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Ausgabe:

November/2023

Spalte:

1145–1147

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Helmrath, Johannes

Titel/Untertitel:

Wege der Konzilsforschung. Studien zur Geschichte des Konzils von Basel (1431–1449) und anderer Konzilien. Ausgewählte Aufsätze Band 2.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XII, 844 S. = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation/Studies in the Late Middle Ages, Humanism, and the Reformation, 132. Lw. EUR 169,00. ISBN 9783161559839.

Rezensent:

Josef Wohlmuth

Johannes Helmrath legt – nach einer Einleitung (1–12) – seine Forschungsarbeiten in vier Bereichen vor: »A. Generalia« wendet (I.) den Terminus Kommunikation auf die spätmittelalterlichen Konzilien an, schaut (II.) auf das Verhältnis von Papst und Konzil im Konzil von Pisa (1409) und im 5. Lateranense (1512–17) zurück, wodurch Basel gleichsam zeitlich eingekreist wird. Im Abschnitt (III.) werden in umfangreichen Einblicken Partikularsynoden und Syn-odenstatuten im spätmittelalterlichen Raum behandelt (15–155).

»B. Konzilien als politische Versammlungen« gliedert sich in sechs Unterkapitel. IV. stellt die Konzilsgeschichte des 15. Jh.s in die Handlungsräume von Kirche und Reichspolitik und erwähnt in diesem Zusammenhang auch De concordantia catholica des Nikolaus von Kues, der konziliare und römisch-rechtliche Begriffe verbindet. Die Teilnahme von Klerus und Laien am Konzilsgeschehen wird zum Problem und zugleich zur Problemlösung, wenn es um die Rolle von Kaiser Sigismund geht. V. »Die Epoche der Konzilien (1409–1449)« in Konstanz und Basel gehört eng zusammen (205–246). Kapitel VI. stellt die Frage: »Basel, the Permanent Synod?« (247–268). Es folgt VII. »Das Reich, seine Fürsten und das Basler Konzil« (269–301). VIII. »Die lateinischen Teilnehmer des Konzils von Ferrara/Florenz« wirft den Blick auf das päpstliche Parallelkonzil (303–353). Darauf folgt IX. »Die zweite Dekade des Basler Konzils« (1440–1449)«; der Untertitel lautet: »Perspektiven, Konversionen, Piccolominiana« (355–392).

»C. Theologie – Frömmigkeit – Reform« (391 ff.). Hier beginnt H. mit einem umfangreichen Einblick in X. »Die Inthronisation des Evangelienbuchs auf Konzilien« (395–442) und fährt fort in XI. »Theorie und Praxis der Kirchenreform im Spätmittelalter« (443–482). Dem folgt XII. »Capitula. Provinzialkapitel und Bullen des Basler Konzils für die Reform des Benediktinerordens im Reich […]« (483–528), mit XIII. ein theologisch hoch relevantes Thema: »Ecclesia enim parva esse potest, nulla esse non potest. Die sogenannte Restlehre zwischen Mariologie und konziliarer Theorie, insbesondere bei Johann von Segovia« (529–556), und XIV. »Aktenversendung und Heilungswunder. Peter von Luxemburg (1369–1387) und die Überlieferung seines Kanonisationsprozesses« (557–579).

»D. Redekultur – Organisation – Bürokratie« (581 ff.). Hier setzt H. mit XV. ein: »Das IV. Lateranum von 1215 in Rom im konzilsgeschichtlichen Vergleich« (583–616). XVI. behandelt denLocus concilii: »Die Ortswahl für Generalkonzilien vom 4. Lateranum bis Trient« (617–684), XVII. »Die italienischen Humanisten und das Basler Konzil (1431–1449)« (685–703), XVIII. »Rangstreite auf Generalkonzilien des 15. Jahrhunderts als Verfahren« (705–737) und XIX. »Das Konzil als Behörde« (739–764). Dem folgt das Register nach Personen und Orten (765–843).

Damit steht das Gesamtpanorama. In der Einleitung teilt H. mit, dass alle Beiträge gründlich korrigiert und in mehreren Fällen durch Nachträge und neueste Literaturangaben erweitert wurden. Er trägt deshalb auch den Wunsch vor, dass man sich bei weiteren Zitationen der Einzelbeiträge auf die vorliegende Ausgabe stützen möge. Ihre wissenschaftliche Genauigkeit und ihre Bedeutung für die Theologiegeschichte des vorreformatorischen Jh.s liegt auf der Hand. Dieser Band verdient deshalb mehr Beachtung als manche Aufsatzsammlung mit bereits veröffentlichten Beiträgen, vor allem aus zwei Gründen:

1. Die Erforschung der Geschichte des Konzils von Basel (1431–1449), die H. mit seiner Kölner Dissertation begonnen hat, erhält im jetzigen Bd. weitere tiefe Einblicke in die Forschung, die nun kompakt zugänglich ist. 2. Das längste Konzil der Kirchengeschichte, das auf damals deutschem Boden stattfand, wirft ein verblüffendes Licht auf das 15. Jh. sowie auf die gegenwärtige Christenheit, die vom Gedanken der Synodalität, die H. behandelt (vgl. »Synodalisierung«, 214–220; Partikularsynoden und Synodalstatuten, 117–155), geradezu erfüllt ist, und zwar in den Reformationskirchen ebenso wie jüngst in der Katholischen Kirche. Damit entwirft H. das Bild einer Epoche, die mit dem Konzil von Basel als dem längsten der Kirchengeschichte einen Höhepunkt erreichte und dank seiner höchst kompetenten Forschung nun auch den gegenwärtigen Debatten aufhelfen kann. Er verrät ja schon im Vorwort, dass er zu Beginn seiner Arbeit an der Dissertation über das Basler Konzil so viel wie nichts davon wusste. Ich wäre froh gewesen, wenn ich in meiner eigenen systematisch orientierten Arbeit über Basel auf die Dissertation und die inzwischen vorliegenden Forschungen H.s hätte zurückgreifen können.

