Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2023

Spalte:

1213-1215

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Yates, Jonathan, and Anthony Dupont [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Bible in Christian North Africa. Part I: Commencement to the Confessiones of Augustine (ca. 180 to 400 CE).

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2020. XIII, 396 S. m. 12 Abb. = Handbooks of the Bible and Its Reception, 4: The Reception and Interpretation of the Bible in Christian North Africa, 1. Geb. EUR 199,95. ISBN 9781614517566.

Rezensent:

Thomas Johann Bauer

Die ältesten Zeugnisse für den Gebrauch von Latein in den christlichen Gemeinden stammen aus Nordafrika, genauer dem lateinisch-sprachigen westlichen Teil mit den römischen Provinzen Africa proconsularis, Numidia und Mauretania. Die hier kurz nach ihrer Hinrichtung in Karthago im Jahr 180 entstandenen Akten der scilitanischen Märtyrer sind das früheste bekannte Zeugnis der lateinischen christlichen Literatur. Hier entstehen wenig später die für das christliche Latein und die Theologie der westlichen Kirchen wichtigen Schriften des Tertullian (ca. 160–220), und hier lässt sich um diese Zeit erstmals auch die Benutzung lateinischer Übersetzung der Bibel belegt. Das lateinisch-sprachige Nordafrika ist im 3. Jh. Zentrum der für die gesamte Kirche wichtigen theologischen Auseinandersetzung um die Ketzertaufe und um die Wiederaufnahme derjenigen, die in der Verfolgung unter Decius (249–251) ihren Glauben verleugnet (lapsi) oder sogar heilige Schriften ausgeliefert hatten (traditores). Im 4. und 5. Jh. ist Nordafrika Ort des Streites um den Donatismus und des Kampfes gegen den Einfluss des Manichäismus. Nordafrika ist die Heimat großer und einflussreicher Theologen wie Cyprian von Karthago (gest. 258) und vor allem Augustinus von Hippo (354–430).

Der Bedeutung Nordafrikas für die Geschichte, Literatur und Theologie der lateinisch-sprachigen Kirche des Westens verdankt sich auch der vorliegende Sammelband. Die chronologisch geordneten Beiträge wollen zeigen, wie das Studium der Bibel das lateinische Christentum Nordafrikas bis in die Zeit des jungen Augustinus prägte. Einleitend skizzieren die beiden Herausgeber Jonathan P. Yates und Anthony Dupont zusammen mit David L. Riggs ausgehend von den bereits genannten Akten der scilitanischen Märtyrer die frühe Rezeption der Bibel im lateinisch-sprachigen Christentum Nordafrikas (1–14). Bedenkt man, wie wenig die Akten über die Bibel sagen, wirken die Folgerungen stellenweise etwas spekulativ. Beim anschließenden Überblick zu den Beiträgen des Bandes würde man sich am Ende ein Resümee wünschen, das in Querschnitten durch die Beiträge Erträge des Bandes benennt und zentrale Ergebnisse, übergreifende Themen und weiterführende Fragestellungen formuliert.

Im ersten Beitrag informiert H. A. G. Houghton über die Anfänge und Geschichte des lateinischen Bibeltextes in Nordafrika und über Handschriften anderer Werke als materielle Zeugnisse für das lateinisch-sprachige Christentum in diesem Raum. Der Beitrag greift über den im Band abgedeckten Zeitraum bis in das frühe 7. Jh. aus (15–50). Der Stand der Forschung ist kompetent zusammen- gefasst, und gleichzeitig werden weiterführende Perspektiven auf- gezeigt, insbesondere zu einem kontinuierlichen Austausch zwischen christlichen Gemeinden in Nordafrika und Europa sowie zu einer christlichen Buchkultur im lateinisch-sprachigen Westen.

David L. Riggs verortet die nordafrikanischen Märtyrerakten und -berichte in einer Geschichte der Verfolgung und evaluiert ihre Analyse im Kontext der Erforschung der christlichen Hagiographie (51–79). Er hebt zurecht hervor, dass Verfolgung unterschiedliche Formen hatte und keinen Dauerzustand des nordafrikanischen Christentums in vorkonstantinischer Zeit beschreibt. Außerdem zeigt er auf, dass die Rezeption der Bibel in diesen Texten bisher nicht die nötige Aufmerksamkeit der Forschung erfahren hat. Zu beachten sei hier neben biblischer Intertextualität vor allem auch der Rückgriff auf eine biblisch fundierte Theologie der Gnade.

