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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

96-97

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Rosa, Hartmut

Titel/Untertitel:

When Monsters Roar and Angels Sing. Eine kleine Soziologie des Heavy Metal.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2023. 187 S. = Metalbook, 1. Kart. EUR 20,00. ISBN 9783170426481.

Rezensent:

Alexander Dietz

Mit seiner Resonanz-Theorie legte der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa vor einigen Jahren einen Gesamtentwurf einer Theorie des gelingenden Lebens vor, der in allen Geistes- und Sozialwissenschaften, auch in der Theologie, große Beachtung erfuhr. R. sucht nach einer Antwort auf die Entfremdungs-Probleme, die durch gesellschaftliche Beschleunigungsprozesse hervorgerufen werden, und findet diese in der Befriedigung des existenziellen Grundbedürfnisses nach gelingenden Beziehungs-Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen, die er mit der Metapher »Resonanz« bezeichnet. Diese Resonanz bezieht sich nach R. nicht nur auf Personen, sondern auch auf Transzendenzerfahrungen, sie ist konstitutiv unverfügbar und sie basiert auf einem durch und durch relationalen Welt- und Menschenbild. Damit ist sie, und das ist R. durchaus bewusst, besonders anschlussfähig für die Theologie.

Nun hat R. ein Buch veröffentlicht, das nach seiner eigenen Aussage »in Form und Inhalt anders als alles [ist], was [er] bisher geschrieben« hat, kein »rein akademisches« Buch, eher komponiert »wie ein Rock-Album« (157). In neun kurzen Kapiteln wendet er seine Resonanztheorie auf ein überraschendes Thema an, nämlich die ästhetische Erfahrung des Heavy Metal. Für den Leser, der sich darauf einlässt, hält der unterhaltsam geschriebene und von vielen autobiographischen Passagen durchzogene Text zahlreiche Aha-Erlebnisse und Anregungen zum (auch theologischen) Weiterdenken bereit.

Immer wieder betont R., dass ihm bewusst sei, dass sein Untersuchungsgegenstand für viele Menschen »lächerlich, belanglos und klischeehaft« wirken müsse. (21) Gleichwohl kann er seine These, dass es im Heavy Metal bei näherem Hinsehen weder um große Kunst noch um bloße Unterhaltung, sondern um die letzten Dinge, um quasi-religiöse Transzendenzerfahrungen gehe, plausibel darstellen. »Religiös« definiert er dabei als Resonanzerfahrung einer »Rückgebundenheit an das Leben, an das Weltganze; als das Erleben einer existenziellen und selbstwirksamen Verbundenheit, die unser Innerstes berührt und ergreift«. (23) Während R. in der Vergangenheit theologischerseits mitunter vorgeworfen wurde, mit seiner Resonanztheorie eine soziologisch-säkulare Erlösungslehre geliefert zu haben, in der das Böse keinen realistischen Ort habe, fragt er nun umgekehrt kritisch die etablierten Religionen, ob sie nicht durch Verkopfung, eine doktrinäre Haltung sowie eine häufige Verdrängung bestimmter existenzieller Grunderfahrungen wie Not, Tod und Elend »resonanztaub« geworden seien (92 f.154). Demgegenüber würden in der Heavy Metal-Musik genau diese Grunderfahrungen (im Geist der Romantik) ästhetisch bearbeitet, wodurch der resonanzbereite Hörer in einen gebetsähnlichen Zustand geraten und sogar Hoffnung schöpfen könne (76.94).

Dabei gehe es weder um kognitive Antwortversuche noch um alternative religiöse Lehren, sondern darum, sich mit akustischen Mitteln ernsthaft der abgründigen Wirklichkeit zu stellen und dadurch Tiefenresonanz zu ermöglichen, während die »spätchristliche Kultur« allzu oft versuche, diese abgründige Wirklichkeit »mittels der frohen Botschaft zuzukleistern« (98). Nach R. finden viele Heavy Metal-Hörer in ihrer Musik eine Resonanzachse, entlang derer sie immer wieder (unverfügbare) Erfahrungen einer Gewissheit des Geborgenseins sowie einer existenziellen Verbundenheit machen können (106 f.). R. betont, dass es für ihn als Soziologen nicht um eine ontologische oder theologische Bewertung solcher Phänomene gehe, sondern lediglich um eine Beachtung der existenziellen Bedeutung dieser Phänomene für die betroffenen Menschen.

R. plädiert ausdrücklich nicht für ein Ernstnehmen der »Oberflächenebene der Texte, Maskeraden und Inszenierungen«, wohl aber für ein Ernstnehmen der »grundlegenden […] Fragen, die dahinter liegen« – auf die zwar keine Antworten gegeben, die aber wieder für die Erfahrungsdimension geöffnet werden (135 f.). Etwas, das in traditionellen christlichen Gottesdiensten scheinbar häufig nicht mehr gelingt, wie der in die evangelische Kirche eingetretene Hobby-Organist R. auf der letzten Seite seines unkonventionell-erfrischenden Buches feststellen muss.