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Ausgabe:

November/2023

Spalte:

1084–1086

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Albert, Marcel [Hg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch der benediktinischen Ordensgeschichte. Bd. 1: Von den Anfängen bis ins 14. Jahrhundert.

Verlag:

St. Ottilien: EOS Verlag 2022. 688 S. = Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige. Ergänzungsbände, 57. Geb. EUR 49,95. ISBN 9783830681311.

Rezensent:

Albert Schmidt OSB

Eine benediktinische Ordensgeschichte zu schreiben ist eine Her-ausforderung, denn »Jede Abtei hatte ihre eigene Geschichte« (VIII). Trotz dieser Einsicht wagte der belgische Ordenshistoriker Philibert Schmitz OSB (+ 1983) eine Gesamtdarstellung in sieben Bänden (1942/56), die 1947/60 in deutscher Übersetzung erschien. Nach Jahrzehnten ist nun ein neues deutschsprachiges Handbuch im Entstehen, das in ebenfalls vier Bänden »den Stand der gegenwärtigen Forschung spiegeln« (X) soll. Der Herausgeber Marcel Albert OSB ist Benediktinermönch der Abtei Gerleve; den Band hat Anja Ostrowitzki, Abteilungsleiterin im Landeshauptarchiv Koblenz, mitbetreut. Von den 19 Autoren und sieben Autorinnen gehören zehn der Sectio Historica der Benediktinischen Akademie Salzburg an.

Der Band gliedert die Zeit bis zum 14. Jh. in drei Abschnitte: A. Das Zeitalter der Regelentwürfe (4.–8. Jh.) – B. Die Festlegung auf die Regula Benedicti am Anfang des 9. Jh.s und die Gestalt des Mönchtums bis zum 11. Jh. – C. Diversifizierung in einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft (11.–14. Jh.). Der vierte Abschnitt bietet einen Überblick im Längsschnitt: D. Klöster und Wirtschaft (9.–14. Jh.).

Schon in seiner Projektskizze (SMGB 127 [2016] 490–503) hatte Marcel Albert betont: »Von benediktinischem Mönchtum lässt sich also erst ab der Karolingischen Reform sprechen. Daher brauchen in unserem Handbuch die Frühzeit des Mönchtums, die Entstehung der Regula Benedicti und deren Schicksal in der Mischregelzeit nur knapp vorgestellt zu werden« (495). Die Zeit vom 4. bis 8. Jh. nimmt etwa ein Fünftel des Bandes ein. Thomas Karmann (kurz vor der Drucklegung mit nur 48 Jahren verstorben) behandelt zunächst das vorbenediktinische Mönchtum, seine biblischen und auch paganen Hintergründe und seine Grundformen und frühen Entfaltungen von Ägypten bis Hispanien; er versucht eine Definition: »Mönchtum ist eine Sammelbezeichnung für eine reli-giös motivierte alternative Lebensform, die Askese miteinschließt, gleichzeitig aber durch eine mehr oder weniger radikale Absonderung von der Welt, einschließlich der eigenen Glaubensgemeinschaft, charakterisiert ist« (20 f.). Die beiden benediktinischen im Band vertretenen Autoren, Franziskus Büll (Münsterschwarzach) und Marcel Albert, widmen sich der Regel und der Vita Benedikts. Die weiteren Abschnitte nehmen u. a. die kolumbanisch-benediktinische Mischregelobservanz, das missionarische Mönchtum und die Entwicklung in Italien, wo vor dem 8. Jh. eine »Erfolglosigkeit« (97) Benedikts zu beobachten ist, und auf der iberischen Halbinsel bis zu den Anfängen der Reconquista in den Blick.

»Das benediktinische Mönchtum erlebte zwischen dem 9. und dem 11. Jh. wichtige Weichenstellungen. Die RB fand eine immer größere Verbreitung« und »stand nun nicht mehr in Distanz zur Welt, sondern galt als eine der Säulen von Kirche und Gesellschaft« (134). Die Zeit vom 9. bis 11. Jh. füllt ungefähr die Hälfte des Bandes. Nach Benedikt von Aniane, der karolingischen Reform und der Mission im Norden wird »Cluny: Der erste große Klosterverband« ausführlich behandelt (176–240). Die Darstellung verfolgt die gro-ßen Abtsgestalten von Berno bis Hugo und bis zum schillernden Abbatiat des Pontius, das »zugleich das Ende des hervorragenden Ansehens der Abtei bedeutet« (218), auch weil Päpste und Kurie hinfort den Episkopat begünstigen. Prägend verändert hat Cluny die RB durch die Organisation eines Klosterverbandes und des liturgischen Totengedenkens. Maria Hillebrandt (Münster) weist abschließend darauf hin, dass die Selbstdarstellung und die Geschichte Clunys vor allem seit dem 12. Jh. nicht immer übereinstimmen. Besonders ausführlich ist das Kapitel über andere Reformgruppen (241–393), beginnend mit Fleury, das über das Westfrankenreich hinaus Gemeinschaften in England, im ostfränkisch-deutschen Raum und in Nordspanien beeinflusste, bis es ab dem 11. Jh. vom aufblühenden Cluny überstrahlt wurde. Die »Lotharingischen Reformen« sind ein Sammelbegriff; von Brogne und Gorze über St. Maximin in Trier führte ein Weg zwischen Beeinflussung und Eigenständigkeit auch in den alemannischen Raum. »Mindestens 150 Jahre lang sind für das hochmittelalterliche Mönchtum im Reich Reformanstöße in einer West-Ost-Bewegung festzustellen« (294).

