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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

50-52

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidtkunz, Petra

Titel/Untertitel:

Das Moselied des Deuteronomiums. Untersuchungen zu Text und Theologie von Dtn 32,1–43.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. XVIII, 451 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 124. Kart. EUR 109,00. ISBN 9783161582936.

Rezensent:

Ruth Ebach

Das Moselied in Dtn 32 ist ein komplexer Text, der bei der Deutung der verwendeten Sprachbilder, seiner historischen Einordnung und der Frage nach dem Verhältnis zum Kontext vor Probleme stellt. Handelt es sich um ein Fremdgut im Deuteronomium? Wurden sehr alte Traditionen oder auch Textanteile bewahrt oder ist es eine späte Neuschaffung oder zumindest Ergänzung in seinem heutigen Kontext? Handelt es sich um einen geschichtstheologischen Text, der Katastrophen verarbeitet oder/und um die Ankündigung des göttlichen Gerichts? Aufgrund der komplexen Diskussionslage widmet sich Petra Schmidtkunz erneut und im Detail der theologiegeschichtlichen Einordnung von Dtn 32. Die fundierte Exegese folgt den klassischen historisch-kritischen Schritten, verbindet diese aber gewinnbringend mit textpragmatischen Analysen. Die Studie ist in verschiedenen Forschungskontexten entstanden und wurde an der Universität Münster unter der Betreuung von Reinhard Müller als Promotionsschrift angenommen.

Nach einer Einleitung, die auch einen Überblick über die Forschungsgeschichte zum Moselied gibt, gliedert sich die Studie in fünf Großkapitel: 1) Der Text des Moseliedes. Übersetzung und Textkritik; 2) Der Gedankengang des Moseliedes. Inhalt, Textpragmatik und Literarkritik; 3) Die Motivik des Moseliedes. Innerbiblische Parallelen und Traditionskritik; 4) Die Form des Moseliedes. Gestalt und Textpragmatik von Dtn 32 im Vergleich mit den formgeschichtlich verwandten Kompositionen Ps 78; 81; 106; Neh 9; Jes 63–64; 5) Der Rahmen des Moseliedes. Textpragmatik und Redaktionskritik in Dtn 31–32. Abgeschlossen wird die Studie – vor einigen Überblickstabellen und den Registern – durch einen Ergebnisteil, der den Argumentationsfaden klar bündelt und eine profilierte These aufzeigt. Dies ist auch deshalb hilfreich, weil in den sehr materialreichen Einzelanalysen und Textvergleichen die Einzelbeobachtungen den roten Faden bisweilen etwas verdecken.

Bereits am Aufbau ist erkennbar, dass die textpragmatische Analyse als Frage nach der jeweils intendierten Wirkung bei den Adressaten nicht als eigener Schritt, als Ergänzung der anderen Analysen angeschlossen wird, sondern in allen Methodenschritten mitbedacht wird. Sie spielt bei der Frage nach der Bildung der (schriftgelehrten) Verfasserkreise und nach den Voraussetzungen, die die Rezipienten erfüllen müssen, ebenso eine Rolle wie in der motivgeschichtlichen Einordnung und Deutung des reichen Bildprogrammes. Auch redaktionsgeschichtlich werden diese Überlegungen eingebunden, wenn etwa darauf verwiesen wird, dass die Einfügung der Versteile 14e und 15c mit ihren direkten Anreden die Kommunikationssituation verschiebt (62–64; 361–362).

Die Rekonstruktion des Grundtextes erfolgt auf Basis einer sehr sorgfältigen textkritischen Analyse, die weit über das bekannte und vieldiskutierte Problem der Götter(söhne), Engel oder Israeliten in V. 8–9 hinausgeht. In der konsequenten Einbeziehung der verschiedenen Textzeugen statt der Bevorzugung des Masoretischen Textes liegt eine Stärke der Arbeit.

Insgesamt kommt die Studie zur Einordnung von Dtn 32* als religiöser Programmtext im paränetischen Stil aus der mittleren Perserzeit mit einem ungenannten, weisheitlich geprägten Sprecher. Dieser Text wurde sodann in Dtn 32,5aβ.14e.15c.30.31.32–33.43d–e in mehreren Etappen erweitert und, wie die sprachlichen und konzeptionellen Spannungen zum Kontext zeigen, erst im Zuge der späteren Redaktionen in das Deuteronomium eingefügt. Erst durch diesen Vorgang wurde er zum »Moselied« und erhielt durch diesen fiktiven Sprecher und als Teil des Deuteronomiums/des Pentateuchs neue, zusammenfassende Funktionen.