Geoffrey G. Dunn analysiert, wie Tertullian in seinen polemisch-apologetischen Schriften biblische Texte verwendet (80–99). Als Ergebnis betont er zurecht, dass Tertullian sich hier als Rhetor zeigt, dem es dort, wo er auf biblische Texte zurückgreift, nicht um ihre Auslegung gehe, sondern darum, seine Leser und Leserinnen zu überzeugen, dass er Recht hat. Vorsichtig und ausgewogen ist seine Stellungnahme zur Diskussion um die mögliche Abhängigkeit Tertullians von vorhandenen lateinischen Bibelübersetzungen und zur Frage, welche Schriften ihm als kanonisch galten. Ähnlich positioniert sich Carly Daniel-Hughes in ihrem Beitrag zum Umgang Tertullians mit biblischen Texten in seinen moralisch-asketischen Schriften (100–118). Als zentrales Problem bei Tertullians Rekurs auf Texte der Bibel zur Rechtfertigung seines moralisch-asketischen Programms hebt sie hervor, dass sein eigenes rigoroses Programm nur durch einen Teil der biblischen Texte bestätigt wird.

Edwina Murphy präsentiert ausgehend von seinen Briefen Cyprian von Karthago als einen von den biblischen Schriften geprägten Theologen und Kirchenmann in einer schwierigen und bewegten Zeit des nordafrikanischen Christentums (119–141). Eine konsequente hermeneutische Theorie liege seinem Umgang mit den biblischen Texten jedoch nicht zugrunde, und auch ihr Kontext werde bei der Auslegung kaum berücksichtigt. Typisch für das lateinische Christentum sei die Ausrichtung seiner Schriftauslegung auf die Paränese. Die Rezeption der Bibel im zeitlichen Umfeld Cyprians nimmt der Beitrag von Laetitia Ciccolini zu den in Nordafrika entstandenen pseudo-cyprianischen Schriften in den Blick (142–167). Das heterogene Corpus, das eher zufällig erhalten blieb, weil es in der Überlieferung mit Cyprian und seinen Werken verbunden wurde, sei eine wichtige Quelle zum frühen lateinischen Bibeltext und zum frühen lateinischen Christentum Nordafrikas.

Mark Edwards analysiert die Schriften der nordafrikanischen Apologeten Arnobius (um 303–305) und Laktanz (ca. 250–325) als Zeugnisse des frühen lateinischen Bibeltextes und der Auslegung der Bibel in Nordafrika (168–188). Die geringe Zahl von Bibelzitaten bei Arnobius sieht er im Thema, d. h. dem Aufweis des Alters des Christentums, begründet. Dies gelte ähnlich für Laktanz, der stellenweise mehr an biblischen Zitaten biete, die dem bei Cyprian bezeugten lateinischen Bibeltext nahestehen und zum großen Teil aus Cyprians Testimoniensammlung entnommen sein dürften. Das Fortwirken Cyprians bei nordafrikanischen Theologen zeigt sich auch im Beitrag von Alden Bass zum Umgang des Optatus von Mileve (um 364/367) mit den biblischen Texten (189–212). Er stellt dar, wie Optatus sich in den Gedanken Cyprians bewegt, sich zugleich aber wegen dessen Wertschätzung bei den nordafrikanischen Donatisten von ihm absetzt und dabei gegen die Donatisten Ansätze zu einer Hermeneutik entwickelt, in der die Vernunft anstelle der persönlichen Heiligkeit für das Verständnis der biblischen Schriften maßgebend ist.

