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Ausgabe:

November/2023

Spalte:

1071-1073

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Davis, Jordan

Titel/Untertitel:

The End of the Book of Numbers. On Pentateuchal Models and Compositional Issues.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XIV, 311 S. = Archaeology and Bible, 6. Kart. EUR 99,00. ISBN 9783161618567.

Rezensent:

Reinhard Achenbach

Diese Dissertation von Jordan Davis wurde im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts der Universitäten Zürich, Lausanne und Tel Aviv zum Thema »The History of the Pentateuch: Combining Literary and Archaeological Approaches« erarbeitet. Die Forschungsfrage ist daher, inwieweit archäologische und außerbiblische empirische Daten das Verständnis des kompositorischen Wachstums eines Pentateuchtextes befördern und neuere literar-historisch orientierte Theorien modifizieren können. Exemplarisch wählt D. hierfür einen narrativen Text über die Eroberung und Landnahme im Ostjordanland (Num 32) und einen legislativen Text über das Frauen-Erbrecht (Num 27) aus. Dabei geht er davon aus, dass der Schlussteil des Numeribuches (Num 26–36) weder allein das Ergebnis einer durch sukzessive Fortschreibung entstandenen ungeordneten Reihe von Anhängen ist noch das Produkt einer begrenzten Anzahl von redaktionellen Bearbeitungen (5).

Die Untersuchung setzt ein mit einer eingehenden Darstellung der Forschungsgeschichte (7–79). In der neueren Diskussion geht man meist davon aus, dass statt der traditionellen Quellenhypothese mit einer Reihe von vorexilischen Erzählungszyklen zu rechnen ist sowie mit einer spätexilischen Priestergrundschrift in Gen 1–Ex 40 bzw. Lev 9. Während T. Römer annimmt, dass das Numeribuch insgesamt erst in später nachexilischer Zeit als eine Brücke zwischen Lev und Dtn entstanden ist, rechnet R. Achenbach mit einem vorexilischen Kern in Num 10,29–32; 13f.*; 20,14–21; 21,21–35* und Fragmenten in Num 32*, der zunächst eine dtr Bearbeitung in Dtn 1–3* erfuhr und in nachexilischer Zeit von Schriftgelehrten in eine nach-priestergrundschriftliche und nach-dtr Hexateuch-Komposition Eingang fand mit der Ladelegende als Bindeglied zwischen P und D. Im Gefolge der Einfügung des Heiligkeitsgesetzes in den Pentateuch kam es zu sukzessiven priesterlichen Fortschreibungen in Erzählungen und Torot, die schließlich die Endgestalt des Buches als Teil des Pentateuchs ergaben. Auch R. Kratz, S. Germany und R. Albertz rechnen – in unterschiedlichen Modellen – mit einem alten Grundbestandteil und einer sukzessiven Erweiterung durch priesterliche Bearbeitungen bis in hellenistische Zeit. Eine vollständige Rekonstruktion der alten Textfassungen ist infolge der vielfachen Réécriture kaum möglich. Die jeweiligen Modelle sind das Ergebnis der Dialektik zwischen Textanalyse und literarhistorischer Konstruktion.

D. verwirft diese Modelle und will stattdessen nach den jeweils alten Kernen der Überlieferung suchen. Im Anschluss an Überlegungen von E. A. Knauf nimmt er an, dass die älteste erreichbare Version der Exodus-Landnahme-Erzählung ihren traditionsgeschichtlichen Ursprung im Nordreich als Ursprungsmythos Israels hat, worin die Darstellung der Mosegestalt als Befreier und Eroberer Parallelen zum Reichsgründer Jerobeam I. aufgewiesen hat und aus der Zeit Jerobeams II. stammen soll. In einer judäischen Adaptation des Stoffes aus josianischer Zeit soll nach dem Abzug der Assyrer und einer Nordexpansion unter König Josia nach Jericho und Ai die Legende der Landnahme auf Josua übertragen worden sein, mit einem ursprünglichen Ende in Jos 10,42.

