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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

168-171

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ede, Franziska

Titel/Untertitel:

Vom Prophetenbuch zum Prophetenpescher. Das Buch Habakuk und seine Auslegung in 1QpHab. 66 S. = Forschungen zum Alten Testament, 169. Lw. EUR 129,00. ISBN 9783161616228.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2023. XI, 2

Rezensent:

Heinz-Josef Fabry

Dieses Buch ist die aktualisierte und teilweise überarbeitete Fassung der Habilitationsschrift von Franziska Ede an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im März 2019 unter dem ursprünglichen Titel »Der Gerechte aber wird durch sein Vertrauen Leben (sic!)« und unter der Betreuung von Reinhard G. Kratz. Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil »I. Das Buch Habakuk« (9–145) beschäftigt sich mit der Auslegung von Hab 1–3 mit jeweiligen Schwerpunktsetzungen. Der zweite Teil »II. Die Rezeption des Buches Habakuk in 1QpHab« (149–237) schaut auf den Pesher und auf seine spezielle Art der Fortschreibung des biblischen Prophetentextes. Angehängt sind ein ausführliches Literaturverzeichnis (245–259) und ein umfangreiches Stellenregister. Die kurzen Autoren- und Sachindizes sind indes unzureichend. Vor Beginn der Arbeit mit diesem Buch empfiehlt sich die Lektüre der »Zusammenfassung« (212–238).

E. legt hier den Versuch vor, den Habakuk-Pesher (pHab) aus Qumran als eine literarische Weiterentwicklung bzw. Fortschreibung des Prophetenbuches selbst zu sehen. Sie geht aus vom Ansatz von O. H. Steck, wonach jedes Prophetenbuch sich aktualisierend fortentwickelt (Redaktionsgeschichte), wobei die Tradenten alles beim Erstautor belassen. Davon unterscheidet sich der Pesher, in dem der »metahistorische Tiefensinn, der dem einst ergangenen Prophetenwort schon immer innewohnt«, durch eine eigene Offenbarung offengelegt (4) und diese in einem eigenen literarischen Werk dargestellt wird. Auf diesem Ansatz aufbauend will E. der Frage nachgehen, inwiefern die Genese des Habakukbuches als eine Geschichte der produktiven Auslegung zu begreifen ist, die eine externe Fortführung in 1QpHab findet.

Der 1. Teil befasst sich mit dem Prophetenbuch selbst und beginnt mit einem Überblick über die diversen literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Lösungsvorschläge zum Prophetenbuch, beginnend bei Stade bis hin zu Wöhrle und Otto, wobei nicht nur die US-amerikanischen, sondern auch die rezenten deutschsprachigen Kommentare von Fabry (HThK AT) und Jeremias (BK AT) nur marginale Verwendung finden. Die Analyse des Prophetenbuches geschieht kapitelweise und besteht in der Übersetzung mit Anmerkungen – Befund (erste Übersicht – Analyse – Ertrag oder Fazit).

Da in Hab 1 der MT binnentextlich durchaus einige Fragen offenlässt, hat schon im Buch selbst und in der Rezeptionsgeschichte die Suche nach Antworten begonnen, die sich auch aus kontextuellen Beziehungen speist. E. erkennt im Jeremiabuch eine ähnliche Konstellation vom Gerechten in seinem Leiden. Mit Blick auf die 5. Konfession in Jer 20 lässt sich Hab 1,1–5 als eine theologische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Gerichtsvorstellungen verstehen, deren Gemeinsamkeit im Motiv der Gerechtigkeit besteht. E. will primär mit dieser kontextuellen Argumention aufweisen, dass ein Grundbestand von Hab 1 bereits auf einen überarbeiteten Jeremia zurückschaut, was für Hab 1 einen nachexilischen Zeitansatz abwerfe. Die Argumentation ist schwer nachzuvollziehen und setzt sich auch nicht mit gegenteiligen Auffassungen – etwa von Witte und Fabry (196) – auseinander. Nach E. liegt in Hab 1 eine Grundschicht (Hab 1,2f.5–9*) vor, die die Ankündigung des Gerichtes gegen das eigene Volk durch die Chaldäer ansagt; eine erste Ergänzung (Hab 1,1.6bβ.7.9aα.12.13a.14; Nachtrag v. 17.16.10 f.) baut das Gericht gegen ein Fremdvolk ein und eine weitere Ergänzung (1,4b.13b) spricht vom Gericht gegen die Frevler. Zur Methodik sei gesagt, dass E. im Wesentlichen inhaltsbezogen argumentiert und eine Schichtung gegen offensichtliche syntaktische und semantische Kohärenz im Text sehen will. Die kontextuelle Abgleichung mit lediglich Jeremia sollte nicht übersehen, dass Hab 1 deutliche Beziehungen auch zu Jes 1,15 ff.; 15,28 hat.

