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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

86-87

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Soboth, Christian, u. Friedemann Stengel [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Der bekannteste Unbekannte des 18. Jahrhunderts. Johann Caspar Lavater im Kontext.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023. 530 S. m. 75 Abb. = Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, 68. Geb. EUR 120,00. ISBN 9783525565599.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Der Band dokumentiert eine im September 2019 am Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung der Universität Halle-Wittenberg abgehaltene Tagung. Wie von den beiden Herausgebern notiert, dürfte der vielseitig begabte und vielseitig umstrittene Johann Caspar Lavater (1741–1801) tatsächlich eine außerordentlich breit vernetzte, »schillernde Zentralfigur des 18. Jahrhunderts« (Vorwort) gewesen sein. Nach der Absicht der Organisatoren sollten nun aber weniger die nicht selten verzwickten persönlichen Verbindungen Lavaters zu exponierten Zeitgenossen wie Goethe, Herder, Lichtenberg oder Klopstock wissenschaftlich ergründet als vielmehr in einem »kulturwissenschaftlich-diskursgeschichtlichen Zugriff« (ebd.) zentrale, interdisziplinär bedeutsame Aspekte von »Lavaters Lebens-Werk« (ebd.) analysiert werden.

Die 20 Beiträge des Bandes, deren Gegenstände in ihrem Zuschnitt und Sachgewicht stark differieren, finden sich auf fünf Kapitel verteilt. Deren Überschriften sind meist sehr offen formuliert (z. B. »Literatur und Religion«; »Diskussionen und Diskurse«); lediglich das mit drei Beiträgen versehene zweite Kapitel verweist zielgerichtet auf das von Lavater streitbar beackerte Feld der Physiognomik (die Kapitelüberschrift spricht, anders als die Beiträge, von »Physiognomie« [121]). Insgesamt kommen Fachmenschen aus einem Dutzend wissenschaftlicher Disziplinen zu Wort.

Dergestalt will und kann der Sammelband kein in sich geschlossenes Gesamtbild des geistbewegten Zürcher Gottesmannes vermitteln, sondern stellt unterschiedlich ergiebige Einzeluntersuchungen zu Lavaters Wirken nebeneinander. Ohne die jetzt ungenannt bleibenden Detailstudien des Bandes geringzuschätzen, soll lediglich auf drei Beiträge exemplarisch verwiesen sein. So analysiert Daniela Kohler umsichtig und kundig »Lavaters religiöse[n] Sturm und Drang« (87–102). Lesens- und bedenkenswert präsentiert Anett Lütteken »Lavater als Seelsorger und öffentliche Instanz in politisch bewegten Zeiten« (361–380). Und Dominique Bourel erprobt für das intrikate, skandalträchtige Verhältnis Lavaters zu Moses Mendelssohn eine höchst anregende »neue These« (465–479).

Wer, den Intentionen des Bandes zuwiderlaufend, an persönlichen Konstellationen und Konflikten interessiert ist, der wird an dem ausführlichen Personenregister (521–528) einen hilfreichen Wegweiser finden.