zu den Frauentexten aus der neutestamentlichen Briefliteratur zu untersuchen und dadurch »ein Exempel rezeptionsgeschichtlicher Forschung in der Exegese« (14) zu Verfügung zu stellen. Zugleich versteht G. ihre Untersuchung als Beitrag zu »einer ökumenischen Annäherung zwischen der orthodoxen und ›westlichen‹ Bibelwissenschaft« (14), der »Aspekte kontextueller Theologie« (14) aufzugreifen versucht. Was die deutliche ökumenische Komponente der Studie betrifft, lässt sich G. von den orthodox-westlichen Exegeten-Treffen inspirieren, die unter der Initiative des Eastern European Liaison Committee (EELC) der Society for New Testament Studies (SNTS) seit 1998 alle drei Jahre organisiert sind.

Beachtet man die Tatsache, dass G. sich von Anfang an dezidiert als »lutherisch geprägte Theologin« (29) vorstellt, die von manchen Bräuchen der orthodoxen Liturgie (wie z. B. dem alleinigen liturgischen Handeln von Männern und Jungen) »irritiert« (29) ist, erscheint die Frage nach dem Grund für die Wahl dieser Thematik umso berechtigter. Anders gefragt: warum »griechisch-orthodoxe Bibelauslegung« und warum »Frauentexte«? Während die Antwort auf die erste Frage von G. deutlich formuliert wird, lässt sich die Antwort auf die zweite Frage nur vermuten. G. entscheidet sich für die moderne griechisch-orthodoxe Bibelauslegung als Rezeptionsrahmen mancher neutestamentlicher »Frauentexte«, weil für sie in erster Linie die griechisch-orthodoxe Bibelwissenschaft als Vorbild für die Annäherung der Pole sola scriptura und patristische Rezeption gilt. In zweiter Linie lassen sich in dem erwähnten Rahmen, so G., »seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Aufbrüche und vielfältige neue Ansätze finden« (21). Bezüglich der Auswahl der »Frauentexte« teilt G. die Einsicht, wonach aufgrund solcher Texte die benannten Aufbrüche und Entwicklungen besser zu erkennen wären. Darüber hinaus versucht G. damit befreiungstheologische und feministische Ansätze ins Spiel zu bringen – in der Überzeugung, dass »die Diskussion um die Frauenordination bzw. die Wiedereinführung des weiblichen Diakonats […] und die aktivere Beteiligung von Frauen in der Kirche […] die aktuelle Debatte um eine zeitgemäße orthodoxe Hermeneutik« (26) widerspiegele. Infolgedessen diene ihre Studie »einem besseren Verständnis systematisch-theologischer Stellungnahmen von orthodoxer Seite im ökumenischen Dialog« (27).

Nach Vorwort und Inhaltsverzeichnis thematisiert das erste Kapitel (Einleitung) – in einer m. E. zu knappen und vielleicht zu wenig reflektierten Form – die Dimensionen des Themas sowie auch die methodischen Prämissen und Konsequenzen. Bei der Erklärung des Begriffes »Kontext« und dessen Verhältnis zum Untersuchungsthema z. B. begnügt sich G. nur mit den Aussagen, wonach »Kontext« mehr als lediglich kulturelle Einflüsse umfasst (15), die interkulturellen Untersuchungen sich häufig auf Kulturen außerhalb Europas beziehen (15) und die interkulturellen Studien sich der Perspektive einer Minderheit oder marginalisierter Gruppen verdanken (16).

Das zweite, mit »Exegetische Diskussionspunkte zu ausgewählten ›Frauentexten‹ der neutestamentlichen Briefliteratur« betitelte Kapitel stellt zuerst die selektierten »Frauentexte« vor: Gal 3,26–28, 1Kor 11,2–16, 1Kor 14,33b–36, 1Tim 2,11–15 und 1Petr 3,1–7. Als Hauptkriterium der Textauswahl gilt »die Relevanz für die ökumenische hermeneutische Annäherung« (32). Ausschlaggebend für Textauswahl war, darüber hinaus, »eine Ausweitung der Thematik über die Diskussion der Frauenordination hinaus« (32). G. geht an jeden Text anhand einer viergliedrigen Matrix heran: a) kontextuelle Verortung und innertextliche Bezüge; b) traditionsgeschichtliche Beobachtungen; c) hermeneutische Zugänge; d) Diskussionen um Verfasserschaft und Datierungen.