Hab 2 schließt mit V. 1 an die Klage von Hab 1,12–17 an – gibt sich damit bereits als zur Ergänzungsschicht gehörig zu erkennen – und leitet über zur göttlichen Antwort in Hab 2,2–19. Der Visionsbericht führt E. kontextuell ins Danielbuch; sie vergleicht Hab 2,2f. mit Dan 10,12–14; 11,25 ff. und kommt zu dem Schluss, dass Dan 11 die Vision aus Hab 2 berichtet – eine klassische Überinterpretation, nur weil ein Halbsatz einen identischen Wortlaut hat. Voll Spannung erwartet man die Auslegung von Luthers »meisterstück« in Hab 2,4 f. So sehr E. sich sonst an die Erkenntnisse von Pfeiffer hält, der diese Verse als Antithese zu Hab 1,4 f. deutet, hier lehnt sie dessen zutreffende These ab. Den 5. Weheruf rechnet sie im Gegensatz zu den gängigen Kommentarmeinungen vollständig zu den sekundären Nachträgen. Schade, die gegenteilige Ansicht bei Fabry (271 f.) diskutiert sie nicht. Im anschließenden Fazit stellt E. die Textschichtung vor: der älteste Bestand (2,6b*.9a.12.15a) notiert die Vergehen im sozialen Bereich und stellt einen Rückbezug auf die Klage des Propheten in Hab 1,2 f. dar. Eine erste Bearbeitung (2,1–3.6–8a) spricht vom Gericht gegen das Fremdvolk; eine weitere Bearbeitung (2,13–15b.16a.20) bindet das angedrohte Gericht an JHWH zurück; weitere Zusätze enthalten Götzenpolemik (2,9b–11.18 f.) und kontrastieren den Gerechten mit dem Widersacher (2,4–6a).

Anschließend analysiert E. Hab 3, obwohl dieser Text nicht von pHab vorgefunden wurde. Dabei will sie aufweisen, dass der/die Verfasser das Schusskapitel des Propheten doch gekannt haben müssen. Ein kurzer Durchgang durch eine recht kontroverse Forschungsgeschichte – auch diesmal ohne Berücksichtigung rezenter Kommentare – führt sie zu der Hypothese, dass aus den identischen (?) Gottesnamen in Hab 1,12 und 3,3 eine bewusste literarische Bezugnahme zu erkennen sei. Ein Vergleich mit Jes 13 soll zeigen, dass die Theophanie in Hab 3 vor dem Hintergrund jesajanischer Texte formuliert sein könnte. Nun wird man kritisch anmerken müssen, dass inhaltliche Ähnlichkeiten und literarische Abhängigkeiten zwei völlig verschiedene Dinge sind! E. möchte den »Kernbestand der Vision« (132) in frühhellenistischer Zeit ansetzen; ihre Schichtung von Hab 3 sieht als Grundtext (3,2a.3.4a.7.8–12) den Grundbestand einer Vision (?) als Antwort auf die Klage des Propheten in Hab 1,2f.5ff; 2,13f.15. Eine erste Ergänzung (3,13.14 und 3,2b.7*.16) bezieht das Gottesvolk und die Situation des Propheten mit ein, eine zweite Ergänzung (3,1.3*.9*.13*.14*.18.19) erinnert an den Propheten als Beter.

