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Ausgabe:

März/2024

Spalte:

154-156

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Freudenberg, Maren, und Kianoosh Rezania

Titel/Untertitel:

Religionsökonomie. Einführung für Studierende der Religionswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften.

Verlag:

Stuttgart: utb 2023. 317 S., m 19 s/w-Abb., 4 Tab. Kart. EUR 27,90. ISBN 9783825259129.

Rezensent:

Anne Koch

Endlich liegt nun eine zweite Monographie zur Religionsökonomie als einer der jüngsten Teilperspektiven und sich abzeichnenden Teildisziplin der Religionswissenschaft vor. Es ist ein Lehrbuch, das – wie der Untertitel klar benennt – sich an Studierende wendet. Dieser didaktische Anspruch wird über UTB-typische Mittel wie Merkkästchen, vielfache Vor- und Rückverweise, Leitfragen, Fettdruck des jeweils wichtigen Konzeptes eines Absatzes und erläuterte weiterführende Literatur die Aneignung durchaus unterstützend umgesetzt. Auch die ersten 100 Seiten, Kapitel 2 und 3, sind diesem Anliegen gewidmet: Studierende aus der jeweils »anderen« Disziplin (Religionswissenschaft bzw. Wirtschaftswissenschaft) sollen in einem Schnelldurchgang erste wichtige Grundlagen der Modellierung des anderen Faches beigebracht bekommen, also ansatzweise ein zeitgenössisch-professionelles Religionsverständnis und qualitative Forschungsmethoden sowie erste Einsichten in Haushaltsökonomie, ohne dass dies bereits an einschlägig religionsökonomischen Themen vorgeführt würde.

Auch hier, wie in der Einleitung zu einschlägigen Vorarbeiten innerhalb der Religionsökonomie, fällt auf, dass die Herangehensweise von Maren Freudenberg und Kianoosh Rezania weniger problemorientiert als thetisch ist: Luhmanns Religionsdefinition wird gesetzt (Kontingenzbewältigung; Kommunikation über die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz); die Joachim-Wachsche Unterscheidung von historischer und systematischer Religionswissenschaft bekommt einen Merkkasten, noch ergänzt um gegenwartsbezogene Religionswissenschaft – vermutlich um dem sozialwissenschaftlichen Zugang noch eine eigene Spielwiese zu eröffnen. Dabei ist die Wachsche Unterscheidung aus einem bestimmten Diskurs zum Fach- und Religionsverständnis nur noch wissenschaftsgeschichtlich relevant, denn wie sollte historisch und zugleich nicht konzeptionell gearbeitet werden? Religionswissenschaft wird also insbesondere sozial- und zum Beispiel weniger kulturwissenschaftlich aufgefasst und Religionsökonomie als eine Art Summe aus dieser Religionswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft verstanden. Hilfreich an diesem Zugriff ist, dass frühe Arbeiten am Übergang der Religionssoziologie zur Religionsökonomie in ihrem neoklassischen Ansatz – vor allem zur mittelalterlichen Kirche als Firma und der Marktdynamik US-amerikanischer Denominationenvielfalt – damit auch in ihrer formalisierten Form referiert werden können (123.181–189). Das Lehrbuch hat sich entschieden, Religionsökonomie in »drei Bereichen« zu verfolgen: zunächst auf der »Objektebene«, wie Religion Wirtschaft vice versa beeinflusst, und im dritten Bereich, welche wirtschaftswissenschaftlichen Methoden und Ansätze zur Verfügung stehen, um die Interaktion der gesellschaftlichen Teilbereiche zu analysieren (31–34). Für diese klare Abgrenzbarkeit einer »Religion« von einer »Wirtschaft« wurde die Luhmannsche Religionsdefinition benötigt. Alternativ hätte ein wissenschaftstheoretischer Zugriff, der einen nicht differenzierungssoziologisch vordefinierten Ausschnitt an Praktiken aus Kultur mit Modellen der jeweiligen Disziplinen untersucht, sich breiter aufgestellt.

