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Ausgabe:

Dezember/2023

Spalte:

1219-1221

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Röttger, Sarah

Titel/Untertitel:

Eine unerträgliche Weihe von Frauen? Zur Geschichte der Äbtissinnenweihe.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2022. 352 S. = Münchener Kirchenhistorische Studien. Neue Folge, 11. Kart. EUR 49,00. ISBN 9783170425866.

Rezensent:

Martin H. Jung

Die katholische Theologin Sarah Röttger schließt mit ihrer in Münster auf Anregung von Hubert Wolf verfassten kirchenhistorischen Dissertation eine Forschungslücke, indem sie erstmals die Geschichte und Entwicklung der Weihe von Äbtissinnen in der katholischen Kirche von den Anfängen bis zur Gegenwart anhand der Quellen untersucht. Wie der als rhetorische Frage formulierte Titel der Buchausgabe der Dissertation dezent signalisiert, steht im Hintergrund der soliden historischen Forschungsarbeit eine durchaus aktuelle Motivation, nämlich die Diskussion um die Frage, ob in der römisch-katholischen Kirche die Weihe von Frauen zunächst zu Diakoninnen, später vielleicht auch zu Priesterinnen und sogar zu Bischöfinnen ermöglicht werden könnte.

R. beginnt mit einer essayistischen »Einleitung«, die einige Schlaglichter auf das Thema wirft und über den Forschungsstand und die Quellenlage Rechenschaft ablegt. Eindrucksvoll gleich zu Beginn ist die Gegenüberstellung von zwei detailliert geschilderten Äbtissinnenweihen, nämlich die Weihe von Elisabeth Vaterodt in der Zisterzienserinnenabtei Sankt Marienthal im Jahre 2016 und die von Emmanuela Alchinger in der Benediktinerinnenabtei Sankt Gertrud in Tettenweis im Jahre 1967. Die Weihe 1967 erfolgte (noch) unter Handauflegung durch den Bischof, und der Äbtissin wurden die Regel, Ring, Stab und Pektorale überreicht, 2016 aber gab es keine Handauflegung mehr.

Im ersten Hauptteil ihrer Arbeit behandelt R. die Geschichte der Äbtissinnenweihe von den Anfängen bis in das Jahr 1962. Die ersten für die Untersuchung relevanten Texte sind die sogenannte Magisterregel und die auf ihr aufbauende Benediktsregel. Erstere beschreibt ausführlich die Weihe eines Abtes, analog zur Weihe eines Bischofs, Letztere geht nicht darauf ein. Zu vermuten sei aber, so R., dass auch Benedikt die Abtsweihe gekannt habe, und ferner sei davon auszugehen, dass seine für Männer verfasste Regel auch in Nonnenklöstern angewandt worden sei und es also auch dort die Weihe, die Weihe von Frauen zu Äbtissinnen, gegeben habe.

Erstmals ausdrücklich bezeugt wird die »ordinatio« von Äbtissinnen durch Gregor den Großen im Jahre 596, allerdings ohne nähere Ausführungen zum Ablauf. Die Handauflegung bei der Weihe von Äbten und von Äbtissinnen belegen erstmals Quellen aus Spanien, die Vita des Fructuosus, der im 7. Jh. Bischof von Braga war, und der etwa gleichzeitige »Liber ordinum«. Weitere für das Thema relevante Quellen sind frühmittelalterliche Sakramentare, das Gregorianum und das Gelasianum sowie das Pontificale Romano-Germanicum und das Pontificale Romanum. Sie alle belegen die Existenz einer Äbtissinnenweihe oder zumindest -segnung.

Einen ersten Einschnitt bildet das 13. Jh. mit Innozenz III. R. sieht »Hinweis[e]«, »dass die Praxis, Äbtissinnen zu ›benedizieren‹ rund um Rom zurückgegangen war« (120). Der Papst habe auch Äbtissinnen verboten, »Jungfrauenweihen zu spenden, Beichte abzunehmen, das Evangelium zu verkündigen oder zu predigen« (121). R. referiert hier Sekundärliteratur (Ute Leimgruber, Eva Schlotheuber), hat aber sicher Recht mit der Interpretation, dass das Verbot indirekt belegt, dass Frauen in Klöstern dies getan haben. Weitere Stationen der Quellenuntersuchung sind Durandus von Mende, der Pontificalis Liber und das nachtridentinische Pontificale Romanum.

