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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

66-67

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thompson, W. H. Paul

Titel/Untertitel:

Pauline Slave Welfare in Historical Context. An Equality Analysis.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2023. XVI, 364 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 570. Kart. EUR 104,00. ISBN 9783161612145.

Rezensent:

Claudia Janssen

Die Monographie ist eine überarbeitete Fassung der Dissertation »Pauline Slave Welfare Ethics in Historical Context: An Equality Analysis«, die 2021 an der Union School of Theology (UST, Bridgend) angenommen wurde. Betreut wurde sie von Cornelis Bennema und Tom Holland. Aufgangspunkt der Studie von W. H. Paul Thompson ist die Beobachtung, dass die aktuelle Forschung zur paulinischen Haltung zur Sklaverei bisher Gleichheit (equality) weder definiert noch konsequent begründet habe. In seiner Untersuchung verwendet er eine heuristische Gleichheitsanalyse (equality analysis), um zwischen verschiedenen Arten von Gleichheit zu unterscheiden, die durch die ethische Begründung eines Textes impliziert werden können. In seiner equality analysis behandelt er Texte der antiken Ethik zum Sklavenschutz, d. h. Ausführungen dazu, wie Versklavte im Verhältnis zu freien Personen behandelt werden sollten.

Der Vf. fragt nach Paulus’ möglichen ethischen Quellen: Schriften von Aristoteles und Seneca in ihrem griechisch-römischen Kontext, Sklavenwohlfahrtstexte der Tora und ihre jüdische Rezeption (Philo). Ergebnis dieser Analyse ist eine Einordnung paulinischer Ethik in den zeitgenössischen Kontext jüdischer Ethik der numerischen Gleichbehandlung (numerically equal treatment) von Versklavten und Freien, die Gottes Unparteilichkeit nachahme. Paulus greife die weit verbreitete jüdische Interpretation der Texte zur Sklavenfürsorge in der Tora auf und richte sie in einem christozentrischen Rahmen neu aus, um – im Vergleich zum vorherrschenden römischen Ethos – das Maß an Sklavenfürsorge zu verstärken.

Kapitel 1 bietet Definitionen von Gleichheit und eine Einführung in die Methode der equality analysis. Der Vf. begründet sein Vorgehen, eine Analyse literarischer Zeugnisse zum Thema Sklaverei vorzunehmen und diese auf ethische Texte einzugrenzen, die thematisieren, wie Sklavenhaltende Versklavte behandeln. Thomson verwendet »Paul« und »pauline« in einem inklusiven Sinn, um sich auf paulinische Traditionen zu beziehen. Das heißt, er unterscheidet nicht zwischen solchen Briefen, die in der Forschung mehrheitlich als authentische (1Kor, 2Kor, Gal, Phlm) bzw. nachpaulinische (Eph, Kol) Schriften eingeordnet werden. In den einzelnen Untersuchungen fragt er dann nach möglichen Unterschieden und konstatiert am Ende seiner Studie, dass es keine grundsätzlichen Veränderungen gebe: »We will also argue that the equality ethics of Paul’s unification formulae between the ethnic and slavery pairs concur. Thus, there appears to be no evidence of any intra-Pauline ethical development.« (27; vgl. 272) Kapitel 2 gewährt einen Überblick der Paulusforschung zum Themenfeld Sklavenfürsorge. Kapitel 3 bietet eine Analyse der griechisch-römischen Literatur zur Behandlung von Versklavten. Thomson konstatiert grundlegende Unterschiede zwischen dem griechischen (exemplarisch an Texten von Aristoteles entfaltet) und römischen Ethos (exemplarisch an Texten von Seneca entfaltet), für das Aspekte der sozialen Hierarchie entscheidend waren (136 f.). Kapitel 4 behandelt biblische Texte zur Sklavenfürsorge (Exod 21; Dtn 5,12–15; 15,12–18; 21,10–17; 23,15–16; 24,7; Lev 19,20–22; 25) und deren Rezeption bei Philo. Thomson analysiert eine weit verbreitete jüdische Ethik der Gleichbehandlung von Reichen und Armen, Versklavten und Freien, die die Gleichbehandlung Gottes aller Menschen nachzuahmen versuche. Die Tora lehne Sklaverei nicht grundsätzlich ab, dennoch enthalte sie Schutzmaßnahmen, die, wenn sie umgesetzt werden, das Los der Versklavten wesentlich verbessern (203).

