Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

73-74

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schramm, Michael [Hg.]

Titel/Untertitel:

Sonne, Kosmos, Rom. Kaiser Julian, Hymnos auf den König Helios. Eingel., übers. u. m. interpretierenden Essays versehen v. F. Ferrari, M. Hose, S. Rebenich, A. M. Ritter, M. Schramm u. I. Tanaseanu-Döbler.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XII, 298 S. = Scripta Antiquitatis Posterioris Ad Ethicam Religionemque pertinentia, XL. Lw. EUR 89,00. ISBN 9783161575433.

Rezensent:

Eve-Marie Becker

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Nesselrath, Heinz-Günther [Hg.]: Von »falschen Hunden« und wahren Mythen. Kaiser Julian, An die Adresse des Kynikers Herakleios. Eingel., übers. u. m. interpretierenden Essays versehen v. B. Bleckmann, M. C. De Vita, H.-G. Nesselrath, M. Schramm, J. R. Stenger u. I. Tanaseanu-Döbler. Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XI, 370 S. = Scripta Antiquitatis Posterioris Ad Ethicam Religionemque pertinentia, XXXIX. Lw. EUR 94,00. ISBN 9783161557453.


Kaiser Julian, der in der früheren Forschung noch mit dem Epithet »Apostata« versehen worden war, ist der Intellektuelle schlechthin auf dem Kaiserthron im 4. Jh. Denn er nahm »aktiv […] an den philosophisch-religiösen Debatten seiner Zeit« (SAPERE XXXIX, VII – H.-G. Nesselrath) teil und tat dies in literarisch vielfältiger Weise. Dabei sind – übrigens nicht nur am Rande vermerkt – auch seine Rezeption und (polemische) Interpretation neutestamentlicher Schriften, die in besonderer Weise, aber keineswegs ausschließlich in seiner Schrift Contra Galilaeos zu finden sind, bemerkenswert. Trotz seines kurzen Lebens und den wenigen Jahren als Alleinherrscher auf dem Kaiserthron, die Heinz-Günther Nesselrath einleitend nachzeichnet (SAPERE XXXIX, 3–51), sind verhältnismäßig viele julianische Werke (Briefe, Enkomien, Trostschriften, Invektiven, Hymnen u. a.) überliefert worden (zur Übersicht über die Werke: 29–51). Nesselrath nimmt zur Werkerschließung eine hilfreiche chronologische Dreiteilung des (oftmals nur fragmentarisch erhaltenen) Œuvres in Briefe, »Schriften aus Julians Zeit als Caesar« (356–360 n. Chr.) und »Schriften aus Julians Zeit als Alleinherrscher« (361–363 n. Chr.) vor.

Die beiden, hier zu besprechenden SAPERE-Bände 39 und 40 bieten erstmals in der SAPERE-Reihe überhaupt Schriften Julians dar. Das Verdienst der Textausgaben liegt indes nicht nur darin, zwei Schriften Julians, die aus der Phase seiner Alleinherrschaft, d. h. aus den letzten Lebensjahren des Kaisers stammen, nämlich die Invektive Gegen den Kyniker Herakleios (SAPERE XXXIX – dort Einführung in die Schrift: 51 f. durch H.-G. Nesselrath) und den Hymnos auf den König Helios (SAPERE XL – dort Einführung in die Schrift: M. Schramm, 3–21), durch Textwiedergabe und kommentierte Textübersetzung im jeweiligen B-Teil (SAPERE XXXIX: 62–139; SAPERE XL: 24–101) einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Vielmehr tragen in beiden Bänden die im jeweiligen C-Teil enthaltenen Essays dazu bei, den philosophie- und literaturgeschichtlichen Kontext (SAPERE XL – M. Hose: 255–268) der beiden Schriften so weit auszuleuchten, dass schließlich auch der Bildungshintergrund ihres Verfassers bis hin zu dessen Selbstinszenierung (SAPERE XL – I. Tanaseanu-Döbler, 167–209) und zum Selbstverständnis Julians als Kaiser (SAPERE XXXIX – B. Bleckmann, 299–328) zum Vorschein kommen können. So wird in Ansätzen jedenfalls eine spätantike Bildungsbiographie (eines römischen Kaisers aus der konstantinischen Dynastie) im Umkreis des Neuplatonismus (Jamblich u. a.) greifbar.

