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Ausgabe:

Dezember/2023

Spalte:

1260-1263

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Pulte, Matthias, u. Thomas Meckel [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Leitung, Vollmacht, Ämter und Dienste. Zwischen römischer Reform und teilkirchlichen Initiativen.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2021. 239 S. = Kirchen- und Religionsrecht, 33. Kart. EUR 39,00. ISBN 9783402237441.

Rezensent:

Oliver Schuegraf

Zahlreiche Tagungen und Veröffentlichungen des deutschen Katholizismus haben sich in den letzten Jahren mit Strukturreformen beschäftigt. So auch dieser Band, der auf eine Fachtagung im Herbst 2019 zurückgeht. Vor allem unter dem Blickwinkel der Kanonistik werden in elf Beiträgen aktuelle Debatten zwischen römischer Reform und teilkirchlichen (hier: deutschen) Initiativen vorgestellt. Die Artikel kreisen dabei immer wieder um die im Buchtitel genannten Stichworte: Leitung, Vollmacht, Ämter und Dienste.

Besonders die ersten drei Artikel bemühen sich um eine Klärung und Einordnung dieser vier Leitbegriffe: Thomas Meckel entwickelt eine möglichst präzise Begrifflichkeit anhand der zur Verfügung stehenden kirchenrechtlichen Quellen. Wichtig ist ihm besonders eine sachgerechte Unterscheidung von officium (Amt) und munus (Dienst). Ansgar Wucherpfennig beleuchtet die Begriffe vom Matthäusevangelium her und setzt der aktuellen Missbrauchskrise seinen biblischen Befund entgegen. Klaus Unterberger betrachtet schließlich die Leitworte aus kirchengeschichtlicher Perspektive und arbeitet besonders Aspekte des Wandels bei der Entwicklung der Amtsstrukturen heraus. »Eine neue Ausdifferenzierung des ministerium ecclesiasticum scheint dem Historiker ebenso möglich wie eine Brücke zum Amtsbegriff anderer christlicher Konfes-sionen. Ob dies opportun ist, muss die Rechtssystematik und die systematische Theologie beurteilen« (64).

Peter Platen vertritt in dem Aufsatz »Was heißt eigentlich Vollmacht?« zunächst die These, dass das II. Vatikanum keine abschließenden Aussagen über den Zusammenhang von Weihe- und Leitungsgewalt und die Frage, wer Leitungsgewalt ausüben kann, vorgelegt hat. Anschließend entwickelt er anhand des Normengefüges des geltenden kanonischen Rechts (CIC/1983) die Möglichkeiten und Grenzen der Trägerschaft von und Partizipation an kirchlicher Leitungsgewalt. Der Betrag schließt mit konkreten Praxisbeispielen der Mitwirkung von Laiinnen und Laien an der Ausübung der Leitungsgewalt und Nutzung des Rechtsinstituts der Delegation. Unter demselben Titel »Was heißt eigentlich Vollmacht?« setzt Christoph Ohly hingegen etwas andere Akzente. Für ihn verneint das Konzil »ausdrücklich die Möglichkeit zur Ausübung von Leitungsvollmacht ohne die dazu notwendige, ja geradezu indispensable sakramentale Bevollmächtigung« (93). Leitungsvollmacht gebe es in der Kirche nicht ohne Weihevollmacht. Mitverantwortung und Kooperation der Gläubigen könne es in beratenden Elementen der Kirche geben, nicht jedoch für die Inkraftsetzung und Umsetzung einzelner Akte der Leitungsvollmacht. Auf dieser Basis sieht Ohly bei einigen diözesanen Reformmodellen für die Pfarreistrukturen und bei manchen inhaltlichen und strukturellen Fragen des damals noch in der Vorbereitungsphase stehenden Synodalen Weges Gefahren.

Mit Markus Graulich, Untersekretär des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte kommt die römische Perspektive auf das Thema in den Blick. Er stellt dar, was Papst Franziskus unter einer Theologie des Volkes Gottes und einer Kirche als missionarischer Gemeinschaft versteht und wie sich der Papst zum Klerikalismus und dem Verhältnis der Frauen zum kirchlichen Amt verhält. Sein Fazit lautet: »Was der Papst zum Thema Leitung, Vollmacht, Ämter und Dienste sagt, ist weniger neu, als manche gerne behaupten« (133). Thomas Schüller stellt anschließend die Kirchenrechtspraxis und ihre rechtsdogmatische Fundierung aus der teilkirchlichen Perspektive des deutschsprachigen Raums vor. Einen besonderen Schwerpunkt legt er auf die Bemühungen deutscher Bischöfe, Frau- en verstärkt Leitungspositionen in der diözesanen Verwaltung zu übertragen, und auf das Pfarrbeauftragtenmodell des Bistums Osnabrücks. Unter Einhaltung der kodikarischen Vorgaben wird dort vom Diözesanbischof beauftragten (hauptamtlichen) Laiinnen und Laien Mitverantwortung in der Pastoralarbeit einer Pfarrei ermöglicht. Heribert Hallermann untersucht, wie angesichts der Bildung neuer, größerer pastoraler Strukturen der Leitungsdienst (nicht -vollmacht!) des Pfarrers in einer Pfarrei neu gedacht werden kann. Anschließend skizziert er das Entwicklungspotential für profilierte und definierte Ämter und Dienste von einzelnen Gläubigen als auch Vereinigungen oder Initiativen, die bestimmte Aufgaben der pfarrlichen Hirtensorge gemeinschaftlich übernehmen.

