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Ausgabe:

November/2023

Spalte:

1118–1119

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bourne, Richard, and Imogen Adkins

Titel/Untertitel:

A New Introduction to Theology. Embodiment, Experience and Encounter.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2020. 208 S. Kart. £ 19,99. ISBN 9780567666673.

Rezensent:

Gregor Etzelmüller

Richard Bourne, Head of School of Humanities at York St. John University, UK, und Imogen Adkins, ein freischaffender Theologe aus Norfolk/UK legen eine vollständig neu konzipierte Einfüh- rung in die (Systematische) Theologie vor (1). Der neue Ansatz besteht darin, konsequent davon auszugehen, dass theologisches Denken immer schon verkörpert ist: »theology is full-bodied thought« (1; vgl. 1Joh 1,1). Wir erschließen uns nicht nur die sinnenfällige Welt durch unsere Sinne: »I also imagine God, love, the soul, in ways that are deeply shaped by my sensory experience. Thought is never disembodied, never apart from the ways our bodily experiences and encounters enable us to think.« (1; vgl. 1–4)

Das Buch bietet – das sei vorweg deutlich gesagt – keine Einführung in die Philosophie (oder Theologie) der Verkörperung. Es nimmt schlicht die Tatsache ernst, dass der Mensch unhintergehbar verkörpert ist, um ausgehend von sinnlichen Wahrnehmungen (sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen) und verkörperter Praktiken (lieben, ruhen) zentrale Themen und Themenfelder der Theologie (Christologie, Trinitätslehre, Schöpfung, Sex und Gender, Gebet, Sakramente, Mystik, Politik und Religion, Erlösung, Eschatologie) und ihrer Prolegomena (dazu vor allem das erste Kapitel) zu erschließen. Das Buch »intertwines two motifs: story – the narrative of Christian belief about God, the world and human history; and sensibility – the full embodied experience of the encounter with the God that story articulates« (81).

Es ist die Stärke des Buches, dass es auf diesem Weg Lebenswelt und systematische Theologie nachvollziehbar verbindet. Während man im deutschen Sprachraum Einführungen, die bei den dogmatischen Themen und Themenfeldern einsetzen, oftmals eine lebensweltliche Fremdheit unterstellt und unterstellen kann, und umgekehrt Theologien, die lebensweltlich ansetzen, oftmals die großen (überlieferten) Themen des Glaubens aus dem Blick verlieren, gelangen Bourne und Adkins – als Beispiel verweise ich auf Kapitel 2 – ausgehend vom Hörsinn des Menschen über die Reflexion einer musikalischen Performance zur Christologie (vgl. 33: »Jesus is so caught up in the stream of God’s life that God is heard, without distortion, through Jesus’s humanity.«) und den christologischen Debatten der alten Kirche (vgl. 38). Dabei kommen didaktisch sinnvoll die Kirchenväter in kurzen Textauszügen selbst zu Wort, werden die Studierenden ermutigt, das Vorgehen der Autoren auch kritisch zu reflektieren (vgl. 33: »In what ways could the performance metaphor for Christology become theologically misleading?«, um von dort aus zur Frage der Häresie überzuleiten) und nach der Bedeutung der altkirchlichen Debatten für die Gegenwart zu fragen (vgl. 37: »Can you think of old heresies which are circulating in new forms right now?«). Im Kapitel zu den Sakramenten wird der Bogen von gegenwärtigen Erfahrungen und Praktiken des Essens bis zum Abendmahl und Calvins Abendmahlslehre geschlagen.

Dabei werden nicht nur klassische Themen der Dogmatik, sondern auch gegenwartsbezogene wie »Sex und Gender« und »Queer bodies« erschlossen; auch der angelsächsische Diskurs, ob man Formen der Askese nicht auch kapitalismuskritisch lesen und so neu würdigen kann, wird aufgegriffen (83).

Dass Biblisches und Traditionelles, Lebenswelt und gegenwärtig Diskutiertes in diesem Band leichthändig ins Gespräch kommen, dürfte methodisch darin begründet sein, dass die Autoren sich zu einem Modell von Theologie bekennen, nach welchem theologische Aussagen – wie ein Stuhl mit vier Beinen – auf Bibel, Tradition, Vernunft und Erfahrung gegründet sind (vgl. 8 f.). Alle vier Bezüge müssen gleichberechtigt vorkommen, damit theologische Aussagen nicht auf wackligen Beinen stehen. »The four sources of theology are not distinct and competitive, but mutually implicated.« (9; vgl. 9–29) Theologie zielt auf eine Rekonstruktion der biblischen Überlieferungen, die in der Lage ist, sich zur kirchlichen Tradition erkennbar in Verbindung zu setzen und auch angesichts gegenwärtiger Erfahrungen und Rationalitätsstandards zu überzeugen. Sie ist die gemeinsame Erkenntnissuche »of those who are committed to the imaginative and rigorous enterprise of connecting the diverse literatures of the Scripture in such a way that they make sense as a big story« (17).

Am Ende der einzelnen Kapitel (teilweise auch am Ende der Unterkapitel) werden die »Key points« in knappen Sätzen zusammengefasst und »Questions for discussion« geboten. Auch die Zusammenfassungen und Hinweise zur weiteren Lektüre überzeugen.

Das Buch ist ein Praxisbuch – entsprechend muss es sich letztlich in der Praxis, konkret: durch seinen Gebrauch im Einführungskurs in die (Systematische) Theologie bewähren. Die vorliegende Rezension kann nur darauf aufmerksam machen, dass es sich lohnen könnte, einen Versuch zu wagen. Studierende aus dem deutschsprachigen Raum hätten dabei einen zusätzlichen Gewinn. Sie erhielten zugleich eine gute Einführung in jene Literaturen und Theologien, die gegenwärtig im angelsächsischen Raum stark diskutiert, im deutschen Sprachraum aber noch zu wenig rezipiert werden: u. a Sarah Coakley, queer theologies, zurecht definiert als Theologien, »which reflect, on how Christian practice can chal-lenge and unsettle (i.e. ›queer‹ as a verb) social values and hierarchies« (67), und Ökofeminismus. Wer nur exemplarisch mit dem Buch arbeiten will, könnte in ein Seminar zu »Religion und Politik« gut das sechste Kapitel integrieren, das die Themafrage angelsächsisch von Reinhold Niebuhr, John Howard Yoder und Nigel Biggar angeht und dabei jeweils – erneut didaktisch vorbildlich – Stärken und Schwächen der Positionen aufzeigt und zur Diskussion stellt.