Innerhalb des dritten, mit »Rezeptionen in der griechischen neutestamentlichen Bibelwissenschaft im 20. und 21. Jahrhundert« überschriebenen Kapitels erfolgt die eigentliche Analyse der griechisch-orthodoxen Auslegungen in Bezug auf die schon erwähnten »Frauentexte«. Die Auswahl der Exegetinnen und Exegeten richtet sich nach zwei Kriterien: a) sie haben sich exegetisch mit den biblischen »Frauentexten« auseinandergesetzt und b) sie wirkten bzw. wirken in Griechenland. In einer chronologischen Reihenfolge untersucht G. die jeweiligen Auslegungen, indem sie deren Verfasserinnen und Verfasser in fünf Gruppen teilt: a) neue methodische Aufbrüche (S. Agouridis); b) das weitere Feld (I. Galanis, G. Galitis, C. Voulgaris, C. Oikonomos); c) die Schüler von Agouridis (V. Stogiannos, I. Karavidopoulos, P. Vasileiadis); d) Anfänge feministischer Exegese (E. Adamtziloglou); d) aktuelle integrative Ansätze (C. Atmatzidis, K. Belezos, E. Tsalampouni, E. Kasselouri-Hatzivasiliadi, K. Nikolakopoulos, C. Karakolis, S. Despotis, A. Despotis).

Bei jeder Exegetin bzw. jedem Exegeten thematisiert G. zuerst biographische Hinweise und hermeneutisch-methodische Leitlinien und in zweiter Linie exemplarische Auslegungen. In einem exegetischen Querschnitt, der das vierte Kapitel bildet, resümiert G. »markante Diskussionspunkte, Positionen und Tendenzen der Rezeption […] in den vorgestellten griechisch-orthodoxen Auslegungen« (303) und betont die »Pluralität innerhalb der griechisch-orthodoxen Auslegungen zu den ›Frauentexten‹« (330). Der eigentliche Ertrag der ganzen Untersuchung ist im fünften und letzten Kapitel zu finden, in dessen Rahmen sowohl exegetische Beobachtungen als auch hermeneutische Impulse formuliert werden. Das Buch schließt mit einem Literaturverzeichnis.

Die von G. unternommene Erforschung der modernen griechisch-orthodoxen Auslegungen zu manchen »Frauentexten« ist zweifellos zu begrüßen, zumal sie ein für das orthodoxe Milieu herausforderndes Untersuchungsthema wählt, über das weiter nachgedacht werden sollte und das hilfreiche Einblicke in exegetische Texte vermittelt, die zum Großteil auf Neugriechisch verfasst sind. G. zu danken ist außerdem die zusammenfassende Perspektive auf die moderne griechisch-orthodoxe Bibelwissenschaft, die nicht nur hinsichtlich der »Frauentexte«, sondern auch allgemein rezipiert werden könnte und sollte. Allerdings lässt sich eine gewisse Inkonsistenz bei der kontextuellen bzw. rezeptionsgeschichtlichen Herangehensweise von G. feststellen. Einerseits betont sie, dass »ein ›Messen‹ der untersuchten Auslegungen an ›westlichen Standards‹« zu vermeiden sei, »da ansonsten ein wechselseitiges ›Von-einander-Lernen‹ nicht stattfinden kann« (28). Andererseits zögert sie nicht, manche Aspekte der untersuchten Auslegungen als »problematisch« zu charakterisieren (332.334) bzw. künftige Erwartungen gegenüber dem Milieu der griechisch-orthodoxen Bibelwissenschaft zu formulieren. Dies spricht m. E. deutlich dafür, dass eine adäquate und erfolgreiche rezeptionsgeschichtliche Analyse nach wie vor eine große Herausforderung darstellt.