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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

61-63

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Peter, Achim

Titel/Untertitel:

Akoluthiewahrung und Jesusüberlieferung im Jakobusbrief.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. XIX, 436 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 536. Kart. EUR 99,00. ISBN 9783161558061.

Rezensent:

Oda Wischmeyer

Die vorliegende umfangreiche Studie ist die überarbeitete Fassung einer Dortmunder Dissertation 2016/17, die von Rainer Riesner betreut wurde. Achim Peter greift die alte Fragestellung auf, »ob der Jakobusbrief [Jak] Bezüge auf Jesusüberlieferung aufweist und, wenn ja, wie diese Bezüge beschrieben werden müssen« (1). P. ist sich der aporetischen Komponente der Fragestellung durchaus bewusst, wenn er darauf hinweist, »dass der Verfasser sich weder auf das Leben noch auf den Tod oder die Auferstehung Jesu bezieht und an keiner Stelle die Aufnahme eines Wortes Jesu explizit zu erkennen gibt« (2). Wie aber lässt sich eine solche Thematik behandeln? P. stellt zunächst in Kapitel 2 die Forschungsgeschichte dar (5–61), um daraus dann in Kapitel 3 »Grundfragen und Lösungsansätze« zu entwickeln (62–95) und in Kapitel 4 die »Kriterien für eine Abhängigkeit des Jakobusbriefes von Jesusüberlieferung« zu formulieren (97–105).

Kapitel 5 bildet das exegetische Herzstück der Monographie (107–274): »Beziehungen des Jakobusbriefes zu Mt-Lk-Parallelen beziehungsweise zur Logienquelle Q«. In Kapitel 6 (»Die Prohibitive im Jakobusbrief und ihre Beziehung zur Jesusüberlieferung«, 275–365) »liegt der Fokus dann auf Logien, die – nur im Matthäusevangelium überliefert – als matthäisches Sondergut bezeichnet werden« (3). In Kapitel 7 (367–372) gibt P. ein kurzes »Ergebnis«. Literatur und Register umfassen noch einmal ca. 60 Seiten.

Die Forschungsgeschichte wird ausführlich dargestellt, endet allerdings mit dem Jahr 2009. Mindestens der Allison-Kommentar (D. C. Allison, The Epistle of James. A Critical and Exegetical Commentary, ICC, New York u. a. 2013) hätte eingearbeitet werden müssen. Allisons präzise Zusammenfassung (56–62) der Thematik und seine eigene Votierung (56 f.) setzen einen nicht hintergehbaren Maßstab im Zusammenhang seiner umfassenden Analyse von Intertextualität in Jak. Beiträge wie die von Gerhard Kittel haben demgegenüber kein Interesse verdient. P. zieht in Kapitel 4 das Fazit aus der Forschungsgeschichte: Überwiegend wird in der Forschung eine Nähe von Jak zu Mt und zum matthäischen Sondergut postuliert. Die Beziehung zu Q wurde besonders von John Kloppenborg bearbeitet. P. stellt richtig heraus, dass trotz der Analysen von Kloppenborg zunächst überhaupt ein »Einfluss von Jesusüberlieferung« in Jak »wahrscheinlich zu machen« ist (73). »Jesusüberlieferung« definiert P. dann allerdings wenig spezifisch »in dem Sinne, dass nach einem bewussten Rückgriff auf unmittelbar oder mittelbar vorliegende Einzelüberlieferungen gefragt werden soll« (75). Im Zusammenhang mit dem unscharfen »Traditionen«-Begriff der exegetischen Literatur ist zwar der Hinweis P.s wichtig, dass er den Brief »durchgängig als ein bewusst vom Verfasser gestaltetes Schreiben« ansieht (84) und damit auch in der Nähe des Kommentars von Rainer Metzner argumentiert (R. Metzner, Der Brief des Jakobus, ThHK 14, Leipzig 2017), allerdings führt P. diesen Ansatz nicht weiter aus. »Traditionen« selbst scheint P. lediglich als Motivparallelen zu verstehen.