Von den Reformgruppen cluniazensischer Prägung – vom süd-italienischen Cava über La Chaise-Dieu in der Auvergne bis ins anglo-normannische England – sei hier eigens auf die Zentren monastischer Reform in Deutschland (Hirsau, St. Blasien, Siegburg) hingewiesen; für diesen Abschnitt ist Monica Sinderhauf, Direktorin des Trierer Bistumsarchivs, eingesprungen, da der ursprünglich vorgesehene Bearbeiter Rudolf Schieffer 2018 noch vor Beginn der Arbeiten starb. Am stärksten war Hirsau von Cluny geprägt, aber ohne ein »Satellitenkloster« (316) zu werden; es konnte eine relative rechtliche Selbstbestimmung erreichen, schaffte die Oblation unmündiger Kinder ab und führte die Laienbrüder ein. Viele Doppelklöster und mehrere eigenständige Frauenklöster gehörten zur Hirsauer Observanz.– Die Missionierung im ostmitteleuropäischen Raum ist ohne die Benediktiner kaum denkbar (Böhmen, Polen, Ungarn).

Die Zeit vom 11.–14. Jh. stellt der dritte Hauptabschnitt des Bandes unter das Stichwort »Diversifizierung«: »vielgestaltige und räumlich verteilte monastische Aufbrüche, bei denen asketische Persönlichkeiten mit ihren Anhängern Eremitentum und gemeinschaftliches Leben zu verbinden suchten« (425); diese monastischen Aufbrüche geschahen zum Teil im nichtbenediktinischen Raum (Nilus, Bruno, Robert von Arbrissel). Italien erwies sich erneut als fruchtbarer Boden (Montecassino, Vallombrosa, Kamaldulenser, Montevergine). Auf dem Hintergrund seiner Engelberger Forschungen behandelt Rolf de Kegel das Aufkommen der Doppelklöster; Hedwig Röckelein skizziert die zunehmende Bedeutung der Frauenklöster: »Von den ca. 850 Benediktinerinnenkonventen, die europaweit zwischen dem 6. und 15. Jh. entstanden und unter denen die Doppelkonvente etwas mehr als 10 % ausmachten, wurden ca. 150 vor 900 gegründet und ca. 650 zwischen 900 und 1300 entweder neu gegründet oder durch den Wechsel der Regel nach der benediktinischen Norm ausgerichtet« (463).

Schon bei der ersten Konzipierung des Handbuchs fiel die Entscheidung, den Zisterzienserorden nur hinsichtlich seiner Anfänge zu berücksichtigen – »bis zu ihrer organisatorischen Loslösung von den Benediktinern« (Projektskizze von Marcel Albert, SMGB 127 [2016] 496). Anja Ostrowitzki zeichnet diesen Weg nach: der Schritt von Molesme nach Cîteaux und die Festigung des Neuen Klosters, zisterziensische Ideale, Liturgiereform, erste Tochtergründungen, Entwicklung zum Orden, Ordensverfassung, Exemtion, europäische Verbreitung. Der Armuts- und Einsiedlerbewegung entsprangen im Italien des 13./14. Jh. neue Reformzweige; die herkömmlichen Benediktinerklöster mussten auf Zisterzienser und Mendikanten, Bürgertum und Universitäten reagieren.

Jeder der ersten drei Hauptteile schließt mit einem Beitrag »Der Beitrag der Klöster zur Kultur« von Hans-Walter Stork; das Spektrum reicht von Skriptorien und Bibliotheken über Agrikultur und Architektur bis Medizin und Musik. Der letzte Hauptteil fasst die klösterliche Wirtschaftsgeschichte im Zeitraum vom 9. bis 14. Jh. zusammen (585–604). – Das Register (605–643) verweist auf Namen, Orte und Sachen; am ausführlichsten sind die Einträge zu »Rom« (mit 12 Unterstichworten), »Italien«, »Cluny« und »Eremiten«. Handschriften sind unter »Codices« gebündelt; bei den Namen ist in Auswahl auch die moderne Forschung berücksichtigt.

Neben der sinnvollen Einschränkung, nur die Anfänge der Zisterzienser zu behandeln, kommen weitere Vorentscheidungen dem Band zugute: Weil ein geographischer Schwerpunkt vermieden wird, öffnen sich weite, auch weniger geläufige Räume, z. B. Skandinavien oder Kroatien. Alle heute in der Benediktinischen Konföderation zusammengeschlossenen Kongregationen werden ausführlich berücksichtigt; das Bemühen, »die Geschichte der Frauenklöster in die Gesamtentwicklung benediktinischen Lebens zu integrieren« (XI), ist ein weiterer Gewinn. Der Band, »weder zu knapp noch ausufernd lang« (Marcel Albert in SMGB 127 [2016] 495), bietet einen gründlichen, gut lesbaren Überblick. Der zweite Band wird der Zeit vom Spätmittelalter bis zur Säkularisation gewidmet sein und dürfte 2024 erscheinen.