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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

102-104

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Keitel, Nikolas

Titel/Untertitel:

Ein Nein ohne jedes Ja? Der protestantische Streit um den status confessionis im 20. Jahrhundert.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XIV, 380 S. = Religion in der Bundesrepublik Deutschland, 16. Geb. EUR 84,00. ISBN 9783161613128.

Rezensent:

Marco Hofheinz

Mit dem Titel dieser in Göttingen im Sommersemester 2020 eingereichten Dissertation greift Nikolas Keitel die berühmt-berüchtigte Formel auf, unter der die Friedenserklärung des Moderamens des Reformierten Bundes im Sommer 1982, mitten in der die Gemüter erhitzenden Nachrüstungsdebatte (NATO-Doppelbeschluss), bekannt wurde. Indes widmet sich der Vf. nicht nur der friedensethischen Debatte in den 1980er Jahren, sondern versucht, die großen ethischen Diskurse des 20. Jh.s, in denen der status confessionis eine zentrale Rolle spielte, zu rekonstruieren.

Genau genommen, startet die Untersuchung mit der (Wieder-)Entdeckung dieser Kategorie aus dem sog. Adiaphorastreit des konfessionellen Zeitalters im Kontext des Widerstandes gegen die Einführung des »Arierparagraphen« im Kirchenkampf, die mit dem Namen Dietrich Bonhoeffer fest verknüpft ist (19–46). Wie der Vf. zeigt, wurde der Begriff des status confessionis dann erneut in der Nachkriegszeit in der Debatte um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr in den 1950er Jahren virulent (71–165). Der Vf. ist bemüht, den Diskurs im Raum der EKD im damaligen Kontext genaustens zu rekonstruieren und die den Protestantismus prägenden Richtungskämpfe anhand der kontroversen Positionen etwa der Kirchlichen Bruderschaften, Walter Künneths, Helmut Thielickes, Helmut Gollwitzers und Erwin Wilkens transparent werden zu lassen (105–131).

Immer wieder kommt er aber vor allem auf Karl Barth zu sprechen (bes. 55–69; 73–91; 101–107), dem er eine gewisse positionelle Inkonsistenz und gebotsethische Verengung vorwirft, wobei letzteres nicht ganz aus der Luft gegriffen zu sein scheint, wenn man etwa Gollwitzers behutsame Absetzungsbewegung betrachtet. Zu Recht fokussiert der Vf. auf Barths wichtige Schrift »Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens« (1952), ohne freilich zu berücksichtigen, dass Barth dort ein Schema der Sach- und Verlaufsstruktur politisch-ethischer Urteile aus theologischer Perspektive entwirft, das von Heinz Eduard Tödt später aufgegriffen und zu dem für die ethische Theoriebildung wegweisenden Schema ethischer Urteilsbildung bzw. dem »Versuch einer ethischen Theorie sittlicher Urteilsfindung« weiterentwickelt wurde. Barths Schrift lässt sich durchaus als Beitrag zur Rationalisierung des innerkirchlichen Streits lesen.

Wie der Vf. im weiteren Verlauf seiner Untersuchung zeigt, war die Debatte um den status confessionis im 20. Jh. keineswegs nur in Deutschland angesiedelt, sondern gewissermaßen ökumenischer Natur (167–271). So erklärt der Lutherische Weltbund anlässlich seiner 6. Vollversammlung in Daressalam/Tansania das Apartheidsystem in Südafrika zum status confessionis. Diese Diskussion prägte das weltweite Luthertum bis in die 1980er Jahre hinein – auch hinsichtlich des ekklesiologischen Selbstverständnisses, was etwa die (Neu-)Deutung der Kennzeichen von Kirche (notae ecclesiae) und die Prädikation satis est in CA VII betrifft (265–271).

Das vorletzte Kapitel (273–338) widmet sich, wie bereits der Titel erwarten ließ, der umstrittenen Friedenserklärung des Moderamens des Reformierten Bundes von 1982. Der Vf. arbeitet hier die Eigendynamik heraus, die aus der Erklärung des status confessionis resultierte und die die Frage nach der Kircheneinheit auf die Agenda setzte, die politische bzw. ethische Problemstellung indes in den Hintergrund treten ließ. Die Darstellung mündet bezeichnenderweise in die harsche Kritik Trutz Rendtorffs an der Erklärung, wobei beim Vf. leichte Abgrenzungsbewegungen zu beobachten sind, was die Tonalität von dessen Kritik an der kirchlichen Friedensbewegung und atompazifistischen Überzeugungen betrifft (327–338). Der Vf. stellt Rendtorffs Kritik jedenfalls in den Zusammenhang seines christentumstheoretisch-liberalen Programms und der unter seiner Ägide als Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung verabschiedeten »Demokratiedenkschrift« (1985). Was das Narrativ und den Duktus der Untersuchung betrifft, so verschwindet das titelgebende Fragezeichen hinter dem »Nein ohne jedes Ja« im weiteren Verlauf zunehmend und lässt von Kapitel zu Kapitel das »Nein« zu diesem »Nein« immer stärker hervortreten. Dementsprechend wird im Résumé (339–353) recht scharf festgehalten:

»[…] die mit dem status confessionis verwobenen Debatten im 20. Jahrhundert, wo […] auf eine erzwungene kirchliche Homogenität hingewirkt werden sollte, [stehen] dafür, wie ein kirchlicher Streit, der sich in das Politische richtet und das ›Ethische‹ zum Gegenstand hat, nicht ablaufen sollte. Der status confessionis entwickelte sich zu einem zutiefst undemokratischen diskursethischen Mittel, und zwar gerade nicht dadurch, dass er ›ethisch verwaschen‹ wurde, sondern dadurch, dass er trotz seiner erkennbar ethischen und politischen Ausrichtung nie seine ekklesiologisch-restriktiven Implikationen verloren hat. Dadurch stellte seine Erklärung die pluralen Lebensbedingungen der demokratischen Gesellschaft in einer doppelten Stoßrichtung in Frage: Erstens in Bezug auf eine Unterminierung politisch-ethischer Diskursbedingungen, zweitens hinsichtlich einer fehlenden Pluralismuskompatibilität in der Kirche« (352).

Man wird diese Einschätzung in ihrer Absolutheit nicht teilen müssen (auch das Nein zum status confessionis kann durchaus zum status confessionis werden!) und auch der mitunter recht ungebremsten Kritik vor allem am sog. Linksbarthianismus und dem reklamierten prophetischen Wächteramt der Kirche nicht einfach zustimmen können. Gleichwohl gilt es festzuhalten, dass es dem Vf. durchaus gelingt, in der vorgelegten Untersuchung, zeitgeschichtliche Analyse und konstruktive theologische Arbeit fruchtbar miteinander zu verbinden. Er legt insbesondere die bislang isoliert betrachteten Debatten in ihrer Verknüpfung offen. Gerade in ihrer Zusammenschau werden sie hinsichtlich des Verhältnisses von Politik und Religion aussagekräftig. Positiv hervorzuheben sind auch, trotz kleinerer formaler Mängel, die verdienstvollen Registerarbeiten (Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister), die die Untersuchung abschließen.