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Ausgabe:

Januar/2024

Spalte:

37-39

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ganzel, Tova, and Shalom E. Holtz [Eds.]

Titel/Untertitel:

Contextualizing Jewish Temples.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2021. = The Brill Reference Library of Judaism, 64. X, 232 S. Geb. EUR 109,00. ISBN 9789004444782.

Rezensent:

Maike Herzig und Mirjam Bokhorst

Der Sammelband von Tova Ganzel und Shalom E. Holtz beinhaltet zehn Beiträge, die im Mai 2018 auf der Konferenz »Contextualizing Jewish Temples: Opportunities and Challenges« an der Bar-Ilan-Universität präsentiert und im Anschluss für die Veröffentlichung zusammengestellt wurden. Das Ziel dieser interdisziplinären Konferenz war es, neue methodische Einsichten und Ansichten mit Blick auf die Kontextualisierung jüdischer Tempel zu gewinnen. Daher wurden Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen und mit verschiedenen Hintergründen zu gemeinsamen Themen, Vorstellungen und Quellengattungen zusammengebracht, um so die Grenzen von Disziplinen, Forschungsepochen und Kulturen zu überwinden. Hierbei ist der Titel »Contextualizing Jewish Temples« methodisches Programm für die Beiträge und Diskussionen. Der kontextualisierende Ansatz verspricht, vom Bekannten ausgehend das Unbekannte zu erschließen, und wird damit begründet, dass Tempel »Fenster« in antike Theologie seien, die nicht isoliert, sondern im jeweiligen Lebenskontext betrachtet werden müssen.

Die zehn Beiträge sind in chronologischer Reihenfolge angeordnet und behandeln dabei mesopotamische, jüdische und christliche Quellen, von der neubabylonischen Zeit bis zum Urchristentum. »Kontextualisierung« wird allerdings in jedem Aufsatz anders verstanden und umgesetzt: Während beispielsweise der Aufsatz von Yuval Levavi vornehmlich Hintergrundwissen zu administrativen Strukturen neubabylonischer Tempel bietet, beinhalten die Aufsätze von Avraham Faust und Lawrence Schiffman eingehende Vergleiche und kontextualisieren so jüdische Tempel mit archäologischen Befunden wie dem Vier-Raum-Haus einerseits und Tempelbeschreibungen in der Tempelrolle und dem Mischnatraktat Middot andererseits. Aus Leserperspektive wäre daher eine den Beiträgen vorausgehende ausführlichere methodologische Reflexion hilfreich gewesen. Die methodischen Überlegungen, die im Einleitungskapitel geboten werden, sind viel zu knapp und bleiben angesichts der konkreten Fallstudien etwas zu pauschal.

Nützlich sind die zahlreichen Bezugnahmen in den ersten beiden Aufsätzen zu neubabylonischer Tempelverwaltung, die die Argumentationen auch für Fachfremde nachvollziehbarer machen. Caroline Waerzeggers verweist häufig auf den Beitrag von Yuval Levavi, um dessen Argumente aufzugreifen und weiterzuführen. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, wenn sie auf die jüdischen Quellen (mishmarot), für die sie mit ihrem Aufsatz einen möglichen Verstehenshintergrund bieten möchte, näher eingegangen wäre. Hingegen hätte der Beitrag von Levavi davon profitieren können, wenn er seinen Tabellen zu den Überzeugungsstrategien in den Verwaltungsbriefen eine erläuternde Einleitung vorangestellt hätte.

Insgesamt überrascht bei diesem Sammelband, dass Kalender eine so große Rolle spielen und in etwa einem Drittel der Beiträge thematisiert werden, während einschlägige tempeltheologische Entwürfe wie zum Beispiel im Königebuch, in der Chronik, bei Haggai und Sacharja oder Esra-Nehemia keine ausführliche Besprechung finden. Gleichzeitig ist dies eine Stärke des vorliegenden Sammelbandes, da dessen Schwerpunkt auf neuen Kontextualisierungen liegt.