In Kapitel 4 tritt Religion als unabhängige Variable auf und zwar in der Eingrenzung auf ihre Verhaltensvorschriften und deren Auswirkungen bezüglich sozioökonomischen Handelns und Institutionenbildung. Ethos oder Mentalität statt »Ethiken« wäre wohl eine treffendere Bezeichnung, die auch an Wirtschaftskulturforschung mit dem Mentalitätsbegriff anschlussfähig wäre. Anhand von prominenten Beispielen aus heterogenen religiösen Traditionen (wie Zinsverbot, Almosen, Stiftungswesen, Umgang mit Besitz) und vor allem anhand der Protestantismusthese Webers und dem Unterentwicklung-Islamischer-Länder-Thema im Anschluss an Timur Kuran wird in den Diskussionsstand eingeführt und verfolgt, wie sich wirtschaftliche Arenen durch jenes Ethos verändern. Leider erwähnt die Darstellung nur am Rande, dass Webers These inzwischen in der Soziologie auf breite Ablehnung stößt, und es fehlt ein kritischer Verweis darauf, dass Kuran in höchst problematischer Weise orientalistische Sichtweisen auf den Islam reproduziert und die ökonomischen Verwerfungen des kolonialen Imperialismus weitgehend negiert. An dieser Stelle wird deutlich, dass auch nach Aussage der Autoren der Band in der Lehre durch kritische Ausführungen unbedingt zu ergänzen sein wird.

Kapitel 5 setzt analog Wirtschaft als unabhängige Variable und untersucht, wie religiöse Institutionen (Tempel, Produzenten) wirtschaftlich handelnd auftreten. Dies geschieht über viele aufschlussreiche Beispiele u. a. mit Blick auf ihre Finanzierung, Investitionen, Wertvernichtung, Vermarktung unter Bedingungen einer Konsumgesellschaft und analog einer Versicherung.

Der »dritte Bereich«, Kapitel 6 und 7, führt pointiert in wichtige Theorien aus verschiedenen disziplinären Hintergründen ein, die in der Behandlung religionsökonomischer Themen in den letzten Jahrzehnten besonders hervorgetreten sind: neoklassisches (rational-choice-)Marktmodell mit einer Differenzierung durch Jörg Stolz und der Kritik am Rationalwahlmodell, struktursoziologische Heilsökonomie (Bourdieu). Die Weiterentwicklung des ökonomischen Menschenbilds, Verfahren seiner empirischen Testung und die Historizität von Institutionen werden umsichtig mit Verhaltensökonomie und Neuer Institutionenökonomik auf den letzten dreißig Seiten entfaltet und an einigen für soziales Kooperationsverhalten aufschlussreichen, einschlägigen Experimenten umsichtig ausgeführt. Es ist gewiss eine Stärke des Bandes, dass die vielen Ansätze jeweils in ihre disziplinengeschichtliche Genese eingeordnet werden. Im dritten Bereich fällt auf, dass Ansätze aus ethnologischem Hintergrund nicht aufgegriffen werden, was hilfreich gewesen wäre, um das sozialwissenschaftliche Herrschaftshandeln als solches und in seinen Axiomen mit zu besprechen, wie es kritische Religionswissenschaft in der Regel mitdenkt. Auch fehlen spezielle Theorien für Non-Profit-Märkte, die für die häufig subventionierten oder nicht profitorientierten religiösen Anbieter wichtig sind. Damit sind die problemorientierten und kulturökonomischen Vorschläge meiner eigenen Religionsökonomie (2014) nicht aufgegriffen, wenn auch wohlwollend zitiert wird. Ein hilfreicher Index und Verzeichnisse beschließen den Band.

Jedes Lehrbuch muss auswählen, Religionsgeschichte exemplarisch behandeln und schreibt aus einer Perspektive besonderer Expertise. Die Entscheidungen der Autoren diesbezüglich sind nachzuvollziehen: die große religionshistorische Bandbreite von Beispielen, Grundwissen vor allem zu prominenten Debatten, die religionssoziologische Perspektive, ein hoher Anspruch bezüglich einschlägiger Methodiken, all das ist zu begrüßen. Ob zwei Fachmethodiken allerdings auf hundert Seiten erlernbar sind, wo es einschlägige Methodenbände gibt, bleibt zu fragen, und doch ist es nur fair, sie anzuraten. Die Lektüre des Lehrbuchs führt somit auf jeden Fall zu einem vertieften Verständnis religionsökonomischer Themen und kann damit jedem nur empfohlen werden. Und wer ergänzend etwa Kathryn Loftons Consuming Religion (2017) liest, gewinnt ein noch vollständigeres Bild der Debatte: Religionsökonomie einerseits als kulturwissenschaftliche Mustererkennung im gesellschaftlichen Gewebe mit neoliberalen Praktiken (z. B. das »Opfern« blutjunger weiblicher Stars in ihrem medienindustriellen Aufbrauchen) und mit den Autoren andererseits die Interaktion differenzierungstheoretisch abgegrenzter Teilbereiche!