Ich verweise hier nur stichpunktartig auf einige Aspekte. Der spanische Konzilstheologe Johann von Segovia, dessen Weitschweifigkeit bisweilen stört, wird insgesamt als unverzichtbare Quelle verwendet und als epochales Werk gewürdigt. Die Darstellung seiner sog. Restlehre, in der sich Mariologie und Konziliarismus begegnen, empfehle ich besonderer Lektüre (529–556). Dass sich das Basler Konzil bis zur Wahl eines Gegenpapstes in all seinen Entscheidungen ohne Papst Eugen IV., zu dessen Absetzung es schließlich führte, ein erstaunliches Textvolumen vorlegte, wird in fast allen Einzelbeiträgen berührt. Dabei erhält der Begriff Konziliarismus besondere Bedeutung (vgl. 103–109; 169 u. ö.). Einer der interessantesten historischen Vorgänge betrifft den Konflikt zwischen dem weiterbestehenden Konzil von Basel und dem Beginn des päpstlichen Konzils in Ferrara und Florenz, wo neben Nikolaus von Kues vor allem Cesarini als Präsident des Basler Konzils nach Florenz abwanderte und dort erneut Konzilspräsident, jetzt des päpstlichen Konzils, wurde (vgl. 361–368). H. zeigt wiederholt auf, dass das Basler Konzil ohne seine Vorgeschichte in den Konzilien von Pisa und vor allem Konstanz (89–96), aber auch durch den Konflikt mit dem päpstlichen Konzil Ferrara-Florenz (vgl. 98–103) als sogar Immerwährendes Konzil (Vgl. 247–268) vorstellbar wäre (vgl. 205–246; vgl. auch: Konstanz und Basel in der Nachwelt …, 231–243). Obwohl der Konziliarismus auf Oberhoheit des Konzils Wert legte, nahm Basel doch die bisher letzte Wahl eines Gegenpapstes vor, der das Ende des Konzils erlebte. Papst Nikolaus V. betrieb eine unerwartete Friedenspolitik für den Gegenpapst Felix V. und alle wichtigen Anhänger des Basler Konzils (97 f.).

Ein großes Thema war schließlich das enge Verhältnis von staatlicher Macht und Konzil in der ersten Hälfte des 15. Jh.s (vgl. IV. »›Geistlich und werntlich‹ [=weltlich]«; 159–204). Dabei spielten die Abhaltungen der Reichstage an den Konzilsorten Konstanz und Basel und die Präsenz des Kaisers Sigismund zumal in Basel eine besondere Rolle. Was H. hierzu ausführt, überrascht besonders heute, da Staat und Kirche auf Unterscheidung, ja völlige Trennung zusteuern. Die Rede vom dunklen Mittelalter wird im Kontext des Studiums des Konziliarismus erneut und höchst überzeugend widerlegt. Für eine sich ökumenisch verstehende Christenheit sind die Erfahrungen des Konziliarismus samt seinen Grenzen nicht hoch genug einzuschätzen. Die Rede davon, dass Kirche und Demokratie nichts zum Wohle beider miteinander zu tun hätten, wird durch die Historie klar widerlegt. Ehe im Abendland des 2. Jt.s von Demokratie im politischen Sinn gesprochen wurde, sind die Konzilien Werkstätten der später so genannten Demokratien, die noch lange auf sich warten ließen.

Das Ineinander weltlicher Herrschaft und Verständigung aus der Kraft des Geistes, der bei allem Ringen auf Konsens bedacht war, macht deutlich, dass in der Kirche nicht das letzte Modell der Alleinherrschaft zu sehen ist. Die Konzilien des 15. Jh.s waren Lernorte für den herrschaftsfreien Dialog, auch wenn dieser in schmerzlichen Prozessen bis hin zu gleichzeitig zwei Konzilien reifen musste. Mag sein, dass man von der Genese einer »ökumenischen Verständigungssprache« in Basel (vgl. 32) nicht sprechen kann. Ich selbst bezog mich damit auf die der konziliaren Geschäftsordnung, die als Instrument der Verständigung zu gelten hat.

Mögen die historischen, theologischen oder kulturgeschichtlichen Beiträge des Bandes nicht nur mich in Bann gezogen haben, sondern eine breite, begeisterte Lesergemeinde finden; denn die vorliegende Aufsatzsammlung ist ein geschichtswissenschaftliches Meisterwerk, das sich der Lektüre und – dank der Register – auch als Nachschlagewerk empfiehlt.