Auf eine eingehende redaktionskritische Analyse der Struktur des Numeribuches verzichtet D. Er nimmt lediglich an, dass das dtr gerahmte Deuteronomium mit Horeb- und Moab-Bund Teil einer von Exodus bis Josua reichenden Komposition war, in die sodann die priestergrundschriftliche Erzählung (Pg), nebulös als »priestly narrative« bezeichnet, in Verbindung mit der priesterlichen Erzählung von der zweifachen Musterung (Num 1 und 26) strukturbildend eingefügt wurde. Die Texte über die Besiedlung des Ostjordanlandes (Num 32) und die Anordnungen über das Frauen-Erbrecht der Töchter Zelofhads (Num 27,1–12; 36,1–12) sind demnach Einfügungen in einen »post-priestly-Pentateuch« – was immer damit gemeint sein mag. Der gesamte Pentateuch sei in einem chiastischen Aufbau rund um die Sinaiperikope konstruiert. Num 26–36 sei gleichwohl ein vielschichtiges redaktionelles Ge- bilde, dessen Schichten sich eindeutigen Zuweisungen entziehen.

Das Hauptgewicht der Untersuchung liegt in der Analyse von Num 32. Hier findet D. Spuren einer alten Erzählung aus der Zeit vor Mesha v. Moab (Mitte 9. Jh. v. Chr.), wonach das Gebiet des Gilead und von Jaser von Rubenitern und Gaditern besiedelt gewesen sei. Aus der Zeit Jerobeams II. stamme ein Kern der Landnahmeerzählung, die in josianischer Zeit erweitert worden sei (Num 32,1.5b*.6*.16.17a. 20a.22ab.24). Die Deuteronomisten hätten diese Tradition in Dtn 2,24–3,12* verarbeitet und mit der Edom- und Sihon-Tradition verbunden. Der Ausgleich mit dieser sei in Num 21,21–25 erfolgt und mit einer Städteliste verbunden worden, die das Gebiet Manasses repräsentiert (Num 32,34–42). Dabei sei schon ein Einfluss priesterlicher Texte erkennbar, die längere Zeit neben dem nichtpriesterlichen Text gesondert überliefert und fortgeschrieben worden seien. Das Kapitel sei sodann sukzessive durch priesterliche Texte erweitert und angereichert worden.

Einen alten Kern der Erbtochter-Regelung sieht D. in Num 27,8–11a. Sie tritt ein, wenn sich eine Levirats-Ehe, wie sie Dtn 21,5–10 vorsieht, als undurchführbar erweist. Als Hintergrund der später hinzugefügten Erzählung von den Töchtern Zelofhads bzw. Manasses (Jos 17,6) vermutet D. das Bemühen um die Integration von Fremden in der Provinz Samaria, die infolge assyrischer Siedlungspolitik dort ansässig geworden seien. Durch die Legende habe man die verschiedenen Erbansprüche der »Samaritaner« zu unterstützen gesucht (267). Num 36 sei hinzugefügt worden, um eine Gefährdung traditioneller Stammesgrenzen und der Nachalah (eine aus dtr Vorstellungen stammende Konzeption) durch das Erbrecht zu vermeiden. Leitend hierfür sei die priesterliche Idealvorstellung der Unterteilung Israels in zwölf Stämme gewesen. Auch nach der Verbindung von nicht-priesterlichen und priesterlichen Texten sei mit zwei bis vier weiteren Traditions- und Fortschreibungsschichten zu rechnen.

Der zum Teil sachlich unpräzisen Kritik an Entstehungsmodellen zum Pentateuch setzt D. seinerseits eine Reihe von nur unzureichend gesicherten traditionsgeschichtlichen Hypothesen als Grundlage seiner Untersuchung entgegen, wobei er jedoch zahlreiche Anregungen aus der neueren Fachdiskussion über die Verläufe der Geschichte Israels und Judas (I. Finkelstein, B. Hensel, E. A. Knauf, C. Frevel u. a.) aufnimmt und konstruktiv verarbeitet. Seine neuerliche Analyse von Num 32 führt zu einer Reihe durchaus diskussionswürdiger Annahmen zu dem leider nicht endgültig zu klärenden Überlieferungskern der Nachrichten über die israelitische Besiedlung des Ostjordanlandes. Anregend ist auch die Beobachtung der Besonderheit des Frauen-Erbrechts in Num 27,8–11a, dessen Entstehungszeit allerdings unklar bleibt. Die eingangs gestellte methodologische Aufgabe bleibt letztlich ungelöst, jedoch kommt der Arbeit das Verdienst zu, etwas mehr Licht und »clarity to a small part of the tapestry that is the Pentateuch« (271) gebracht zu haben.