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Ausgabe:

November/2023

Spalte:

1144–1145

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Friedrich, Martin

Titel/Untertitel:

Von der Reformation zur Gemeinschaft/From Reformation to Communion. 50 Jahre Leuenberger Konkordie/The Leuenberg Agreement Turns 50.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 608 S. Kart. EUR 65,00. ISBN 9783374072316.

Rezensent:

Burkhard Neumann

Angesichts des fünfzigsten Jahrestags der Unterzeichnung der Leuenberger Konkordie ist es verständlich, dass dieses Modell von Kirchengemeinschaft gegenwärtig besonders in den Fokus rückt. Während es von evangelischer Seite fast durchgehend als ein »Erfolgsmodell« angesehen wird, werden vor allem von katholischer Seite – bei allen Würdigungen – Anfragen und zum Teil auch harte Kritik geäußert. Umso hilfreicher ist es, dass mit dem hier vorliegenden (durchgängig zweisprachigen) Band zentrale und zum Teil bisher unveröffentlichte Beiträge aus den Jahren 2003 bis 2021 zur Geschichte und zum Verständnis dieses offenkundig ökumenisch herausfordernden Dokuments gleichsam aus erster Hand vorliegen. Denn Martin Friedrich, der mit dieser Sammlung seiner Beiträge geehrt wird, war 20 Jahre Studiensekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) mit Sitz in Wien und kann darum einen ebenso kompetenten wie lesenswerten Einblick in deren Geschichte und Selbstverständnis geben.

Nach einer Würdigung von mehreren Kollegen und Weggefährten (15–38) sind die Beiträge F.s in vier Themenbereiche unterteilt. Im Folgenden können daraus nur einige Aspekte benannt werden, vor allem im Blick auf die Frage nach dem Verständnis von Amt und Kirchengemeinschaft bzw. Einheit, die bekanntlich im Zentrum des Gesprächs zwischen katholischer Kirche und GEKE stehen.

So weist etwa im ersten Teil »Das Erbe der Geschichte« (39–209) der Beitrag »Calvin und die Einheit der Kirche. Die ökumenische Bedeutung der reformierten Reformation« (61–87) auf bisher wenig wahrgenommene Chancen des reformierten Kirchen- und Amtsverständnisses für die Ökumene hin. Der Aufsatz aus dem Jahr 2009 über »[d]ie Bedeutung der skandinavischen Reformation für die Einheit und Vielfalt des heutigen Luthertums« (89–124) gibt wichtige Informationen zu Geschichte und Selbstverständnis dieser Kirchen, die helfen, unterschiedliche Akzente in den regionalen ökumenischen Dialogen besser einzuordnen.

Der zweite Teil, »Auf dem Weg zur Leuenberger Konkordie« (211–316), bietet knapp zusammengefasst kompakte Informationen zur Entstehung der Konkordie, wobei allerdings die inhaltlichen Streitpunkte, deren Klärung sie voraussetzt, also Christologie, Abend- mahl und Prädestination, so gut wie gar nicht behandelt werden. Hier ist man weiterhin auf andere, grundlegendere Studien angewiesen. Dadurch bleibt leider unklar, was mit der Aussage gemeint ist, dass die Realpräsenz in der Leuenberger Konkordie »personal verstanden und an das Wort, nicht an die Elemente gebunden« (161) sei. Wird damit nicht ein Gegensatz behauptet, der nach katholischer und lutherischer Auffassung gerade nicht besteht?

Die Beiträge im dritten Teil, »Aus der Arbeit der GEKE« (317–515), verdeutlichen, inwieweit die GEKE in den vergangenen Jahrzehnten der Forderung der Konkordie nach einer Vertiefung der beschlossenen Kirchengemeinschaft nachgekommen ist, vor allem in ihrer Studie »Die Kirche Jesu Christi« und dem darin formulierten gemeinsamen evangelischen Kirchenverständnis (vgl. 437–451), und wo gegenwärtige Herausforderungen liegen.

»Der ökumenische Kontext« (517–586) wird schließlich im letzten Teil behandelt und ordnet das Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft anhand verschiedener Beispiele ein in den weltweiten ökumenischen Kontext. Es folgt ein Anhang (587–606), der u. a. auch ein Verzeichnis der Veröffentlichungen F.s enthält. Damit liegt eine gelungene Festschrift vor, die auch für die katholische Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis und dem Einheitskonzept der GEKE wichtig und hilfreich ist.

F. ist selbstverständlich bewusst, dass die LK ein innerprotestantisches Einheits- oder Ökumenemodell ist und »dass es eine größere ökumenische Frage gibt als die, welche Leuenberg beantwortet. Aber die Konkordie hat den Vorzug, ein Modell zu sein, das seine Wirksamkeit schon erwiesen hat« (163; vgl. auch 256–258.283 f.464–73). Damit ist die allen Beiträgen zugrundeliegende Überzeugung F.s formuliert. Darauf aufbauend kann er dann auch die Differenz zwischen der Leuenberger Konkordie und dem Modell von Porvoo benennen (z. B. 90 f.159.257) oder die im Laufe der Jahre immer wieder gestellte Frage nach den strukturellen Konsequenzen der Konkordie, konkret nach einer europäischen evangelischen Synode, behandeln (vgl. 245–262.319–329.465–469). Es sind gerade diese Beiträge, die deutlich machen, dass die GEKE eine dynamische Form von Kirchengemeinschaft bzw. Einheit darstellt, die auf Wachstum und Vertiefung hin angelegt ist. Auch wenn man fragen kann, ob dieser Aspekt in den einzelnen Mitgliedskirchen immer ernst genug genommen wird, ist damit doch ein zentraler Aspekt genannt, der bleibend zu denken gibt, weil er ein Merkmal aller irdischen Formen von Einheit oder Kirchengemeinschaft ist.

So gehört dieser Band mit Beiträgen eines »Insiders« von den zahlreichen Bänden, die gerade in diesem Jahr zur Leuenberger Konkordie erschienen sind oder noch erscheinen werden, sicherlich zu denen, die eine besondere Wertschätzung und auch und gerade von katholischer Seite eine intensive Lektüre verdienen.