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Ausgabe:

November/2023

Spalte:

1075–1076

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Marschall, Anja, u. Andreas Schüle [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Exodus und Erz-eltern in Deuterojesaja. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2023. 160 S. Kart. EUR 36,00. ISBN 9783374072194.

Rezensent:

Ulrich Berges

Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die im September 2021 unter dem Titel »Ancestor and Exodus Traditions in Second Isaiah« in Leipzig stattfand. Nach einer kurzen Einleitung der Herausgeber (7–10) verteilen sich die Beiträge auf zwei Fragestellungen, zum einen auf die Interdependenzen und Differenzen zwischen Pentateuch und Deuterojesaja (13–74), zum anderen auf das Thema des Exodus in Deuterojesaja selbst (77–153). Auf Indices verzichtet der Band, der mit biographischen Informationen zu den Autorinnen und Autoren schließt (155–157).

Den Aufschlag macht Andreas Schüle »Abraham, euer Vater? Tradition und Rezeption im Jesajabuch«. Er macht darauf aufmerk- sam, dass sich die Schriftprophetie je länger, desto stärker auf bereits vorliegende literarische Traditionen bezieht. Erzeltern und Exodus sind Traditionen, die das Jesajabuch auch verarbeitet, wobei näher zu prüfen ist, ob es sich dabei um ein allgemein perserzeitliches Phänomen in der Literaturwerdung des Alten Testaments handelt oder ob sich diese prophetische Schrift in eigenständiger Weise mit den beiden genannten Traditionen auseinandersetzt (14). Für Jes 54 und die Nennung Noahs sowie für Jes 65 f. als eine eschatologische Einholung der Schöpfung, wie sie von Anfang an hätte sein sollen, hält Schüle einen Bezug auf die Pentateuch-Traditionen für wahrscheinlich, wenn auch für nicht bewiesen (18). Er ist aber bei den »Jakob«-Belegen in Deuterojesaja mehr als skeptisch, ob die Genesis-Erzählungen dabei im Hintergrund standen (32). Lena-Sofia Tiemeyer »Jacob as a Literary Figure. The Intersection be-tween Jacob in Genesis and Jacob in Isaiah 40–55« widerspricht der Ansicht von Schüle, denn für sie ist die thematische Übereinkunft in der Präsentation des Patriarchen als ambigue Figur ein klares Indiz dafür, dass die jesajanischen Autoren die Erzählungen über Jakob in der Genesis gekannt haben, auch wenn sich keine »exact verbal affinity« nachweisen lässt (47). In die gleiche Richtung geht Megan Warner »›My Steadfast, Sure Love for David‹. Abraham and the World-View of Deutero-Isaiah«, die sich für einen hohen Grad an Kontinuität zwischen dem Abraham-Zyklus in der Genesis und Deutero-Jesaja ausspricht (60). Der Beitrag von Nathan MacDonald »Did Balaam Write Second Isaiah? The Relationship of the Oracles of Numbers 23–24 to Isaiah 40–55» scheint auf den ersten Blick dem Anspruch des vorliegenden Sammelbands nicht zu entsprechen, denn in den Bileam-Kapiteln kommt »Exodus« nur in Num 23,22; 24,8 vor und von den Erzeltern ist dort überhaupt keine Rede. Die häufige Nennung von »Jakob-Israel« und der Gottestitel »El« insinuieren eine gewisse Nähe zum Pentateuch, was für einen Einfluss von Jes 40–49 auf die Bileam-Erzählung hindeuten könnte, doch daraus ließe sich keine generelle Aussage ableiten (73).

Christoph Berner »Identifying and Interpreting Exodus Refer-ences in Second Isaiah« eröffnet den zweiten Teil des Sammelbands. Er hält Jes 43,16–17 für keinen Text, der auf die Exodus-Erzählung Bezug nimmt, was für Jes 52,11 f. anders liegt. Leider wird diese entscheidende Stelle andauernd als Jes 51,11 f. ausgewiesen (82–85). Für Frank Ueberschaer »Exodus in Second Isaiah? A Reassessment« gibt es in Jes 40 ff. überhaupt keinen Text, der sich auf die Tradition des Exodus aus Ägypten bezieht, weder in geschichtlicher noch in mythologischer Perspektive: »The texts in Second Isaiah do not refer to any type of exodus tradition.« (100) Ihm zufolge sind es die Psalmendichter gewesen, welche die einschlägigen Texte aus Jes 40 ff. in diese Richtung interpretiert hätten, was letztlich auch die moderne Exegese auf diesen Irrweg gebracht habe (101). Christoph Schneider »Das Wasser aus dem Felsen in Jes 48,21. Neuer Exodus oder Verwandlung Zions?« hält diesen Vers für keine Reminiszenz an das mosaische Wasserwunder beim Auszug aus Ägypten, sondern für eine zionstheologisch geprägte Aussage, die auf Jes 51,1b verweist (117). Anders als für Ueberschaer gibt es nach ihm aber auch Stellen (Jes 51,10b–11; 52,11 f.), die auf den ersten Exodus verweisen (118, Anm. 40). Frederik Poulson »Isaiah in Egypt. Reading the Prophetic Book in Light of the Emerging Jewish Diaspora« geht in seinem Beitrag ganz synchron vor und unterläuft so die in dem Band häufiger angemahnte diachrone Reflexion. Anja Klein »Between Pentateuch and Deutero-Isaiah. Observations on the Exodus Tradition in the Book of Jeremiah« analysiert die Ex-odus-Bezüge im Jeremiabuch und kommt zu dem Schluss, dass Jer 16,14 f. und 23,7 f. in noch größerer Klarheit als Deutero-Jesaja auf die Auszugserzählung Bezug nehmen. Zudem scheinen Jer 50,8; 51,45 die Vorlage für den Auszugsbefehl in Jes 48,20 geliefert zu haben (152). Insgesamt zeigt der Sammelband, wie kontrovers die Problematik weiterhin diskutiert wird und wie dringlich an einer Kriteriologie der literarischen und thematischen Bezüge gearbeitet werden müsste.