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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

89-91

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hesse, Jacob

Titel/Untertitel:

Metapher, Kontext und Kognition. Metaphern zwischen Indexikalität und Ähnlichkeit.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2023. X, 380 S. m. 1 Tab. = Philosophical Analysis, 85. Geb. EUR 129,95. ISBN 9783110737066.

Rezensent:

Dominik Baumgartner

Die metapherntheoretische Literatur ist ein wahres Füllhorn an Erklärungen dieses sprachlichen Phänomens. Schon seit Aristoteles, Cicero und Quintilian besteht in der Philosophie und Rhetorik ein reges Interesse an Metaphern und ihrer Deutung. Das in der Alltagssprache, aber auch im wissenschaftlichen Kontext geläufige Phänomen der Metapher (z. B. »Diese Rezension ist heiße Luft«) wirft bis heute in der Sprachphilosophie und der Linguistik regelmäßig die Frage auf, welche Semantik Metaphern zugrunde liegt. Jacob Hesse versucht sich in seiner 2020 an der Universität Innsbruck angenommenen, von Christian Tapp betreuten philosophischen Dissertation an einer hinreichenden »sprachphilosophischen [Metaphern]theorie mit einem Anspruch auf Allgemeinheit« (4).

Das in sechs Kapitel gegliederte Werk beginnt mit einem prägnanten Einleitungskapitel (1–8), das die Fragestellungen, die Methodik und den Aufbau der Arbeit erläutert. Der Autor definiert hier Metaphern grundlegend als Sätze, »die Ausdrücke enthalten, welche metaphorisch interpretiert werden« können (5).

Das zweite Kapitel (9–89) diskutiert traditionelle Metapherntheorien, namentlich ähnlichkeitsbasierte Erklärungen und die Vergleichstheorie. Zunächst kommen antike Metapherntheorien von Aristoteles (9–21), dem Auctor ad Herennium, Cicero und Quin- tilian (21–26) zu Wort. Tragend für Metaphern sowie für Vergleiche ist nach Aristoteles eine Ähnlichkeitsrelation zwischen den in der Metapher angedeuteten Relata in der Form einer Analogie (12–14).

H. stellt belesen Kritik und Erwiderungen der sogenannten Vergleichstheorie dar (26–53), also der Ansicht, Metaphern könnten stets »ohne Bedeutungsverlust in die linguistische Struktur des Vergleichs überführt werden« (89). Er schließt sich der Kritik an dieser reduktionistischen Metapherntheorie weitestgehend an und schlägt die hilfreiche Unterscheidung der linguistischen und psychologischen Ebene bei der Interpretation von Metaphern vor. So könnten nach H. Metaphern und Vergleiche zwar sprachlich unterschiedlich sein, aber kognitiv-psychologisch nach gleichen Interpretationsmechanismen funktionieren (50 f.).

Die Übereinstimmungen im Interpretationsprozess von Metaphern und Vergleichen fundiert H. ähnlichkeitsbasiert. Dazu vergleicht er zwei Ähnlichkeitssemantiken, das sogenannte Structure-Mapping (SMT) und die Kategorisierungstheorie, und prüft sie auf die Anwendbarkeit auf Metaphern (53–78). Gemäß der SMT beruhen Metaphern auf der analogen Übertragung von Strukturen eines Gegenstandsbereichs in einen Zielbereich. Die Kategorisierungstheorie hält Metaphern für Subsumptionsprozesse unter abstrakte Kategorien. H. präferiert die SMT (wobei die Kritik von Paul Bartha unberücksichtigt bleibt) als strukturelle Erklärung der Funktionsweise von Metaphern in der Form von Ähnlichkeitsbeziehungen. Weil allein strukturelle Ähnlichkeiten nicht ausreichen, um Kontext und Pragmatik von Metaphern einzufangen, die ebenfalls konstitutiv für die Sinnerschließung sind (82), schlägt H. die Erweiterung der SMT um pragmatische (Salienz bestimmter Eigenschaften, Äußerungskontext) und semantische Anforderungen an die Interpretation vor (82–86).