Gerald P. Boersma untersucht anhand der frühen Abhandlungen des Augustinus, wie sich mit der Abkehr vom Manichäismus und unter dem Einfluss des Ambrosius von Mailand (333/ 334–397) sein Verständnis und seine Auslegung der biblischen, insbesondere der alttestamentlichen Schriften, verändern (213–238). Gegen die Manichäer verteidige er nicht nur die Einheit der alt- und neutestamentlichen Schriften, sondern entwickle in der polemischen Auseinandersetzung mit ihnen eine konsistente Schrifttheologie und Regeln der Schriftauslegung, die in seinem langen Wirken als Theologe und Prediger im Umgang mit den biblischen Schriften bestimmend bleiben. Volker Henning Drecoll analysiert die Paulusrezeption beim jungen Augustinus (239–265). Auch sein Beitrag gibt einen Eindruck davon, wie Augustinus sich im Kontext des in sich gespaltenen nordafrikanischen Christentums (Manichäer, Donatisten, Cäcilianer) und unter dem Einfluss europäischer Traditionen aus dem Umfeld des Ambrosius von Mailand als Schrifttheologe entwickelt. Im dritten Beitrag zu diesem Themenfeld widmet sich Jason David BeDuhn den frühen anti-manichäischen Traktaten des Augustinus (266–288). Er blickt dabei auf die Herausforderung durch die gebildete, intellektuell attraktive Schriftauslegung der nordafrikanischen Manichäer, die gegen die alttestamentlichen Schriften die Unvereinbarkeit mit Aussagen der neutestamentlichen Schriften herausstellten.

Jesse A. Hoover wendet sich dem nordafrikanischen Donatisten Tyconius (ca. 330–390) zu, der mit seinen Regeln für die Auslegung der Bibel und seinem Kommentar zur Johannesoffenbarung nicht nur Augustinus, sondern die lateinische Schriftauslegung insgesamt nachhaltig geprägt hat (289–320). Er bewertet Tyconius als Zeuge des älteren lateinischen Bibeltextes und analysiert seine hermeneutischen Prinzipien als eine eigenständige Fortschreibung donatistischer Traditionen.

Tarmo Toom untersucht De doctrina Christiana als Quelle für die Bedeutung der Bibel im Denken des Augustinus (321–342). Diese Schrift dokumentiere, vor welchen Herausforderungen die Auslegung der biblischen Texte am Ende des 4. Jh.s stand, insbesondere aufgrund eines mangelnden Konsens bezüglich des biblischen Kanon und einer Vielzahl widersprüchlicher lateinischer Übersetzungen. Die biblischen Zitate und Anspielungen in Augustinus’ Confessiones haben für Annemaré Kotzé in der Forschung bisher zu Unrecht kaum Aufmerksamkeit gefunden (343–365). In den Confessiones spiegle sich nicht nur der vielgestaltige Umgang des Paulus mit den biblischen Schriften, sondern vor allem auch seine Verehrung und Leidenschaft für diese Texte. Den Blick auf das Bemühen des Augustinus um die Auslegung der biblischen Schriften sieht sie als förderlich für ein vertieftes und neues Verständnis der Confessiones.

Die einzelnen Beiträge sind insgesamt kompetent und verständlich geschrieben und bieten einzeln wie in ihrer Gesamtheit verlässliche Informationen zur Rezeption und Auslegung der biblischen Schriften im lateinisch-sprachigen Christentum Nordafrikas vom späten 2. bis zum Ende des 4. Jh.s. Ausdrücklich seien die Beiträge von H. A. G. Houghton, Alden Bass und Annemaré Kotzé hervorgehoben. Wünschenswert wäre es gewesen, in eigenen Beiträgen mehr über den Umgang mit der Schrift und zur Rolle der Schrift bei Montanisten, Donatisten und Manichäern zu erfahren. Abgesehen von den Beiträgen zum Donatisten Tyconius und – mit Einschränkung – zu Tertullian als Vertreter montanistischer Positionen erscheinen diese für das nordafrikanische Christentum bestimmenden Gruppen nur als Hintergrund und Frontstellung in Beiträgen zu »katholischen« Vertretern dieser Region. Dies verdeckt, dass die »katholische« Tradition in dieser Zeit in Nordafrika auf weite Strecken eine gefährdete Minderheit war. Für diejenigen, die nicht zum Kreis der Experten für das lateinisch-sprachige Christentum Nordafrikas gehören, wären – wie zum einleitenden Beitrag der Herausgeber angemerkt – in der Einführung zum Band Querschnitte hilfreich, die Verbindungslinien zwischen den Beiträgen herstellen und die behandelten Themen prägnant in den Kontext der Geschichte und Theologiegeschichte des lateinisch-sprachigen Christentums Nordafrikas einordnen, auch wenn sich viele Informationen dazu in den Beiträgen finden und sich mithilfe der Register am Ende des Bandes sowie mit der in den einzelnen Beiträgen angegebenen Literatur selbst erarbeiten lassen.