Besonders hervorzuheben sind die Beiträge von Avraham Faust und Simeon Chavel. Ausgangspunkt von Fausts Aufsatz »Between the House of the Father and the House of the Lord« ist ein Vergleich unterschiedlicher archäologischer Befunde, die er mit Blick auf ihre gesellschaftliche Bedeutung und Aussage auswertet. Im Vergleich des sogenannten »Vier-Raum-Hauses«, der typischen menschlichen Wohnform im Antiken Israel, mit dem Israelitischen Tempel in Arad, bei dem es sich wie bei den Tempelbeschreibungen in der Hebräischen Bibel um einen Langhaustempel handelt, stellt er zwei entgegengesetzte Ideologien fest. Während das Vier-Raum-Haus als Ausdruck der Einfachheit, des Respekts der Privatsphäre und der Auffassung, dass alle gleich(wertig) sind (er nutzt hier das Stichwort »egalitarianism«), erachtet werden könne, seien Hierarchie, Reinheit und Unerreichbarkeit die Botschaft Israelitischer Tempel. Auf diese Weise komme es bereits architektonisch zu einer radikalen Unterscheidung zwischen Heiligem und Profanem bzw. der göttlichen Wohnstätte und der privaten Behausung.

In diesem Vergleich des Besonderen mit dem Gewöhnlichen liegt ein wesentlicher Ertrag von Fausts Beitrag. Die Architektur des Tempels und ihre Intention bekommt dadurch nicht nur eine schärfere Kontrastfolie, sondern es wird auch noch einmal viel deutlicher, wie sehr das Aussehen eines Tempels Ausdruck elitärer Wahrnehmungen ist und wie wenig Gott zum Alltäglichen gehört. Jedoch lässt sich gleichermaßen fragen, ob seine Deutung des Vier-Raum-Hauses als Ausdruck einer egalitären Ideologie nicht überinterpretiert ist, widerspricht sie ja, wie er selbst feststellt, der antiken israelitischen Realität.

Simeon Chavel untersucht in seinem Aufsatz »Yahweh Become a Temple?« die sprachlichen und semantischen Mehrdeutigkeiten der Wendung טעמ שׁדּקמל םהל יהאו in Ez 11,16. Vor dem Hintergrund der verschiedenen vorliegenden Versionen, des Nahkontextes in Ez 11 sowie anderer, in der Forschung bereits vorgeschlagenen Übersetzungsmöglichkeiten bietet er eine eingehende Analyse und Einordnung dieser Wendung. Chavel betont zu Recht, dass es keine eindeutige Lösung für die Übersetzung dieser mehrdeutigen Wendung gebe. Des Weiteren hält er fest, dass diese Aussage Gottes keine entscheidende Weiterentwicklung israelitischer oder jüdischer Theologie bezüglich des Ortes göttlicher Präsenz bedeute, sondern Ausdruck einer zunehmenden Distanzierung gegenüber seinem Volk sei. Wie genau dies jedoch zu verstehen sei, überlässt er den Lesern.

Weitere Fallstudien befassen sich mit dem priesterlichen Sabbat und dem Kalender (Jeffrey Stackert), mit der literarischen Darstellung der göttlichen Gegenwart in Ex 40 und Lev 8 (Gary A. Anderson), dem himmlischen und irdischen Tempel in Ez 40–48 (Paul M. Joyce), dem Umgang mit dem Tempel im Matthäusevanglium (Eyal Regev) und Konzeptionen, die göttliche Präsenz in Abwesenheit des Tempels denken (Risa Levitt).

Insgesamt bietet der Band eine willkommene Ausweitung des Blickes auf jüdische Tempel. Insbesondere zu komplexen Forschungsproblemen findet man hier lesenswerte Fallstudien, die bisher vernachlässigte Aspekte beleuchten. Der Band wird mit einer gemeinsamen Bibliographie sowie einem Stellen- und Themenregister abgerundet.