Die motivgeschichtliche Untersuchung bildet das Herzstück der Studie und zeigt im Detail Überschneidungen mit alttestamentlichen und auch weiteren levantinischen, besonders ugaritischen Traditionen und Motiven auf. Hierbei wird zwischen motivlichen Verwandtschaften, die auf eine gemeinsame kulturelle Prägung hinweisen und die rhetorische Bildung der Verfasser und eventuell auch der Rezipienten anzeigen (Sprachparallelen zur ugaritischen Epik), und bewussten literarischen Bezugnahmen bis hin zu Zitationen unterschieden. Literarische Aufnahmen erfolgen vor allem von Traditionen aus Dtn 4; 6–9 und Jes 1; 42–45; 58. (Zu verweisen ist auf die hilfreiche Übersichtstabelle auf S. 263, die die Motive ausweist, bei denen die Vfn. von einer literarischen Abhängigkeit und Dtn 32 als rezipierendem Text ausgeht.) Dtn 32 wird wiederum als Motivgeber und Rezeptionsbasis für Ps 81; 135; Jes 63–64 und Mal 2 ausgemacht, was für die Bekanntheit des Textes spricht. Die Beobachtung, dass es gehäuft zur Aufnahme von Einzelmotiven aus verschiedenen theologischen Strömungen und Literaturgattungen kommt (rechtliche Texte, weisheitliche Texte u. v. m.), die in Dtn 32 bewusst zusammengeführt werden, ist ein wichtiger Hinweis auf die theologiegeschichtliche Verortung des Textes. So wird durch die Rezeption und Synthese verschiedener theologischer Grundmuster und Erzählungen unter Weglassung konkreter Bezugspunkte (Personen, Orte, historische Ereignisse) eine Anwendung auf verschiedene Lebenssituationen ermöglicht. Durch diese Deutung wird das Problem der fehlenden Nennung konkreter historischer Bezugspunkte, das die Datierung des Textes erschwert, produktiv aufgenommen.

Als Intention des Textes bestimmt die Vfn. »größere Teile der Bevölkerung im perserzeitlichen Jehud zur Besinnung auf die Identität als Volk JHWHs aufzurufen« (368, Hervorhebung i. O.). Der Text richtet sich dabei nicht politisch gegen die Perser, sondern bestärkt Israel selbst, die eigene Gottesbeziehung zu überdenken und zu pflegen. Der Verzicht auf einen eigenen politischen Anspruch in diesem Text, der in der aktuellen Situation ohnehin aussichtslos war, wird mit der Darstellung Jhwhs als Herr der Geschichte verknüpft: »Am konsequentesten aber schließt das Moselied alle menschlichen Machtoptionen aus und formuliert ein Programm, das einzig die Orientierung an JHWH zulässt und von jeglicher Politik gänzlich schweigt.« (374)

Genau an diesem Punkt, dem Schweigen über Politik, ergeben sich jedoch Anfragen, denn die im Moselied vorhandenen Motive der Gerichtsankündigung und des kommenden Eingreifens Gottes werden so letztlich ihrer grundlegend politischen Dimension beraubt. Auch wenn die in Anknüpfung an die prophetischen und zugleich weisheitlichen Traditionen formulierten Gerichtsankündigungen weniger die Auseinandersetzung mit äußeren Feinden meinen, sondern eine Scheidung innerhalb des Volkes voraussetzen, wie es auch in anderen jüngeren Texten des Deuteronomiums erkennbar ist (dazu v. a. 218–252 zu den Gerichtstraditionen), und auch wenn Gott als Machthaber präsentiert wird, so bleibt die Ankündigung des Eingreifens Gottes, aber auch die Auseinandersetzung mit anderen Göttern und Herren ein genuin politisches Statement. Die soziale Verortung der Verfasserkreise bleibt durch die starke Betonung ihres eigenen Anspruches zudem etwas unklar.

Durch die Breite der Studie, die hilfreiche Ergebnisse für alle Methodenschritte liefert, und besonders durch die Diskussion der intertextuellen Verflechtungen des Textes ist das Buch ein lesenswerter Beitrag zur aktuellen Deuteronomiumsforschung.