Anschließend legt E. die literarische Schichtung vor, die das gesamte Buch als Resultat eines Fortschreibungsprozesses zeigt. Die Grundschicht zeigt den Dialog zwischen Gott und dem Propheten, beginnend mit der Klage in Hab 1,2 f., der Antwort Gottes in 1,5 ff. an eine anonyme Gruppe, der Deutung der Chaldäer als Strafwerkzeug (1,6abα.8.9aβb) und den Weherufen (2,6b.8.9.12.15) in Anlehnung an Jer 20. – Die erste Bearbeitung beinhaltet eine Pejorisierung der Chaldäer (1,6bβ.7.9aα.12.13a.14.15), die ihren Auftrag pervertiert haben. JHWH verspricht sein Eingreifen gegen das Fremdvolk (2,1–3.6). – Eine weitere Bearbeitung (3,2–12*) zeigt die beginnende Realisierung der Reaktion Gottes und zugleich eine universale Ausrichtung des Gerichtes. – Eine letzte Fortschreibung (1,4b.13b; 3,13 f. [anders auf S. 138!]) verbindet das Strafhandeln Gottes gegen die Völker mit dem Strafhandeln für den Gerechten.

Damit hat E. den Ausgangspunkt für die Analyse des pHab erreicht: Die Auseinandersetzung mit den Frevlern war nicht das eigentliche Anliegen des Habakuk selbst, sondern wurde erst in der ersten Überarbeitung in das Buch hineingeschrieben. Genau diese Auseinandersetzung setzt sich in der Rezeption des Buches in der LXX und dann in pHab weiter fort: »Die dortige Rezeption von Hab 1 f. knüpft an die theologische Spitzenaussage aus Hab 2,4b an und erhebt sie zum hermeneutischen Schlüssel für das Verständnis der prophetischen Verkündigung Habakuks« (145).

Der 2. Teil befasst sich mit der Rezeption des Buches in pHab (147–237). E. schließt aus der Auslegung von Hab 1,8.9a in pHab III, dass der Pesher wegen der gleichen Terminologie Hab 3 gekannt haben müsse. Doch ist die Argumentation wenig tragfähig, für den weiteren Verlauf der Arbeit aber wohl auch nicht entscheidend. Es geht E. nämlich darum, eine Doppelschichtigkeit des Pesher aufzuweisen. Dazu zieht sie die Untersuchungen von Eshel, Llewellyn und Hartog bei, deren Hypothesen durchwegs strittig sind. Als Musterbeispiel führt E. den Doppelpesher zu Hab 1,5 in pHab II 1–10 an, der als literarische Fortschreibung zu deuten sei.

Die längeren Ausführungen zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund des Pesher (163 ff.) hätte E. sich ersparen können, da dieser im Beitrag von A. Lange im ThWQ ausführlich dargelegt ist. Doch es geht E. darum, die Schrift- und Visionsdeutungen im Danielbuch in den Blick zu nehmen, weil sie das für den weiteren Fortgang ihrer Untersuchungen braucht. Die Pesharim aus Qumran setzen nämlich ihrer Meinung nach eine Entwicklungslinie fort, die bereits im Danielbuch begonnen habe. Es gehe letztlich um eine Identität zwischen Auslegung und Auslegungsgegenstand (171). In einer kleinteiligen Analyse des Wortbestandes von pHab II 1–10 macht E. sichtbar, dass der Pesher den Text Hab 1,5 eschatologisch versteht und dabei auf die eschatologisch verstandene Vision Hab 2,2 f. zurückgreift. Eine ältere Schicht sprach von einem Priester als Interpreten des Habakuktextes. Dieser ältere Pesherabschnitt wurde nun selbst zum Gegenstand der Auslegung, indem sie dem Propheten und Priester noch den Lehrer an die Seite stellt. Im weiteren Verlauf gilt für E. die Doppelschichtung des Pesher als gesetzt. Das hat zur Folge, dass nach ihrer Deutung die Grundschicht grundsätzlich von einem »Priester« spricht, dem die Deutung des Prophetentextes obliegt, die Sekundärschicht diesen Priester dann mit dem »Lehrer« parallelisiert, um einerseits den »Lehrer« als Priester zu deuten und andererseits den Lehrer als den wahren Interpreten der Habakuk-Prophetie zu identifizieren. Die Frage ist, ob es deshalb einer Schichtung bedarf, da der harmonisch verlaufende Text keine literarkritischen Operationen erzwingt.