Ein eigener Abschnitt behandelt die Untersuchungen von Jennifer Glancy zur sexuellen Ausbeutung von Versklavten. Kapitel 5 widmet sich abschließend dem Corpus Paulinum (2Kor 8,13–15; 1Kor 3,1–4,13; 11,17–34; 12,1–31; Gal 2,1–4,7; 3,28; 5,13–6,10; Kol 3,11; 3,22–25; 4,1, Eph 6,5–8; 6,9; Philemon). Hier entfaltet Thomson seine Hauptthese, dass »Paulus« eine jüdische Ethik der numerischen Gleichbehandlung (numerically equal treatment) von Versklavten und Freien vertrete, die Gottes Unparteilichkeit nachahme. Er zeigt, dass diese konzeptionell am besten zur »paulinischen« Ethik der Sklavenfürsorge passe. Auch in den Haustafeln im Kolosser- und Epheserbrief sei diese grundlegend. Sie forderten Sklavenhaltende dazu auf, die unparteiische Haltung Gottes Versklavten und Freien gegenüber nachzuahmen. Für den Philemonbrief formuliert Thomson eine eigene These: »Contrary to most investigations into the epistle to Philemon, the chapter argues that Paul’s purpose is to urge Onesimus’s inclusion within Philemon’s already-compliant slave welfare ethos rather than to define for him a new ethic.« (28; ausführlich: 263–269) Es gäbe keine Belege für eine innerpaulinische ethische Entwicklung, die auf eine Abschaffung der Sklaverei hinweisen könnte. Paulus wolle Philemon in erster Linie um die Wiederaufnahme des flüchtigen Sklaven bitten: »Thus, Paul’s intention in his epistle is only threefold: to inform Philemon of Onesimus’s transformation from a useless fugitive to a useful slave, to seek Onesimus’s inclusion within Philemons’s current ethos on slave welfare and to request Onesimus resumptive. Paul did not hint at Onesimus’s manumission; indeed, his manumission might not have been in his best interests.« (269)

Die Stärke dieser Studie besteht darin, die Methode der equality analysis für die Exegese zu erschließen, um die Unterschiede griechisch-römischer Vorstellungen, die Ethik und Praxis von Sklaverei im Gegenüber zu jüdischer Ethik herauszuarbeiten. So wird es möglich, die implizite Ethik von Texten zu analysieren und diese mit anderen Texten zu vergleichen. Problematisch ist aus meiner Sicht die Entscheidung des Vf.s, die Bezeichnungen »Paul« und »pauline« in einem inklusiven Sinn zu verwenden, um sich auf authentische und nachpaulinische Traditionen zu beziehen. Zeitlich sind die Schriften vermutlich in einem Abstand von mehreren Jahrzehnten verfasst worden. Auch wenn der implizite ethische Ansatz, der jüdische Ethik rezipiert und christologisch interpretiert, keine Entwicklung in den unterschiedlichen Schriften zeigt (so der Vf.), sind die Texte in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten verortet, was sich insbesondere an den Haustafeln zeigt. Die Entwicklungen und die sich daraus ergebenden Unterschiede werden nivelliert. Aufgrund der Entscheidung, ausschließlich Texte zu analysieren, die ethische Anweisungen an Sklavenhaltende bieten, werden zahlreiche paulinische Aussagen zur Sklaverei (wie z. B. 1Kor 7,21–24) nicht behandelt. Doch lässt sich tatsächlich ein umfassender ethischer Ansatz zu Fragen der Sklaverei und Gleichheit herausarbeiten (vgl. 233), wenn als Subjekte des Handelns ausschließlich Sklavenhaltende wahrgenommen werden?