Die Quellen zeigen, dass es seit der Spätantike üblich war, Äbte und Äbtissinnen durch Handauflegung in ihr Amt einzusetzen, sie zeigen, dass man auch lange Zeit keine Probleme damit hatte, diese Amtseinsetzungen als Ordinationen, als Weihen zu bezeichnen. Sie zeigen, dass Äbte und Äbtissinnen gleichbehandelt wurden und dass sie beide Vollmachten hatten, die denen der Bischöfe entsprachen. Das alles war möglich, weil die Kirche im Mittelalter kaum verbindliche Lehren kannte, weil vieles noch offen und noch im Fluss war. Die Dogmatisierung begann erst im 16. Jh. als Folge der Reformation und setzt sich bis in die Gegenwart fort. Gleichwohl darf man Grenzen, die es schon immer gab, nicht verwischen: Äbtissinnen hatten keine Priesterweihe, sie haben keine Messen gelesen, sie haben nicht die Eucharistie gespendet. Dazu waren schon immer und durchgängig nur Männer befugt.

Vom 16. Jh. springt R. – weil sich zum Thema über Jahrhunderte nichts Neues ergeben hat – in das 20. Jh. Entscheidend sind die Jahre 1947 und 1963. 1947 entschied Pius XII. eigenmächtig, als »Materie« (155) der Weihe sei bei Diakonen, Priestern und Bischöfen nicht die »Übergabe der Geräte« (153) anzusehen, sondern die »Handauflegung« (155). 1963 verabschiedete das 2. Vatikankonzil die Konstitution zur Liturgiereform, in deren Folge 1969 eine Neuregelung zur »Benediktion der Äbtissin« (173) erschien. Nunmehr wurde streng unterschieden zwischen der Weihe eines Bischofs und der »Benediktion« eines Abtes, ferner wurde unterschieden zwischen der Benediktion eines Abtes und der Benediktion einer Äbtissin, und es wurde die Behauptung aufgestellt, diese Unterschiede habe es immer schon gegeben. R. spricht von der »Erfindung« (156) einer »zweiten Tradition« (156), mit der die alte, ursprüngliche, »erste […] Tradition« (156) abgelöst wurde.

An die Entscheidungen und Texte von 1947, 1963 und 1969 schloss sich in Deutschland ein langer, von R. in allen Einzelheiten ausgebreiteter, hier nicht referierbarer Prozess der Konkretisierung und Ausarbeitung der neuen, »zweiten« Tradition an, währenddem – hochinteressant – zahlreiche Frauenklöster Einwendungen gegen das Ansinnen Roms vorbrachten, nicht nur die Weihe der Klosteroberen von der des Bischofs, sondern auch die Weihe des Abtes von der der Äbtissin deutlich zu unterscheiden und der Äbtissin nicht nur die Handauflegung, sondern auch die Übergabe von Ring und Stab – Herrschaftszeichen! – vorzuenthalten. Er fand in Deutschland 1994 mit dem deutschen Pontificale Romanum seinen Abschluss. Hier sind die Abts- und Äbtissinnenweihe nun doch einander weitgehend angeglichen. Klar ist: Es handelt sich nicht um eine »ordinatio«, sondern (nur) um eine »benedictio«. Und ebenso klar ist: Eine Handauflegung erfolgt nicht. Aber Äbtissinnen erhalten immerhin nach alter Tradition – wie Äbte – Ring und Stab. Der Begriff Weihe wird weiter verwendet, obwohl es sich streng genommen nicht um eine Weihe, sondern nur um eine Segnung handelt. Wie sich die Regelung in Deutschland zu der in anderen Ländern verhält, wird nicht gesagt.

Für den (evangelischen) Leser der Studie ernüchternd ist die Tatsache, dass von dem viel gepriesenen Reformkonzil bei diesem Thema kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt ausging. Dass die Geschichte der Äbtissinnenweihe und ihrer Neugestaltung im 20. Jh. dennoch zeige, dass es in der römisch-katholischen Kirche einen großen »Spielraum … für Reformen« gebe (320), wie R., Michael Seewald zitierend, behauptet, kann ich nicht nachvollziehen. Ganz im Gegenteil scheint mir die Geschichte der Äbtissinnenweihe leider zu bekräftigen, dass es in der römisch-katholischen Kirche wohl niemals zu einer eigentlichen, richtigen Weihe von Frauen kommen wird.

Die lange Entstehungszeit – zehn Jahre – merkt man der Forschungsarbeit an. Nicht alles ist aus einem Guss, nicht immer ist die Darstellung geradlinig. Ausgerechnet das »Fazit« (297–320) ist in seiner Argumentationslinie nicht wirklich klar. Das Buch enthält ein gründliches Quellen- und Literaturverzeichnis, aber keine Register.