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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

116-118

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Andreas Peter

Titel/Untertitel:

Das lateinisch-deutsche Altarmessbuch (1965). Der vergessene Schritt in der Umsetzung der Liturgiereform.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2020. 408 S. = Pius-Parsch-Studien, 17. Geb. EUR 40,00. ISBN 9783451389177.

Rezensent:

Albert Gerhards

Vor 60 Jahren, am 4. Dezember 1963, verabschiedete das Zweite Vatikanische Konzil als »erste Frucht« die Liturgiekonstitution »Sacrosanctum Concilium«, deren Präambel als Programmatik für das ganze Konzilsvorhaben zu verstehen war: die Erneuerung des gesamten Lebens der Kirche. Die Liturgiereform sollte als pars pro toto für die innere Reform der römisch-katholischen Kirche dienen. Hinsichtlich der Tragweite der Reform gingen die Meinungen freilich weit auseinander. Bereits 1965 legte die Kurie mit einer erneuerten Messordnung das Kernstück katholischer Liturgie vor, von dem manche meinten, dies sei bereits das Endresultat, während andere darin erst den Ausgangspunkt für weitergehende Reformen erblickten. Da unmittelbar mit der Verabschiedung der Liturgiekonstitution im deutschen Sprachgebiet und den Nachbarländern eine rege liturgische Kreativität einsetzte, sahen sich die Bischofskonferenzen zu schnellem Handeln genötigt. Sie waren durch das Konzil autorisiert, selbst bis zu einem gewissen Grad liturgisches Recht zu setzen. Die relative Autonomie der Teilkirchen ist freilich bis heute ein Streitpunkt. Ein entscheidender Reformschritt des Konzils war die Zulassung der Landessprachen in der Liturgie, freilich erst noch in Teilen. So verblieb der Messkanon als lateinische Sprachinsel im ansonsten landessprachlichen Gottesdienstverlauf. Bereits im Jahr 1965 legten die deutschsprachigen Bischofskonferenzen ein dreibändiges lateinisch-deutsches Altarmessbuch vor. Dieses bildet den Untersuchungsgegenstand der hier zu besprechenden Publikation. Die Reformdynamik ging freilich ununterbrochen weiter, sodass das dreibändige Altarmessbuch nur eine begrenzte Lebensdauer hatte und bald durch Ergänzungspublikationen korrigiert wurde, bis es durch die Einführung des neuen Ordo Missae von 1969 und die Publikation des Missale Romanum von 1970 endgültig überholt war. Die Zeit bis zur Einführung des deutschen Messbuchs im Jahr 1975 wurde durch Vorauspublikationen überbrückt.

Die an der theologischen Fakultät Wien angenommene Dissertation von Andreas Peter Kaiser befasst sich mit diesem vergessenen Schritt in der Umsetzung der Liturgiereform, dessen Resultat noch in manchen Sakristeien in Form von drei respektablen Bänden aufbewahrt wird. Nach dem Einführungskapitel mit den üblichen Angaben über Forschungsstand, Quellen und Methoden folgt ein Kapitel über die Grundlagen zur Entstehung des lateinisch-deutschen Altarmessbuchs. Darin wird die Vorarbeit seitens der Liturgischen Bewegung und der internationalen Studientreffen, angestoßen durch die Reformen Papst Pius XII., deutlich. Im folgenden Kapitel geht es um die Dokumente zur Vorbereitung des Altarmessbuchs, die die Vielschichtigkeit der Reformarbeit auf nationaler und internationaler Ebene bezeugen. Eine Sonderstellung nehmen hier die Perikopenbücher ein, die im deutschsprachigen Raum eine längere Vorgeschichte hatten. Kapitel fünf referiert die Gestaltwerdung des Altarmessbuchs von seiner Vorgeschichte, dem Volksmessbuch Schott, bis zur Publikation der drei Bände. Kapitel 6 geht auf die inhaltlichen Aspekte der Entstehungsgeschichte und die Ausgestaltung des Altarmessbuchs ein. Dabei wird ein Vergleich mit dem erst 1962 unter Papst Johannes XXIII. herausgegebenen Missale Romanum vorgenommen. Eine besondere Betrachtung findet die Brautmesse, die im deutschen Sprachgebiet eine eigene Tradition aufweist.

Das mit über 150 Seiten umfangreichste siebte Kapitel befasst sich mit der Übersetzungsarbeit, wobei der Blick teilweise auch über das Altarmessbuch hinaus bis ins 21. Jh. gelenkt wird (z. B. in Bezug auf die Karfreitagsfürbitte für die Juden). Dies geschieht durch zahlreiche tabellarische Gegenüberstellungen. Kapitel 8 behandelt einige österreichische Besonderheiten, insbesondere den Klosterneuburger Messkanon. Danach folgen abschließende Bemerkungen sowie ein ausführlicher Anhang, der neben den üblichen Quellen- und Literaturverzeichnissen sowie Orts- und Sachregister auch ein hilfreiches Verzeichnis der aufgeführten Personen aufweist.

Die akribisch durchgeführte Studie gibt einen höchst informativen Einblick in die Zeit des Umbruchs in der katholischen Kirche, in der entscheidende Weichenstellungen vollzogen worden. Dabei zeigt sich, dass das scheinbar marginale lateinisch-deutsche Altarmessbuch von großer Aussagekraft ist, da es exemplarisch für den Versuch steht, Kontinuität und Wandel gleichermaßen zu realisieren. K. stellt wiederholt die Frage, ob man hier von einem organischen Wachstum sprechen kann. Aus seiner Erfahrung als Forstakademiker weiß er, dass zum organischen Kreislauf nicht nur ein Wachstum, sondern auch manchmal ein Absterben dazugehört, um Neues entstehen zu lassen. »Dieses Neue aber birgt in sich die Stoffe des Alten und basiert und wächst aus dessen Nährstoffen und Substanzen« (365). Wenige Jahre später ist mit dem Erscheinen des römischen Messbuchs von 1970 ein wesentlich gravierenderer Einschnitt vollzogen worden. Nach einigen Jahrzehnten Umgang mit dem darauf aufbauenden deutschen Messbuch von 1975 mühten sich in den 1990er und 2000er Jahren Arbeitsgruppen um eine Neuübersetzung des inzwischen revidierten römischen Messbuchs, bisher ohne Resultat. Beim Studium des vorliegenden Buchs stellt sich der Verdacht ein, dass dies möglicherweise systemisch bedingt ist. Ist das Wachstum der römischen Liturgie möglicherweise an ein Ende gelangt? Diese Frage hat kein Geringerer als Romano Guardini bereits 1964 aufgeworfen, als er eingeladen wurde, am Projekt Liturgiereform mitzuwirken und er zumindest hypothetisch die Eignung der traditionellen Liturgie für den heutigen Menschen zur Disposition stellte. Müsste eine Reform der Reform, wie sie heute von verschiedener Seite gefordert wird, nicht weiter denken, auch über Konfessions- und sogar Religionsgrenzen hinaus?

Eine perspektivische Weitung war wohl nicht Aufgabe K.s, hätte aber das Buch anschlussfähiger für den Diskurs gemacht. Dennoch bietet es zahlreiche Anknüpfungspunkte und Anregungen und ist daher auch im Kontext der ökumenischen Theologie von Interesse.