Das wird in Kapitel 5 deutlich. In der Zusammenfassung auf S. 258–260 schreibt P., dass »das Verhältnis zwischen Jakobusbrief und synoptischer Überlieferung mit Blick auf vier Logienkontexte (Lk6,22–49*par; 16, 13–18*par; 12*par; 17,3–6*par) unter dem Blickwinkel der Akoluthiebewahrung beschrieben werden kann« (258). Die Evidenz für diese These ist allerdings nur begrenzt gegeben. Die Beispiele der 1. Gruppe (Lk 6,22–49) zeigen tatsächlich Motivparallelen, Gruppe 2 (Lk 16,13–18) enthält nicht drei, sondern nur eine Motivparallele (Lk 16,13/Jak 4,4). Die beiden anderen Beispiele überzeugen nicht. Gruppe 3 (Lk 12) enthält nicht – so P. – fünf, sondern nur zwei Motivparallelen: Lk 12,33par/Jak 5,2 f. sowie Lk 12,58par/ Jak 5,9. In Gruppe 4 (Lk 17,6.3 f.par/Jak 5,15 f.19 f.) findet sich nur das Motiv des festen Glaubens. Eine nähere Motivverwandtschaft besteht nicht. Ob man aus diesem eher schwachen Befund auf die »durchgehende Präferenz der lukanischen Akoluthie« durch den Verfasser des Jak schließen kann, wie es P. tut, bezweifelt die Rezensentin. Auch der Vergleich mit Q-texten bleibt wenig aussagekräftig, wie P. selbst in der Auswertung auf S. 274 andeutet. In Kapitel 6 untersucht P. die Prohibitive im Jak – so Jak 2,1.2 f.; 3,1 im Vergleich mit Mt 23,6.7.8 – und verwendet den Begriff der »rezeptiven Konflation von Jesusüberlieferung« (364). Das dahinter liegende Problem formuliert er so: »Die Rückfrage nach Einzelüberlieferungen, wenn sie als Einzelstellenvergleich durchgeführt und allein nach dem Grad der wörtlichen Übereinstimmungen beurteilt wird, [wird] dem Charakter und der Rolle von Jesusüberlieferung im Jakobusbrief in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht gerecht« (364). Andererseits lässt sich die von P. postulierte Akoluthie häufig nicht nachweisen bzw. geht über eine traditionelle Verbindung einiger Motive nicht hinaus.

Im Schlusskapitel geht P. nochmals auf die Schwierigkeiten ein, die die Themenstellung mit sich bringt: (1) Der Rückgriff auf alttestamentliche Gebote im Sinne einer »tora-paränetischen Aktualisierung des Willens Gottes« (370) führt zu einer »Durchdringung von Jesusüberlieferung und von Bezügen auf Lev 19« (370), die jede traditionsgeschichtliche Analyse schwierig macht. »Durchgängig zeigt sich, dass der Verfasser des Jakobusbriefes die ihm vorliegende Überlieferung frei rezipiert« (370). Das gilt auch für Motive aus größeren Traditionsstücken.

P. hält zwar an der »Nähe zum Matthäusevangelium« und seiner Sonderüberlieferung fest, möchte den Brief aber nicht in Antiochia verorten, sondern schlägt ein judenchristliches Milieu vor, das »am ehesten nach Jerusalem« weist. Letzterer Hinweis muss in der Jakobusexegese neu diskutiert werden.

Die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung setzt vor-aus, dass dem Verfasser des Jak bereits Q, Mt und Lk soweit in schriftlicher Textform vorlagen, dass sowohl von Akulothie in der Text- bzw. Motivfolge als auch von verschriftlichter Jesustradition, d. h. Logienzusammenhängen gesprochen werden kann. Beide Annahmen sind durch die Untersuchung von P. m. E. nicht erhärtet worden. Dass Jak paränetische Motive (einzelne Topoi) und Traditionen (thematische Zusammenhänge) voraussetzt und verwendet, indem er sie neu kontextualisiert, ist evident. Um dies Vorgehen des Autors des Jak im Einzelnen zu analysieren, wäre aber eine Auseinandersetzung mit der von J. Kloppenborg und anderen Exegeten aemulatio genannten Stiltechnik im Hinblick auf Zitate, Anspielungen und Neuformulierungen aus LXX, Paulusbriefen und 1Petr hilfreich gewesen.