E. unterfüttert ihre Hypothese dadurch, dass sie alle Lehrernennungen in pHab durchgeht. So ist pHab VII 7–14 eng auf pHab II 5–10 zurückbezogen. Dabei wird deutlich, dass der Lehrer zwar grundsätzlich mit dem Vorgang der Pesher-Auslegung in Verbindung gebracht wird, selbst aber nie als Vermittler der einzelnen Pesherabschnitte identifiziert wird (gegen Collins, Davies u. a.). »Der Befund legt es … nahe, in der Einführung des Lehrers einen Nachtrag zu sehen, der die Autorität des Pescher an eine göttliche Anteilgabe zurückbindet« (197; gegen Schiffman, Fabry, ThWQ II 343, wonach Priester und Lehrer im pHab grundsätzlich identisch sind und nicht redaktionskritisch identifiziert werden brauchen). Zur weiteren Charakterisierung des Lehrers zieht E. die Belege aus CD bei. Aus dem feinen syntaktischen Unterschied vom »Lehrer von Gerechtigkeit« dort zum »Lehrer der Gerechtigkeit« in pHab und damit zum einzigen rechtmäßigen Interpreten erschließt E. eine literarische Abhängigkeit des pHab von CD.

Und schließlich wiederholt E. ihren Ausflug ins Danielbuch, der zur Gleichsetzung des Offenbarungsdeuters Daniel mit dem Lehrer der Gerechtigkeit führt. Daraus legt sich dann auch die Qualifikation des Lehrers als Leidensfigur nahe. Spekulativ sieht E., wie das ursprünglich auf Gott bezogene Vertrauen des Gerechten nun auf den Lehrer der Gerechtigkeit bezogen wird (209).

Das Buch schließt mit einer umfangreichen Zusammenfassung (212–238): Der Verfasser der Grundschicht des pHab sieht die Realisierung der Vision Habakuks in seiner eigenen Gegenwart geschehen. Das ursprüngliche Strafhandeln Gottes wird nun auf die Gerechten verlagert, die das Gericht an den »Chaldäern«, jetzt »Kittim« vollziehen. Diese Botschaft kann jedoch nur der begnadete Priester entschlüsseln. Die sekundäre Einfügung des »Lehrers der Gerechtigkeit« bedingt, dass nun der Satz »Der Gerechte wird aus dem Glauben leben« dahingehend umgedeutet wird, dass einzig das Vertrauen auf den Lehrer als den Gerechten schlechthin Rettung bringt. Der Lehrer ist jedoch auch der Leidende und setzt damit das Leiden des Propheten fort.

Die Gesamtthese E.s ist interessant: Mit der Verschriftung hat der Prophet seine nun buchgewordene Botschaft (Hab 2,2 f.) aus der Hand gegeben und damit zugleich der Deutung durch andere überlassen. Diese Deutung geschah zuerst im Prophetenbuch selbst durch sukzessive Fortschreibungen, dann durch die Septuaginta und schließlich außerhalb des Buches im Pesher als eine nahtlose Fortschreibung des Prophetenbuches selbst durch einen Interpreten, dem eine eigene göttliche Inspiration zugesagt wird. Der Pesher versteht sich also als die letzte Redaktion des Prophetenbuches unter Beiziehung von Formulierungen aus dem Binnen- und Außenkontext. Ob sie sich selbst sogar als kanonisch verstanden hat (235; so bereits Steudel), mag füglich bezweifelt werden, da die Vorstellung einer Kanonizität erst Jahrhunderte später entwickelt worden ist.

Das vorliegende Buch ist ein großer Entwurf, der sich durch viel Detailarbeit auszeichnet und ein frisches Bild vom pHab entwickelt. Dabei arbeitet E. mit einer assoziativen und kontextuell verstandenen Literarkritik, die zu sehr subjektiven Ergebnissen führt und damit die weitere wissenschaftliche Diskussion anregen wird. Der Rezensent hat allenthalben durchblicken lassen, dass er längst nicht mit allem einverstanden ist, empfiehlt das Buch jedoch zur kritischen Lektüre.