Im Anschluss an diese drei kirchenrechtlichen Überlegungen zu römischer Reform und teilkirchlichen Initiativen sucht Johanna Rahner dogmatische Klärungen für die Frage nach Frauen in kirchlichen Leitungsämtern. Für sie bildet gerade der Rückblick auf die Katholische Kirche des 19. Jh.s mit ihrer »Erfindung« einer eindeutigen Tradition als »Konstruktions- und Selektionsprozess« (183) die notwendige Voraussetzung, um heute die Frage sachgemäß verstehen zu können. Sie sieht in der Frauenfrage einen Lackmus-Test, ob sich die Katholische Kirche als moderne-skeptische, veränderungs- und ambiguitätsintolerante Institution etabliert oder als glaubwürdige Kirche in der Welt von heute bestehen kann. Stephan Haerig OSB weitet den Blick und stellt rechtliche Leitungskonzepte in Ordensgemeinschaften vor. Er hofft, dass diese Regelungen, die z. B. auf besondere Weise auf Partizipation oder Kontrolle von Machtbefugnissen achten, auch für andere Felder des kirchlichen Lebens nutzbar gemacht werden können. Abschließend beleuchtet Matthias Pulte den Rechtsschutz in der Katholischen Kirche. Er stellt fest, dass es in den letzten Jahrzehnten auf universalkirchlicher Ebene wenig Entwicklung beim Rechtschutz und den Verwaltungsbeschwerdeverfahren gegeben habe, während im deutschen Verfahrensrecht merkliche Verbesserungen zu beobachten sind. Er wendet sich dabei den Bereichen Arbeits- und Verwaltungsrecht, Datenschutzrecht, Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis von Lehrenden an Universität und Schule sowie Supervision und Mediation zu.

Einige immer wiederkehrende Fragestellungen, an denen unterschiedliche Positionierungen der Autorin und Autoren deutlich werden, sollen exemplarisch genannt sein: An mehreren Stellen wird c. 129 § 2 CIC diskutiert. Für die Möglichkeit der Beteiligungen von Laiinnen und Laien an der Leitungsgewalt ist es von entscheidender Bedeutung, wie ad normam iuris cooperari possunt (können nach Maßgabe des Rechts mitwirken) sachgemäß zu verstehen ist. Kann dies als Teilhabe an der Leitungsgewalt verstanden werden oder soll diese gerade ausgeschlossen und nur beratende Kooperation gemeint sein? Ein relevanter Testfall ist dabei im Band mehrmals die Frage, ob Laiinnen und Laien zu erkennenden kirchlichen Richtern bestellt werden können, womit sie eindeutig Träger von Leitungsgewalt wären. Die Praxis in Deutschland und Aussagen des Papstes deuten die widersprüchlichen Vorschriften in letztere Richtung. Ein weiteres Thema, das mehrmals angesprochen wird, ist die Frage, ob das II. Vatikanum das Problem der Partizipation aller Gläubigen nicht noch verschärft hat. So wird diskutiert, inwieweit das Konzil die Ausübung der potestas iurisdictionis (Leitungs-/Hirtengewalt) strikt an die potestas ordinis (Weihegewalt) gebunden hat (vgl. Platen vs. Ohly), um das Bischofsamt gegenüber dem päpstlichen Primat aufzuwerten. Währenddessen ist im CIC weiterhin eher eine Unterscheidung beider zu finden. Das Konzept einer Einheit der Kirchengewalt unter Ausblendung der ebenfalls konziliaren Volk-Gottes-Ekklesiologie kann dann dazu führen, dass Nicht-Geweihten der Zugang zu eigenständiger Leitungsvollmacht verschlossen wird (vgl. Rahner, die Überlegungen von Hubert Wolf aufgreift).

Insgesamt mag der Band für Lesende, die in der kanonistischen Diskussion und den einschlägigen Texten des CIC und Konzils nicht so firm sind, kein leichtes Lesen sein. Dennoch sind die Lektüre und das Eindenken lohnend, da für den Zustand und die Zukunft des Katholizismus entscheidende Fragen intensiv und sachkundig diskutiert werden. Die Katholische Kirche weist dem kanonischen Recht eine spezifische Rolle zu, die sich so in anderen Konfessionen nicht findet. Deshalb ist die im Tagungsband vorgelegte kirchenrechtlich Perspektive für die Lösung der diskutierten Fragen von zentraler Bedeutung.