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Ausgabe:

Dezember/2023

Spalte:

1266-1268

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Eiffler, Felix

Titel/Untertitel:

Kirche hier und jetzt. Wie wir Gottes Mission treu sind und unserem Kontext gerecht werden.

Verlag:

Witten: SCM R. Brockhaus Verlag 2023. 288 S. = Theorie und Praxis für Gemeinden und Gründer. Geb. EUR 25,00. ISBN 9783417000108.

Rezensent:

Paul Zulehner

Felix Eiffler legt ein Buch vor, das den Ansprüchen zeitgerechter Praktischer Theologie entspricht. Geboren sind die Überlegungen aus praktischen Erfahrungen, denen reflektierend, sich nachdenklich zurückbeugend, auf den Grund gegangen wird, wobei manche herkömmliche Vorstellungen kirchlichen Handelns buchstäblich zugrunde gehen. Von seinem Entwurf her reiht es sich ein in ein Konzert von jüngeren Programmtexten zum Dienst der Kirche in der Welt von heute. Die geheime Überschrift auch über diese Studie könnte – wie im Passauer Pastoralplan von 2000 – lauten: »Gott und den Menschen nahe«. Es geschieht eine Doppelbewegung: in Gott eintauchen, bei den Menschen, vor allem den Bedrängten und Armen auftauchen, mit ihnen aber auch Hoffnung und Freude zu teilen. Das alles in einer Welt, die taumelt und der die Hoffnung auszugehen droht. Der erste Teil des Buches bringt (kriteriologisch) die Mission der Kirche auf den Punkt und verwurzelt diese nicht allein in der Christologie, sondern in der Lehre von Trinität.

Das Buch widmet sich nur en passant der kairologischen Diagnose. Diese nimmt völlig zu Recht an, dass eine Ära der christlichen Kirchen in Europa zu Ende geht. Deutlich gesehen wird die Versuchung, lediglich ein »downsizing einer sterbenden Kirchengestalt« zu betreiben, was Gemeinden und Pfarramt derzeit in Atem hält – übrigens im ökumenischen Gleichschritt. Vielmehr steht Umbau und Aufbruch im Kontext von heute auf dem Programm, eben Kirche hier und jetzt. Dieser Kontext wird im dritten Teil des Buches an den drei wichtigen Handlungsfeldern Stadt, Land und Digitalraum ausgeleuchtet und für das entsprechende missionsgeleitete Handeln aufbereitet. Die ererbte Mission Gottes, den Himmel auf die Erde zu singen, damit diese Reich-Gottes-förmiger werden kann, wird kundig und geduldig kontextualisiert. Dabei tappt der Autor nicht in die Falle, die Mission als göttlich und den Kontext als säkular gottlos einzustufen. Der auch im ökumenischen Diskurs geschätzte Papst Johannes XXIII. nannte den Kontext Zeichen der Zeit, die selbst geisterfüllte Wirklichkeiten sind und für eine Kirche heute deshalb wegweisend sein müssen, wenn sie auf Gott hört.

Es ist für eine Studie aus dem evangelischen Raum beachtlich, dass hier eine Art »praktischer Ekklesiologie« vorgelegt wird. Der reformatorische Respekt vor dem Einzelnen und seiner gewissen-haften Unmittelbarkeit hin zu Gott konnte sich in einer chris-tentümlichen Zeit leicht halten. Die nachreformatorische enge Verflechtung von Protestantismus und Landesherren schuf dafür einen schier unentrinnbaren soziokulturellen Halt. Konfessionszugehörigkeit und mit ihm christlicher Glaube waren bei aller Achtung vor der Individualität »Schicksal«. Diese Zeit ist jedoch definitiv vorbei. Heute wandelte sich »fate to choice«, »Schicksal zur Wahl« (Peter L. Berger). Die »Individualität ohne Kirche« erweist sich in Kulturen, in denen der christliche Glaube keinen soziokulturellen Aufwind, sondern eher Gegenwind erfährt, als nicht tragfähig. Wohl auch deshalb hat die protestantische Ausprägung des Christentums den Kommunismus in vielen Ländern gar nicht gut überstanden (siehe der im Buch auch kurz behandelte Kontext Ostdeutschland). In pluralistischen Kulturen braucht es schon aus wissenssoziologischen Gründen tragfähige »Plausibilitätsstrukturen« (Berger, Peter L./Luckmann, Thomas: The Social Construction of Reality, 1967). Christsein geht nie allein, schon gar nicht heute. Und dies aus soziologischen wie theologischen Gründen. Daher braucht auch die Praktische Theologie der Evangelischen Kirche eine gediegene »praktische Ekklesiologie« (Zulehner, Paul M./Neuner, Peter: Dein Reich komme. Eine praktische Lehre von der Kirche, Ostfildern 2017. Erschien in zehn Sprachen). Vielleicht liegt hierin auch der »Erfolg« der Freikirchen im Vergleich zur evangelischen Großkirche.

Hilfreich wäre es, den Begriff der Institution zu sanieren. Auch im Buch hat er eher eine dunkle Färbung. Aber wissenssoziologisch besehen sind Institutionen der »Aufstand gegen das Vergessen« des Ursprungsereignisses. Die »Institution Kirche« machen aus: die Bibel, das Herrenmahl, die Botschaft von der Auferstehung und von der Gnade ohne Verdienst. Es wäre gut, von der Institution Kirche, ohne die heute niemand Christ wäre, die Sozialgestalt Kirche zu trennen. Diese ist in den Kontexten wandelbar; die Institution bleibt aber das feste Fundament. Um eine zeitgerechte Sozialgestalt und damit ein entsprechendes kontextuelles Handeln geht es ja auch in diesem Buch, was die evangelische Praktische Theologie bereichert.

Das Buch ermutigt, inspiriert und setzt kreative Phantasien frei. Eine echte Alternative zur (Un-)Kultur des Jammerns, welche die christlichen Kirchen in Europa lähmt.