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Ausgabe:

Dezember/2023

Spalte:

1255-1256

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Handke, Emilia, u. Kristin Jahn [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Risse und Glanz. Röntgenbilder einer Kirche.

Verlag:

Altenburg: E. Reinhold Verlag 2022. 108 S. m. zahlr. farb. Abb. Kart. EUR 15,90. ISBN 9783957550774.

Rezensent:

Andreas Kubik

In der wachsenden Atemlosigkeit zwischen wahrgenommener Kirchenkrise und sich überschlagenden Reformvorschlägen kann es vorkommen, dass das genaue Hinsehen auf der Strecke bleibt. Für dieses wollte sich eine Tagung Zeit nehmen, die im Juni 2022 im Altenburger Land stattfand, bewusst weitab von kirchlichen Zentren. Initiiert wurde sie von zwei – soll man es so sagen? – Hoffnungsträgerinnen des kirchlichen Gegenwartsprotestantismus, Emilia Handke und Kristin Jahn. Ziel der Tagung war, vor allem die Mitgliedschaftskrise der Kirche »einmal grundsätzlich durch[zu]buchstabieren« (5) und sich dafür »drei Tage ehrlicher Rechenschaft« (5) zu nehmen. Aus dieser – sehr gut besuchten – Tagung, an der Menschen unterschiedlichster kirchlicher Berufe teilnahmen, ist das vorliegende Buch entstanden.

Es hat ein Doppelherz. Zum einen liefert es vier Berichte von praxisorientierten Workshops. Ob öffentliche Inszenierungen von Fußwaschung und letztem Abendmahl, performative Überlegungen zu Karfreitag und Ostern, Werkstücke zu populären Songs und Schlagern, Besuchsprojekte in Plattenbausiedlungen oder seelsorgliche Begleitung von Schwangeren: Der Charme dieser Berichte liegt darin, dass hier ohne kirchenbetriebswirtschaftliche Agenda à la »Wachsen gegen den Trend« ausprobiert wurde, was geistlich notwendig, personell machbar und spirituell lustvoll ist. Man spürt die Freude, die das alles gemacht hat.

Das andere Herzstück ist eine Fotostrecke unter dem Titel »Traumbilder«, auf der sich Tagungsteilnehmer mit geschlossenen Augen – an etwas denkend, das sie »von Herzen erfreut« (79) – fotografieren ließen, und dann noch einmal mit einem Gegenstand, den sie aus ihrer »Kirchentradition« (79) retten würden (Fotografien: Thomas Hirsch-Hüffel). Die Bilder machen nicht nur Mut, sondern wissen auch kompositorisch zu überzeugen.

Allerdings wird an ihnen auch deutlich, dass ein wichtiger Aspekt des gegenwärtigen Umlern-Prozesses von Kirche im Band unterbelichtet bleibt: Alle ziemlich weiß hier! Die Debatte um Rassismus, Diversität und die Repräsentation von People of Color kommt nicht vor. Hier wäre es vielleicht einmal an der Zeit, Diskurse zusammenzubringen.

Gerahmt werden die beiden Herzstücke von zwei Fachvorträgen (Heinzpeter Hempelmann, Michael Domsgen) und einem streitbaren Diskussionsbeitrag (Kristin Jahn) zum Pfarramt als »Beamtenchristentum« (68) und überforderten Gemeindekirchenräten. Die Vorträge liefern einerseits gediegenes kirchensoziologisches Wissen und auch allerlei interessante, großflächige Reformperspektiven. Andererseits konterkariert der Beitrag von Hempelmann – bei aller Diskussionswürdigkeit im Einzelnen – als ein weiterer Versuch, mit markigen Thesen der Preisklasse »Kirche muss endlich …« und der Konzentration auf einen vermeintlichen. »Unique Selling Point« (27) von Kirche den tastenden und probierenden Gestus des sonstigen Buches. Eine »klein, demütig, machtlos gewordene Kirche« (20), in deren Schwachheit die Kraft Gottes (nach 2Kor 12,9) lebendig ist, kann man nicht einfordern, sie kann sich nur einstellen.

Alles in allem liegt ein liebevoll gestalteter und preiswerter Band vor, der tatsächlich als »Kontrastmittel« (6) zum genaueren Durchleuchten der Kirchenkrise taugt.