Das dritte Kapitel (90–179) widmet sich den semantischen (92–108), pragmatischen (109–157) und bedeutungsskeptischen (157–177) Konzepten zur Einbindung von Metaphern in die sprachliche Kommunikation, deren Eigenheiten, Stärken und Schwächen der Autor kenntnisreich diskutiert. Seine Darstellung mündet in einen Anforderungskatalog notwendiger Kriterien einer Metapherntheorie, die die Stärken der Theorien vereint, sowie die Sollbruchstellen umgeht, namentlich, dass die semantischen Theorien nicht hinreichend erklären können, was »metaphorische Bedeutungen« sind, die die wörtlichen verdrängen. Pragmatische Ansätze (wie die konversationelle Implikatur von Grice oder der Sprecherbedeutung von Searle) weisen Probleme in der Unterscheidbarkeit von Metaphern und anderen Tropen wie ironischen Ausdrücken auf Bedeutungsskeptische Ansätze (z. B. Davidson) marginalisieren den kognitiven Gehalt von Metaphern unstatthaft und evozieren damit Interpretationsprobleme. Die von H. ausgemachten, sehr hilfreichen Anforderungen lauten: kognitive Gehalte von Metaphern sind zu erklären, der Einfluss von Kontextinformationen auf die Interpretation von Metaphern ist zu berücksichtigen, eine Erklärung für Twice-True/Twice-Apt-Metaphern ist zu liefern, die Unterscheidung von primären/sekundären Operationen als Interpretandum ist aufrechtzuerhalten, die besondere nicht-propositionale Perspektive von Metaphern ist für sich genommen und im Verhältnis zu kognitiven Gehalten zu würdigen, und sogenannte tote Metaphern sind zu erklären (178 f.). Mit seiner Kriteriologie leistet H. einen wichtigen Beitrag zur Evaluation von Metapherntheorien und legt diese auch seinem eigenen Ansatz zugrunde, der im vierten Kapitel (180–300) – dem Kernstück der Arbeit – entfaltet wird. Hier argumentiert er für eine Analogie »zwischen metaphorisch verstandenen Ausdrücken und klassisch indexikalischen Ausdrücken wie ›ich‹, ›du‹, ›hier‹ oder ›jetzt‹« (7), also Ausdrücken, deren Referenz und propositionaler Gehalt sich kontextspezifisch ändert. Nach H. besitzen auch metaphorische Ausdrücke in einem analogen Sinn indexikalische Eigenschaften. Er charakterisiert die sprachphilosophischen Kennzeichen von Indexikalia (181–209) als kontextspezifische Interpretationen von Ausdrücken mit einer genuin semantischen, d. h. bedeutungsevozierenden Funktion auf der Grundlage eines deskriptiven Inhalts relativ zu einem Äußerungskontext (209 f.). H. zeigt ähnliche Eigenschaften auch für Metaphern (210–216). Er schlägt deshalb die R-MET-Regel zur Interpretation von Metaphern vor: »Bei der Interpretation eines Ausdrucks φ nach […] R-MET wird, auf der Basis von den mit dem […] φ verbundenen Assoziationen, die relativ zu den im Äußerungskontext K vorhandenen Präsuppositionen gebildet werden, auf eine Menge von Eigenschaften P Bezug genommen. […] P wird entweder selbst Teil des propositionalen Gehaltes der Äußerung, in welcher der Ausdruck φ vorkommt, oder sie spielt eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung dieses propositionalen Gehaltes. Diese Interpretation erfolgt gemäß der […] Eigenschaft der Indexikalität« (229).

H. arbeitet auch den Einfluss von Präsuppositionen auf Metapherninterpretationen heraus und erläutert das Verhältnis von Metaphern zu anderen Tropen (Metonymie, Ironie, Hyperbel u. a.) sowie die Paraphrasierbarkeit von Metaphern. Er legt überzeugend dar, dass und wie Metaphern propositionale und kognitive Gehalte mittels einer über die wörtliche Bedeutung hinausgehende, Perspektiven eröffnende kognitive Signifikanz (»Sehen-als«) ausdrücken können und deshalb sowohl erkenntnis- wie die sprachliche Ausdrucksfähigkeit erweiternd (Katachresis) sind (275–285), weil Metaphern einen anderen Character (sic) eines propositionalen Gehalts evozieren als wörtliche Ausdrücke (286f.; 297–299). Das harsche Urteil H.s, Metaphern könnten nichts zur Klärung der Frage nach unsagbaren Sachverhalten bzw. der Ausdrückbarkeit kognitiv schwer oder gar nicht zugänglicher Gehalte (mystische Erfahrungen, Eigenschaften Gottes) beitragen (283 f.), ist provokant und vor dem Hintergrund z. B. von Silvia Jonas’ Theorie der Unsagbarkeit besonders für die Metaphernverwendung in der Theologie weiterdenkenswert.

Das fünfte Kapitel (301–360) grenzt die R-MET-Theorie von einflussreichen kontextualistischen und konzeptuellen Ansätzen ab und schärft so das Profil von H.s Ansatz. Eine Zusammenfassung erfolgt im sechsten Kapitel (361–365).

H. arbeitet mit einer sauberen analytischen Begrifflichkeit sowie argumentativer Stringenz, die sachlich abwägend, stets belesen und kenntnisreich ist. Diese gelungene und innovative Metapherntheorie wird nur durch einige sprachliche und grammatikalische Unsauberkeiten getrübt. Der stattliche Kaufpreis der Print-Ausgabe ist angesichts einer (nicht ganz fehlerfreien) kostenlosen digitalen Ausgabe zu verschmerzen.