Bd. 39 legt in den essayistischen Beiträgen – der Textauswahl entsprechend – den Schwerpunkt auf die Bedeutung der Kyniker (H.-G. Nesselrath, 143–157; J. R. Stenger: 159–183), auf »Mythenhermeneutik und Mythenkritik in der Philosophie des 4. Jh.s« (M. C. De Vita: 185–232), auf Julians Mythentheorie im geistes- und theologiegeschichtlichen Kontext (I. Tanaseanu-Döbler: 233–276) sowie auf Julian »als Mythenerzähler« (M. Schramm: 277–298), bevor das Selbstverständnis des Kaisers in den zeitgeschichtlichen Kontext (des 4. Jh.s) eingeordnet wird (B. Bleckmann: s. o.). Dabei wird u. a. deutlich: Julian versteht sich als »Verwandter und Abkömmling« des Helios, den er »nicht nur als Ahnen, sondern als Vater« ausgibt (B. Bleckmann, 319). Hier lässt sich bereits sinnvoll die Verknüpfung mit dem SAPERE-Folgeband und der Interpretation des Helios-Hymnus darin herstellen.

Folgerichtig werden dann in Bd. 40 in den Essays des C-Teils die »Solartheologie und Lichtmetaphysik im vorjulianischen Platonismus« (F. Ferrari: 105–131) dargelegt, der Helios-Hymnus in die neuplatonische Theologie eingeordnet (M. Schramm: 133–166), bevor – nach der Frage der Selbstinszenierung des Kaisers als Theologe, Myste und/oder Gesandter der Götter (I. Tanaseanu-Döbler: s. o.) – die pagane Reaktion auf die Herrschaftsrepräsentation Julians (S. Rebenich: 211–232) in den Blick genommen wird. Vor der abschließenden gattungs- und literaturgeschichtlichen Einordnung der julianischen Schrift in die Hymnenliteratur der Kaiserzeit (M. Hose: s. o.), die zu dem Ergebnis führt, den Helios-Hymnus eher als »panegyrische Rede (in der Tradition des Aristides und der Reden in Platons Symposion)« zu lesen (267 f.), wird der Versuch unternommen, die »Helios-Theologie« Julians »in Auseinandersetzung mit dem Christentum« zu charakterisieren (A. M. Ritter: 233–253). Auch wenn Julian geistesgeschichtlich nicht unabhängig vom Christentum und seinen theologiegeschichtlichen Debatten zu denken ist, bleibt das Fazit hier eher nüchtern: »Eine Auseinandersetzung mit dem Christentum findet im Helios-Hymnos nicht statt, wohl aber eine Reaktion auf dieses […]«. (A. M. Ritter: 253)

Während Bd. 39 einen Schwerpunkt bei der Philosophie- und Literaturkritik Julians in Auseinandersetzung mit den Kynikern legt, führt Bd. 40 zur julianischen »Theologie«: Durch Textauswahl und Interpretation wird deutlich, dass und wie die »heliozentrische Theologie ein zentrales und selbständiges Element in Julians Religionspolitik darstellt« (Rebenich: 231). Die Zusammenschau dieser beiden Bände ergibt allerdings noch keine profilierte Sicht auf Julian in seiner konfrontativen Beschäftigung mit Judentum und Christentum und deren Traditionsgehalten, an denen er selbst – im Kontrast – seine Versuche der Restauration eines paganen römischen Reiches messen zu lassen beansprucht.

Insgesamt aber gilt: Beide SAPERE-Bände, die jeweils im Anhang u. a. mit einem Gesamtliteraturverzeichnis und Indices (SAPERE XXXIX und XL: A. Villani) abgeschlossen werden, bieten nicht nur eine – für die SAPERE-Reihe charakteristische – instruktive Verbindung von Textwiedergabe und -übersetzung einerseits und vertiefenden Interpretationen andererseits. Auch die Aufeinanderfolge beider Bände ist ein Glücksfall in der Reihe, die oftmals eher zwischen den Epochen springt. In beiden Bänden werden die 360er Jahre fokussiert. Auch wenn SAPERE 39 und 40 dabei selbst nur eine kleine Textauswahl aus dem julianischen Corpus abbilden (können), ermöglicht das Bücher-Tandem eine konzentrierte Beschäftigung mit Julian, die in Umrissen zu einer bildungsbiographischen Skizze führt und zudem eine literatur- wie reli- gions- und theologiegeschichtlich produktive Periode in der hohen Kaiserzeit ausleuchtet. Der SAPERE-Reihe sind weitere Bände zu Julian zu wünschen, die dann auch vertiefter dessen Stellung zu Judentum und Christentum (in Alexandria oder Antiochia) in den Blick nehmen und dabei der Frage nachgehen könnten, wie Julians Denken gegen Ende der konstantinischen Ära die philosophie- und theologiegeschichtlichen Diskurse der Zeit spiegelte und wieweit es sie fortan prägte.